Zwischen Tradition und technologischem Wandel: Wie Klöster die Herausforderung der Digitalisierung bewältigen

    Dieser Beitrag entstand im Forschungsschwerpunkt "Digital Religion(s)" der Universität Zürich.


    In der westlichen Welt können Klöster mit ihrer systematischen Organisationsweise als die ersten rationalen Organisationen gelten und gehören heute zu den ältesten und beständigsten Organisationen überhaupt (Ekelund et al. 1996; Ekelund, Hébert and Tollison 1989; Rost 2017). Im Verlaufe des 5. Jh. wurden die ersten christlichen Gemeinschaftsklöster hervorgebracht und besetzten bald Nischenmärkte, indem sie spezialisierte Produkte und Dienstleistungen anboten (Brickley and Dark 1987). Einige diese Klöster gibt es bis heute. So hat beispielsweise das Benediktinerkloster in Disentis in den Schweizer Alpen vor einigen Jahren sein 1400-jähriges Jubiläum gefeiert.

    Historisch betrachtet existiert ein Benediktinerkloster im Durchschnitt rund 500 Jahre lang (Feldbauer-Durstmüller, Sandberger and Neulinger 2016; Rost et al. 2010). Die meisten heutigen Organisationen, insbesondere Aktiengesellschaften, haben hingegen eine durchschnittliche Überlebensdauer von weniger als 50 Jahren.

    Meister des technologischen Wandels

    Klöster sind Meister des technologischen Wandels. Seit dem 5. Jahrhundert hat sich die Welt grundlegend verändert: Durch die Entdeckung moderner Transporttechnologien wie der Kutsche, der Schifffahrt, der Eisenbahn, des Autos, des Flugzeugs, oder durch die Entdeckung moderner Kommunikationstechnologien, wie des Papiers, der Brieftaube, des Buchdrucks, des Telegraphen, des Telefons, des Radios, des Fernsehens und zuletzt des Internets, ist die Welt heute eine komplett andere. Wie haben Klöster diese technologischen Umwälzungen gemeistert und überlebt? Und können wir etwas für allgegenwärtige Technologien wie die Betrachtung und den Umgang mit Kryptowährungen lernen? Wir denken ja.

     

    Der St. Galler Klosterplan ist die früheste Darstellung eines Klosterbezirks aus dem Mittelalter und zeigt die ideale Gestaltung einer Klosteranlage zur Karolingerzeit. Er ist an den Abt Gozbert vom Kloster St. Gallen adressiert, entstand vermutlich zwischen 819 und 826 im Kloster Reichenau unter dem Abt Haito und ist im Besitz der Stiftsbibliothek St. Gallen. Er wird dort unter der Bezeichnung Codex Sangellensis 1092 (Cod. Sang. 1092) aufbewahrt. Der Klosterplan zeigt auf beeindruckende Art und Weise die rationale Organisation in Klöstern schon zu früher Zeit auf.

     

    Ein Blick zurück: Wie haben Klöster den technologischen Wandel gemeistert?

    Das römisch-katholische Mönchtum lässt sich bekanntlich auch als Vorläufer des modernen Kapitalismus verstehen. Klöster waren häufig innovativ, oft ihrer Zeit voraus und prägten diese Zeit – teilweise bis heute – nachhaltig mit. Hier einige Beispiele: Ekelund et al. (1996) zeigen, dass heutige Franchisesysteme wie McDonalds und Co. der Führungsstruktur der mittelalterlichen Kirche entsprangen. Auch das Konzept des Fegefeuers kann als ein innovatives Anreizsystem zur Aneignung von Renten gesehen werden (Le Goff, 1986; Schmidtchen & Mayer, 1997).

