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Der Zoo - eine aussterbende Spezies?

Gitterstäbe waren gestern: Der moderne Zoo muss einen Platz finden zwischen Eventmaschine und ethischen Ansprüchen. 

    Spektakulär soll sie werden. Sobald die Corona-Krise es zulässt, will der Zürcher Zoo eine neue Savanne eröffnen. Dort sollen unter anderem «Giraffen zurückkehren», denen man «auf Augenhöhe begegnen» könne, wirbt der Zoo auf seiner Website.

    Zoos entwickeln sich, permanent. Aber wie zeitgemäss sind Zoos heute noch? Zoos hätten zu allen Zeiten versucht, zeitgemäss zu sein, sagt Markus Wild, Philosophieprofessor an der Universität Basel. Sie seien ein Spiegel der Gesellschaft – ein Spiegel gesellschaftlicher, politischer, ethischer Ansprüche. 

    Zoos erzählten auch immer vom Verhältnis Mensch zu Tier, sagt Natascha Meuser, Professorin für Innenraumplanung an der Hochschule Anhalt. Sie veröffentlichte vor einigen Jahren das erste umfassende Buch zur Zooarchitektur. An dieser könne man ablesen, wie sich die gesellschaftlichen Wertvorstellungen und Ansprüche an Zoos entwickelt hätten.

    «Niemand möchte Gitterstäbe sehen»
    «Die Gefängnisarchitektur ist heute weitgehend kaschiert», sagt Wild. «Niemand möchte Gitterstäbe sehen. Man möchte das Gefühl haben, man blickt über einen Naturzaun zu Raubkatzen.» Das widerspiegle den Wunsch, die Illusion nicht zu stören, einem wilden Tier gegenüberzustehen. «Wie in echt», sagen Kinder dann. Auch ethisch gesehen akzeptierten Besucher heute keine Gitter mehr, weil man wisse, dass Tiere Bedürfnisse, Emotionen, ein Sozialleben hätten.
    Jene, die Zoos entwerfen, bauen, führen und täglich darin arbeiten, wollten den Tieren mehr Optionen geben: «Das sind ja keine Menschen, die eine heimliche Freude daran haben, Tiere einzusperren.»

    Den Bildungsauftrag hinterfragen
    Die Gesellschaft verändert sich heute schnell. Einiges, was Zoos für sich in Anspruch nehmen, wie etwa den Bildungsauftrag oder den Beitrag zur Arterhaltung, ist zu überprüfen. «Einen Bildungsauftrag hatte der Zoo von Anfang an, weil er aus dem Museum heraus entwickelt wurde. Während der Kolonialzeit ist der Bildungsauftrag dann überlagert worden, weil der Zoo eben auch ein wirtschaftliches Unternehmen ist», sagt Natascha Meuser.

    Zugängliches Wissen über Tiere
    Mit dem Bildungsanspruch werde gerechtfertigt, dass man Tiere unter stark kontrollierten Bedingungen ihrer natürlichen Lebensräume beraubt, meint Wild und findet: «Es gibt bessere Mittel, um Bildung zu ermöglichen.» Wissen ist heute einfacher zu erlangen als früher, etwa durch «Bücher, das Internet, durch hervorragende Tierfilme», in denen man Tiere tatsächlich in freier Wildbahn und nicht im Gehege sehe. «Oder über Leute, die vor Ort waren und Vorträge über diese Tiere machen», sagt Wild. Wegen all dieser Möglichkeiten sei es ethisch entschieden schwieriger, die Gefangenschaft zu vertreten.

