Ein Großteil einflussreicher Technikkritiker, Technikbefürworter und Technikphilosophen betrachtete lange Zeit die ,Technik-an-sich‘ und traf dabei oft höchst differenzierte, kritische oder mit Blick auf den Menschen reflektiert-ethische Aussagen über die Technik. Die klassische Beschreibung des Forschungsobjektes „Technik“ reichte dabei schematisiert von einer „Organprojektion“ (Ernst Kapp) bis zum „Gestell“ (Martin Heidegger). Das philosophisch und gesellschaftlich produktive Denken in der Fokussierung auf ,Technik‘ im Umgang mit dem Menschen bietet jedoch auch eine Kehrseite, die den Blick auf ein zentrales Problem zu verstellen scheint: Das Zwischenglied. Der Mensch trifft als Anwender nicht ,selbstverständlich‘ auf wie auch immer materialisierte Technik (z.B. Computer, Smartphone, etc.). Ganz im Gegenteil zeigt die Technik sich dem Menschen nur dann in ,einfacher‘ oder besser bedienungsgerechter bzw. philosophisch ausgedrückt ,zuhandener‘ Form, wenn ihr eine bestimmte Form gegeben wurde.2 Diese Form, die der Mensch wahrnimmt und mit der er umgeht – welche er verstehen kann –, ist wiederum ein äußerer, dem Menschen zugewandter Teil der Technik: Das gestaltete Interface. Um den selbst schon metaphysisch aufgeladenen Begriff der „Technik“ zu erden muss genauer auf dieses anthropophile ,Außen‘ der Technik - sowie was es zu verbergen scheint - geschaut werden. Das Interface schmiegt sich dem Menschen an. Es ist sinnfällig so designed, dass der Mensch es bestenfalls intuitive bedienen kann. Es fällt nicht mehr als dingliches Problem auf.
Allgemein betrachtet sind Interfaces vielseitig. Es können zum einen Ein- und Ausgabesysteme in allen Varianten sein (Bankautomaten, Bildschirme, etc.). So verstanden bilden sie ein Netzwerk von Flächen, die für den User bestenfalls intuitiv-verständlich und benutzerfreundlich sein sollen. Zum anderen sind es aber auch Durchgänge, die durch Kontrolle und Macht Zugänge ge- oder verwehren. Wenn unser Handeln das Verstehen anderer Personen voraussetzt und das vieldeutige „Verstehen“ ein Parameter geisteswissenschaftlicher Zugangsweise darstellt, dann sind Schnittstellen allgemein und provokativ gesprochen dazu da, eine kommunikative Interaktion, ein Verstehen (im informationstechnischen Sinne) und eine Handlung zweier sich fremder Systeme überhaupt erst zu ermöglichen. Das Interface kann dabei die angesprochene Bedieneinheit zwischen Mensch und Maschine sein. Man denke für die Hauptaufgabe eines Interfaces vereinfacht an das Beispiel eines menschlichen Übersetzers zwischen zwei Menschen, die nicht dieselbe Sprache sprechen. Das oft im Deutschen gebrauchte Wort „Schnittstelle“ betont im Unterschied zum englischen ,Zwischengesicht‘ (Inter-face) die räumliche Stelle, an der sich Mensch und Maschine trennen bzw. verbinden. Mit dem deutschen Begriff der „Schnitt-Stelle“ wird damit allerdings nicht nur Dynamik und Interaktivität ausgeschlossen, sondern eben auch das produktive „Dazwischen-Sein“ eines „Inter-facere“ ausgeklammert.3
Das Interface als „andauernde und sich intrinsisch motivierende Interaktio[n] zwischen Menschen und ihren Artefakten“ kann damit als Medium, Mitte und Vermittler beschrieben werden, welcher in einem Zwischenraum agiert. Dabei lässt es nicht nur einfach Informationen durch, sondern über-bringt diese hermeneutisch, wodurch sich die übermittelten Signale transformieren. Das Interface selbst ist kein passiver Durchgang/Oberfläche, sondern im etymologischen Sinne als ‚Hinführer‘ produktiv: Es ist ein „fruchtbare[r] Nexus.“4