    Nach dem Soziologen Max Weber ist das Kloster als Keimzelle der «westlichen» Rationalität anzusehen. Durch die Askese in der Gemeinschaft wurde das religiöse, soziale und ökonomische Umfeld systematisch gestaltet (Weber 1958; 1973). Durch Prozesse der Rationalisierung wie etwa der Arbeitsteilung verwandelten sich mittelalterliche Klöster rasch in wichtige Institutionen frühkapitalistischer Produktion (Kieser 1987). Die Einkünfte kamen auch aus der Verpachtung, der Erhebung von Marktgebühren, der Einziehung von Strafen, Gebühren für juristische Dienstleistungen und Mautgebühren für Flüsse und Landstrassen (Smith 2009). Die Handschrift wurde zu einer entscheidenden Kunst für die (Re-)Produktion von Wissen (Kieser 1987). Dies wiederum führte zu einer Ausdifferenzierung künstlerischer und wissenschaftlicher Berufe innerhalb des Klosters und zu einer Konzentration von Forschung und Lehre in Klosterschulen (Kieser 1987). So schrieb der Franziskanerbruder Luca Pacioli das erste Lehrbuch für die doppelte Buchführung  und schuf ein bis heute gültiges ökonomisches Schlüsselvokabular (Kehnel 2012). So wurden die Franziskaner zu den einflussreichsten spätmittelalterlichen Finanzexperten (Todeshini and Melucci 2009).

    Durch ihre rationelle Arbeitsorganisation und ihre Arbeitsmoral, neben bedeutenden Schenkungen, wurden die Ordensgemeinschaften mit ihren Klöstern enorm reich und breiteten sich infolgedessen in kurzer Zeit von Europa über die ganze Welt aus (Rost and Grätzer 2014; Schmiedl 2011; Berman 1986). Sie sind deswegen auch frühe «multinationale» Organisationen. Ausufernder Reichtum und Einfluss können aber auch zu unbeabsichtigten Folgen und menschlichem Versagen führen. Das mussten Klöster oft und schmerzvoll erkennen, und führten deswegen ausgeklügelte Governance-Mechanismen ein, um das nachhaltige Überlebensfähigkeit der Organisation zu gewährleisten (Rost et al. 2010). Dies durch insbesondere zwei Mechanismen: (1) Externe Visitationen, also das regelmässige «Auditing» des Klosters durch den Dachverband mittels Besuchen; (2) internen Druck, weil ein Abt weitgehend vom Wohlwollen seiner Gemeinschaft abhängig ist (Inauen et al. 2009). Beispielsweise werden Äbte meist demokratisch gewählt und kontrolliert (Danko, Inauen und Rost, 2023). Zu diesem internen Druck gehört auch ein gemeinsames Wertesystem, die sorgfältige Auswahl der Mitglieder, die Sozialisierung dieser Mitglieder durch eine gemeinsame Regel, und Mitspracherechte der Mitglieder bei fast allen Angelegenheiten, wie Wahlgeschäften, neuen Betätigungsfeldern oder eben den Umgang mit neuen Herausforderungen und Technologien (Dobie 2015; Feldbauer-Durstmüller, Sandberger and Neulinger 2016; Inauen et al. 2009; Rost et al. 2010). Mitspracherechte und die daraus folgende Reflektion über den Umgang mit Innovation und Veränderung können auch als eine Hauptursache identifiziert werden, warum Klöster Dinosaurier im Überleben technologischer Disruption sind. Dafür zeigen wir nachfolgend, wie Klöster mit den Herausforderungen der Digitalisierung umgehen. Es zeigt sich, dass sie dies etwas überlegter und nachhaltiger tun als einige moderne Organisationen, die sofort auf den «Mode-Zug» aufspringen.

     

    Eine Drohnenaufnahme des Kloster Disentis, lebendige Tradition: Es ist das wohl älteste, ununterbrochen existierende Benediktinerkloster nördlich der Alpen. Gleichzeitig geht das Kloster durchaus mit der Zeit: Die Gemeinschaft hat unter anderem einen Social Media-Auftritt, einen Gottesdienst-Livestream auf der eigenen Homepage, mittlerweile zwei App-Produktionen.

     

    Ein Blick nach vorn: Wie meistern katholische Orden und ihre Klöster die radikale technologische und gesellschaftliche Umwälzung in Folge der Digitalisierung?