    Von Zoo zu Zoo
    Wer noch immer glaubt, man könne im Zoo wilde Tiere in einem natürlichen Lebensraum anschauen, täuscht sich doppelt. Der natürliche Lebensraum ist viele Jahre vorher geplant, gezeichnet, gebaut worden. Jedes Steppengras ist eingesetzt worden. Dieser Raum ist kein natürlicher, sondern ein kulturell konstruierter. Auch mit der Wildheit der Tiere verhält es sich anders. «Bei den modernen wissenschaftlichen Zoos ist es die Regel, dass Tiere nicht mehr aus der Wildnis entnommen werden. Sie stammen aus internen Zuchtprogrammen der Zoos», sagt Wild. Das heisst: Was der eine Zoo züchtet, landet in einem anderen, die Zuchttiere haben nie die freie Wildbahn gesehen. «Wenn wir Orang-Utans züchten und diese nach Borneo verfrachten würden, wäre dies das Todesurteil für sie», so Wild.

    Der Tod ist nicht weit
    Züchtet ein Zoo Tiere und findet keinen anderen Zoo als Abnehmer, gibt es ein Problem. Auswildern, also die Rückführung in ursprüngliche Lebensräume, ist oft nicht machbar. Das kann Konsequenzen haben: Der Kopenhagener Zoo etwa löste einen Aufschrei samt Petitionen aus, als er die Giraffe Marius einschläfern wollte, um die «genetische Vielfalt» im Zoo zu erhalten. «Das ist das Problem von zoointernen Zuchtprogrammen», sagt Markus Wild. «Man kann nicht alle Männchen brauchen. Die männlichen Tiere muss man töten, wenn man sie nicht absetzen kann. Das heisst, mit der Zucht im Zoo ist auch immer der Tod dieser Tiere verbunden. Mit der Giraffe in Kopenhagen wurde das den Leuten einfach nur sehr bewusst.» Wenige Wochen später geschah dasselbe nochmals: Diesmal wurde eine gesunde Löwenfamilie eingeschläfert – «aus Platzmangel».

    Der «tierorientierte Zoo»
    Einige Zoos haben daher beschlossen, dieser tragischen Falle zu entgehen. In Barcelona beispielsweise werden nur noch Tiere gezüchtet, wenn auch Auswilderungen stattfinden können. Das ist im vergangenen Jahr durch eine neue Gesetzgebung so geregelt worden. «Barcelona ist der erste – wie man sagt – tierorientierte Zoo, der sich auf diese Auswilderungsmöglichkeiten verpflichtet hat», sagt Markus Wild. «Durch diese Verpflichtung hat man auch die Massgabe, das zu überprüfen.»

    Gefährliches mit Jööö-Faktor
    Andererseits sind neugeborene Tiere Publikumsmagneten. Ein neugeborener Elefant könne Besucherzahlen verdoppeln, sie gehörten zu den «Knüller-Tieren», sagt Wild. Im Englischen klinge das weniger reisserisch, da gebe es die Bezeichnung Flagship Species, wie Flagship Stores: «Das sind Elefanten, Eisbären, Nashörner, Tiger. Sie beeindrucken durch die Grösse. Von denen Junge zu haben, ist ideal – dann hat man das grosse Gefährliche kombiniert mit dem kleinen Süssen. Das zieht die Leute an.»

    Falsche Alternativen
    Aber die Reproduktion dieser Tiere sei sehr schwierig. Elefantenbullen leiden sehr, weil sie die Paarungszeit sehr stark erleben. «Dann hat man den Zwiespalt: Keine Fortpflanzung ist nicht artgerecht. Fortpflanzung wiederum kann mit sich bringen, dass ein Kleiner getötet wird», sagt Wild. «Ich finde, das ist eine völlig falsche Alternative.» Es gäbe noch den Weg, dass man es ganz sein lässt. Dafür plädiert auch Wild. So haben unter anderem die Zoos in London, San Francisco, Seattle und Chicago entschieden, keine Elefanten mehr zu halten, wie vor einiger Zeit bereits der «Guardian, Link öffnet in einem neuen Fensterim Browser öffnen» und das «Time Magazine, Link öffnet in einem neuen Fensterim Browser öffnen» berichteten.