Die klassische Technikphilosophie ließ ebendeswegen das Interface außer Acht und fokussierte eher auf die Metaebene einer Technik-an-sich oder aber auf einzelne Techniken, weil das Interface sich (von seiner Funktion her) entziehen musste. „Die Tücke des Objekts“ liegt somit weniger darin, dass das Interface sich uns offensiv verweigert, als mehr darin, dass der Blick der Reflexion durch gute Schnittstellengestaltung (Usability) bewusst vom ,Dazwischen‘ abgelenkt wird. Denn das Interface bietet durch ein benutzerfreundliches Design eine vertraute – nicht mehr ,un-heimliche‘ – Oberfläche an. „Ein benutzerfreundlicher Computer läßt mich vergessen, daß ich es mit einem Rechner zu tun habe; sein Interface-Design schirmt mich ab gegen die Technologie des Digitalen.“5 Obwohl Bolz zurecht fragt, ob es sich hier um ein Verstehen oder ein Funktionieren handelt, muss man die Begriffe wie ,Funktion/Gebrauch‘ und ,Verstehen‘ weiter und weniger als Gegensatzpaare fassen, wenn man über Mensch-Maschine-Interaktion spricht: Understanding is doing. Wie weit die perfekt gestaltete Schnittstelle nun negativ konnotiert eine „Vertrautheitsselbsttäuschung” oder doch das hermeneutische Medium zur Verständigung mit etwas ,Fremden‘ ist, bleibt oft der Kompetenz des jeweiligen Users sowie der sinnfälligem Konstruktion des Artefaktes überlassen.
Man kann also formulieren, dass auf der einen Seite die autonome Benutzung eines Interfaces gleichbedeutend mit der Partizipation an Kultur ist, da Schnittstellen eben unseren Umgang mit Technik überall prägen.6 Auf der anderen Seite allerdings ist das User-Subjekt immer auch Unter-Worfenes (subicere). Es ist abhängig vom Output der Benutzeroberfläche, die das Interface ihm bereitstellt. Damit ist das Interface jedoch nicht einfach ein Objekt, sondern ein Effekt: Die Relation geht den Entitäten voraus. Der User erfährt seine Subjektivierung erst durch diesen prozessualen Effekt eines Hindurch-Schreitens und Benutzens. Erst hierdurch wird er User und Akteur. Wir haben es beim Interface nicht mit einem harmlos Mittler zu tun, sondern mit einem verborgenen Agenten, der Sinn stiftet und so die Bedingung der Möglichkeit von Kommunikation zwischen zwei unterschiedlichen System-komponenten generiert.
Quellen
- Ausführlich in: Hans-Ulrich Lessing (Hgg.): Das Wunder des Verstehens“. Ein interdisziplinärer Blick auf ein ,außer-ordentliches‘ Phänomen. Freiburg i.Br. 2018.
- Vgl. Martin Heidegger: Sein und Zeit. 19. Auflage. Tübingen 2006, S. 71.
- Klaus Krippendorff: Die semantische Wende. Eine neue Grundlage für Design. Basel 2013, S. 112.
- François Dagonet: Faces, Surfaces, Interfaces. Paris 1982, S. 49.
- Norbert Bolz: Das ABC der Medien. München 2007, S. 108.
- Vgl. Brandon Hookway: Interface. Cambridge 2014, S. 15.
Frage an die Leserschaft
Der Blogbeitrag behandelt eine Seite der Technik, die wir tagtäglich benutzen. Was bedeutet es aber, Schaltflächen intuitiv zu verstehen? Die jüngere Generation, die mit Computern und Handys aufgewachsen ist, hat einen ganz anderen, "intuitiveren" Umgang mit Interfaces als beispielsweise unsere Grosseltern. Wie wichtig ist bei der Analyse von intuitivem Verstehen der Kontext des Subjekts?