Philosophie in einfachen Worten

Warum brauchen wir Philosophie?

Ist Philosophie Luxus? Können wir auf sie verzichen?

 

    Schon von Anfang an stand die Philosophie unter Verdacht, unnötig und nutzlos sein und daran hat sich auch heute nichts geändert. Im Folgenden möchte ich zeigen, dass die Philosophie durchaus nötig und nützlich sein kann.


    Die Philosophie ist nötig, weil wir manchmal Probleme haben, die schlicht und einfach philosophische Probleme sind, die nur mit Hilfe der Philosophie gelöst werden können. Warum ist dieser Punkt nicht offensichtlich? Weil philosophische Probleme manchmal so aussehen, als könnten sie mit Hilfe der Wissenschaft oder der Technologie gelöst werden.

     

    Zur Veranschaulichung, warum philosophische Probleme nicht immer als solche erkannt werden, dient eine Geschichte von Winnie-the-Pooh, einem fiktiven Bären in einem Kinderbuch von Alan Milne:

     

    Winnie-the-Pooh war sehr stolz darauf, dass er den Nordpol entdeckt hat und er fragte seinen menschlichen Begleiter, Christopher Robin, ob es noch andere Pole gibt, die er entdecken könnte. Christopher Robin antwortete daraufhin, dass es noch einen Südpol gibt und dass er vermutet, dass es auch noch einen West- und Ostpol gibt. Winnie-the-Pooh war sehr aufgeregt, als er dies hörte und machte sich auf den Weg, den Ostpol zu entdecken. Ob er den Ostpol wirklich gefunden hat oder nicht, hat er vergessen, aber er war so müde, als er nach Hause kam, dass er nach dem Essen in seinem Stuhl eingeschlafen ist. Er träumte anschliessend davon, wie er am Ostpol war und feststellte, dass der Ostpol ein sehr kalter Pol ist, der mit der kältesten Sorte von Eis und Schnee überzogen ist.1

     

    Wie man vielleicht schon erahnen kann, stimmt etwas mit dem Vorhaben von Winnie-the-Pooh nicht, den Ostpol entdecken zu wollen. Aber was stimmt an dem Vorhaben nicht? Ist es zu schwierig, den Ostpol zu entdecken? Fehlt es Winnie-the-Pooh an einem Kompass, der neben Norden und Süden auch Westen und Osten anzeigt? Mangelt es ihm an einem guten Fernrohr oder einer detaillierteren Karte? Nein, das Problem, dass Winnie-the-Pooh hat, ist nicht eines, das mit Hilfe von mehr Technologie oder mehr Wissenschaft gelöst werden kann. Winnie-the-Pooh hat ein philosophisches Problem: Den Ostpol, so wie sich Winnie-the-Pooh ihn vorstellt, gibt es nicht. Winnie-the-Pooh ist einer Verwirrung zum Opfer gefallen.

     

    Wenn man Winnie-the-Pooh helfen möchte, dann braucht es Philosophie, genauer, Begriffsanalysen, die die Verwirrung offenlegen und die Winnie-the-Pooh zu sehen helfen, dass es den Ostpol so nicht gibt. Die Verwirrung ist vermutlich dadurch entstanden, als zwei Begriffe durcheinandergebracht wurden, nämlich die Himmelsrichtungen und die magnetischen Pole der Erde. Es wurde fälschlicherweise darauf geschlossen, dass, wenn es vier Himmelsrichtungen gibt, es auch vier dazugehörige Pole geben muss. Keine Expedition, kein Experiment und keine Technologie hätte Winnie-the-Pooh geholfen, dieses Problem zu sehen und er würde heute noch den Ostpol suchen.

     

    Verwirrungen können immer und überall auftreten, wo die Sprache zum Einsatz kommt. Viele Verwirrungen sind harmlos, einfach zu entdecken und zu beseitigen. Doch manche Verwirrungen sind subtil, weniger offensichtlich und komplex. Solche Verwirrungen können Schaden anrichten, sowohl in unserem privaten Leben, als auch in Wissenschaft und Gesellschaft.


    Manche Probleme entpuppen sich erst dann als philosophische Probleme, wenn man etwas nachgedacht hat. Zur Veranschaulichung, warum philosophische Probleme sich erst dann entpuppen, wenn man etwas nachgedacht hat, dient eine Erfahrung, die ich manchmal mache, wenn ich mit Menschen über Tierschutz rede:

     

    Damit eine Kuh Milch gibt, muss sie zuerst geschwängert werden. Nachdem sie das Kalb auf die Welt gebracht hat, wird das Kalb von der Mutter getrennt, weil sonst das Kalb die Milch der eigenen Mutter trinkt. So gibt es mehr Milch für den Menschen. Die Mutter ruft noch nach drei Tage nach ihrem Kind. Dem Kalb schneidet man die Kehle durch und die Mutter wird wieder geschwängert. Das geht so lange, bis die Mutter durch das ständige Schwanger-Sein am Ende ihrer Kräfte ist und weniger Milch gibt. Auch ihr wird dann die Kehle durchgeschnitten. Wenn man bedenkt, dass der erwachsene Mensch gar keine Milch braucht, schon gar nicht die Milch von einer anderen Mutter einer anderen Spezies, dann könnte man auf den Gedanken kommen, dass dieser Umgang mit Kühen brutal und grausam ist. Müssen wir wirklich so brutal und grausam mit Kühen umgehen?

     

     

    Viele hören solche Fragen nicht gerne, weil sie ahnen, dass man von ihnen verlangt, ihre Gewohnheiten zu verändern. Menschen sterben lieber, als dass sie irgendwas in ihrem Leben ändern und verteidigen daher gelegentlich ihre Gewohnheiten mit Argumenten. Ein „Stammtisch“-Argument ist das folgende: „Die Menschen haben schon immer Milch von einer anderen Mutter einer anderen Spezies getrunken und folglich ist es okay, wenn man die Milch von einer anderen Mutter einer anderen Spezies trinkt.“

     

    An dieser Stelle könnte man sich fragen, ob dieses Argument ein gutes oder ein überzeugendes Argument darstellt. Könnte man. Viele tun es nicht. Und genau weil es viele nicht tun, werden viele auch Schwierigkeiten haben, zu verstehen, warum Philosophinnen und Philosophen sich mit Fragen auseinandersetzen, wie:

     

    • Gibt es gute und schlechte Argumente?

    • Wenn ja, was macht ein Argument zu einem guten Argument?

    • Welche Formen von Schlussfolgerungen sind gültig und welche nicht?

     

    Wenn man etwas nachdenken würde, dann könnte man nämlich ein Problem bemerken, dass man mit diesem „Stammtisch“-Argument nicht nur das Trinken der Milch einer anderen Mutter einer anderen Spezies rechtfertigen kann, sondern auch Sklaverei, Kinderarbeit, die Herrschaft der Männer über die Frauen, Kolonialismus, Hexenverbrennung, Monarchie, Gewalt an Kindern und noch vieles mehr. Zugegeben, um solche Probleme überhaupt zu bemerken, braucht es etwas Kreativität und die Bereitschaft, mitzudenken. Fähigkeiten also, die nicht immer vorhanden sind.