    Die radikale technologische und gesellschaftliche Umwälzung infolge der Digitalisierung stellt Klöster vor Herausforderungen und Möglichkeiten. Viele Klostergemeinschaften haben erkannt, dass sie sich anpassen müssen, um die Chancen der Digitalisierung zu nutzen und gleichzeitig ihre spirituelle und gemeinschaftliche Identität zu bewahren. Klöster sind nicht selten – entgegen landläufigen Meinungen – digitalisierungsfreundliche Orte. So haben die allermeisten Klöster im deutschsprachigen Raum heute eine Webseite, wie bereits Jonveaux in einer Erhebung vor 10 Jahren feststellt: 93,8 % der Mönchsgemeinschaften in Österreich und 94,3 % der Mönchsgemeinschaften in Deutschland hatten Websites (Jonveaux, 2013, S. 100). Obwohl die Zahlen in anderen Ländern und gewissen Gemeinschaften zum Teil niedriger ausfallen können, ist anzunehmen, dass diese Zahl im letzten Jahrzehnt noch weiter gestiegen ist. In vielen Klöstern sieht man Ordensleute mit Smartphones – für ihre Arbeit, zur Kontaktpflege aber auch ganz trivial als Kalender oder Uhr.

    Spricht man mit Mönchen und Nonnen in Klöstern (Danko, Rost, Golan, forthcoming) ergibt sich das Bild, dass Digitalisierung per se nicht als negativ aufgefasst wird. So sagte uns ein Abt in einem Benediktinerkloster, die digitalen Medien seien wie die Sprache, welche man für Gutes als auch Schlechtes verwenden könne. Wir haben rund 150 Klostergemeinschaften im deutschsprachigen Europa befragt und mehrere Benediktinerklöster in Österreich, der Schweiz und im Heiligen Land vertiefter erforscht und uns die Frage gestellt: Welche wiederkehrenden Digitalisierungs-Narrative lassen sich in Interviews und Gesprächen identifizieren? Dies erlaubt Rückschlüsse auf die Bedeutung der „Digitalisierung“ in Klostergemeinschaften und den Umgang der Gemeinschaften damit.

    Folgende dominante Narrative als Verwendungsgrund digitaler Medien liessen sich systematisch herausstellen, und hängen mit einem aktualisierten Traditionalismus zusammen – also der Stärkung der monastischen Mission durch den Einsatz digitaler Werkzeuge. Dabei finden wir instrumentelle Begründungen als auch die Sicht auf digitale Medien zur Förderung religiöser Werte. Instrumentelle Verwendung entsprich dem vielerorts eingesetzte Livestream von Gottesdiensten während der Pandemie. Ein Abt im Heiligen Land erzählte uns etwa, dass im virtuellen Gottesdienst manchmal 80-120 Gläubige teilnehmen, was viel mehr seien als die Handvoll Pilger, die vor Ort in die Kirche kämen. Der Abt betont auch, dass digitale Technologie ein „fantastisches Hilfsmittel für die Arbeit“ sei. Dahingehend sagt auch ein österreichischer Mönch und ehemaliger Abt in seinen 90ern, dass es klare Vorteile der Digitalisierung gebe, auf die man heute nicht verzichten möchte. So wird etwa die Buchhaltung von Hand – gerade bei einem Kloster mit vielen Mitarbeitenden und Betrieben, was nicht selten der Fall ist – als sinnlos angeschaut. Aus diesem Grund habe es auch schon recht früh Computer in den Klöstern gegeben. Einige Mönche betonen den Nutzen von Whatsapp, wenn sie beispielsweise einen Mitbruder auf den teilweise riesigen Klostergeländen suchen. Viele weitere Beispiele solcher zweckrationaler Überlegengen liessen sich hier anführen.