    Natürliche Lebensräume erhalten
    Aber nicht nur mit den Tieren müsse man anders umgehen, auch mit ihren ursprünglichen Lebensräumen: Habitaterhaltung nennt man das. Es könne keine Einbahnstrasse mehr sein, meint Wild, dass man Tiere weghole und der Fall damit erledigt sei. Man müsse diese Lebensräume für die natürliche Artenvielfalt erhalten. «Zürich macht das zum Beispiel, seit sie die neuen Elefantengehege errichtet haben, wo die Elefanten auch tauchen können.» Architekturprofessorin Natascha Meuser bezeichnet das Zürcher Gehege als vorbildlich «dickhäuterfreundlich». Gleichzeitig mit dem Bau habe man in Zürich eine Kooperation mit einem Gebiet gestartet, wo der Wohnraum für Elefanten erhalten werden soll: So unterstützt der Zürcher Zoo den Kaeng Krachan Nationalpark in Thailand und setzt sich damit für den Schutz wild lebender Elefanten und ihres Lebensraums ein. «Ich finde, das sollten sich die Zoos viel mehr auf die Fahnen schreiben», meint Wild: «Daran arbeiten aber auch andere Institutionen, etwa die Fondation Franz Weber, die mit afrikanischen Regierungen immer wieder Verträge über Tierreservate aushandeln.»

    Mehr Wissen, weniger Popcorn
    «Vom Zoo der Zukunft wünsche ich mir weniger Erlebnis und mehr Wissensvermittlung und Verantwortung. Sprich weniger Popcorn – dafür mehr Medien zur Wissensvermittlung und Spass beim Lernen», ist Meusers Position. Ein zoologischer Garten sei «die einzige konfessionell und politisch unabhängige Organisation weltweit, die Vorbild und Nährboden für die sich derzeit rasant entwickelnden Ökologiebewegungen sein kann», so Meuser. Insofern könnten Zoos auch das Bindeglied sein zwischen den hiesigen Besuchern und den Kooperationen zur Habitaterhaltung: Indem Zoos ein ökologisch solidarisches Verständnis schaffen, dass Lebensräume erhalten werden müssen.

    Neue Führung für den modernen Zoo
    Somit ist der Zoo in der modernen Gesellschaft eine Institution im Spannungsfeld wirtschaftlicher, wissenschaftlicher, politischer und ethischer Ansprüche geworden. Um dieser Komplexität gerecht zu werden, brauche es ein Umdenken in den Führungsetagen der Zoos, sagt Wild. Ein probates Mittel sei die Personalpolitik: Der Victoria Zoo in Australien, der stark auf Arterhaltung ausgelegt ist, hat Jennifer Gray als Direktorin – eine Logistikerin und Philosophin: «Jennifer Gray überlegt sich, wo man etwas hinbringt und was ethisch akzeptabel ist. Deswegen hat man sie auch 2017 zur Vorsitzenden der World Association of Zoos and Aquariums gewählt.»

    Besucher miteinbeziehen
    Um komplexere Prozesse weltweit nachzuvollziehen, reiche veterinär-medizinische Sicht nicht, ist Wild überzeugt. Da brauche es mehr. «In der Schweiz hat das Alex Rübel (der ehemalige Direktor des Zürcher Zoos, Anm. d. Red.) sehr gut gemacht.» Ein multidisziplinäres Verständnis dieser Prozesse sei, so Wild, unabdingbar. Zwei Punkte sind Markus Wild abschliessend wichtig: Tiere seien für viele «keine Möbelstücke». Es gebe also einen ethischen Druck auf Zoos. Dazu kommt: Gerade in der Schweiz brauche es eine Beteiligung der Besucher an Veränderungsprozessen: Besucher wollten demokratisch mitbestimmen. Den Leuten mit Expertenwissen den Mund zu verbieten, ist für Wild keine Option. «Das geht nicht in einem Land, in dem die Würde der Kreatur in der Verfassung verankert ist. Sonst hat man politisch etwas nicht verstanden.»