    Weiter wird die Digitalisierung verstanden in ihrem Potential zur Förderung religiöser Werte. Die Vorteile digitaler Medien werden etwa genutzt, um eine persönliche, religiöse Mission voranzutreiben. Ein Beispiel wäre ein Schweizer Mönch, der durch seine Smartwatch beim Pikett im Gegensatz zu früher an den Gottesdiensten teilnehmen kann, ohne wichtige Nachrichten zu verpassen. Digitale Medien werden als Ressource verstanden, auf welche die Mönche zurückgreifen können. So verwenden viele Mönche und Nonnen die digitalen Medien zur Aufrechterhaltung und Pflege von Kontakten, Freundschaften und Familienbanden. Insbesondere wird das Potential digitaler Medien für die Bildung gesehen. Ein Abt im Heiligen Land sagt etwa aus, dass die Möglichkeit, Quellen online zu lesen, ihm erlaubt seine Recherchen für theologische Artikel vom Kloster aus zu schreiben. Er bräuchte dazu nicht jedes Mal mehr in die Bibliothek nach Jerusalem zu reisen. Eine interviewte Nonne in einem französischsprechenden Kloster bringt das Potential digitaler Medien auf den Punkt: Die Herausforderung sei, digitale Medien zur formation – Bildung – und nicht ausschliesslich zur information zu verwenden.

    Die Digitalisierung wird indes auch als potentielle Gefahr für die Kontemplation und als mögliche Ablenkungsquelle verstanden. Geht es doch im Kloster um „Weltentsagung“ und „Weltverzicht“ (Laboa 2007). Ein Mönch sagte uns etwa, „im Kloster geht es darum, die Welt hinter sich zurückzulassen – mit dem Smartphone hat man aber die Welt immer in der Tasche“. Und nach einem österreichischen Abt „ist seit dem Smartphone die Klausur Geschichte“ – die Klausur ist nichts weniger als der zentrale Rückzugsort und Herz eines Klosters.

    Wie gehen die Klostergemeinschaften mit den Herausforderungen digitaler Medien um?

    Die Herausforderungen der Digitalisierung wirken auf nahezu alle Bereiche des Lebens ein und machen auch vor den Türen von Klöstern nicht halt. Zwei sehr deutliche Themenfelder lassen sich in unserer breiten Erhebung bei der Bewältigung digitaler Herausforderungen identifizieren (Danko und Rost, 2023): Selbstverantwortung als Mönch oder Nonne sowie Gespräche und Bewusstseinsbildung in der Gemeinschaft.

    Diese und wie auch weitere zentrale Themen einer mönchischen Lebensweise haben ihre frühesten Wurzeln bei den sogenannten Wüstenvätern. Die Waisenväter und -mütter waren frühchristliche Eremiten, welche sich ab dem späten 3. Jahrhundert – zuerst in Ägypten – in die Wüste zurückzogen, um sich in einem asketischen Leben Gott zu widmen. Der spätere Gründer des traditionsreichen Benediktinerorderns, Benedikt von Nursia, war von diesen Wüstenvätern inspiriert. Das Verständnis vom Leben „alleine in Gemeinschaft“ findet sich auch noch in heutigen Benediktinischen Gemeinschaften und erklärt neben den strengen Regeln und Gehorsam den demokratischen Charakter vieler Ordenstraditionen. Klöster sind nämlich ausdrücklich partizipative Organisationen (Danko und Rost, 2023): Oftmals wird der Abt oder die Äbtissin von der ganzen Gemeinschaft gewählt, die gesamte Gemeinschaft wird bei wichtigen Entscheidungen miteinbezogen und es finden sich viele Formen der Machtbeschränkung, zum Beispiel demokratisch legitimierte Kontroll- und Beratungsinstanzen.

     

    In der Tradition der Wüstenväter sind Klöster Meister der Askese und des Fokus auf das Wesentliche – was das für den/die Einzelnen bedeuten mag.

     

     

    Mit den Wurzeln in der asketischen Lebensform der frühchristlichen Wüstenväter und -mütter, deren Philosophie von Askese und tiefer innerer Einkehr geprägt war, spielt die Entwicklung individueller Fähigkeiten eine wichtige Rolle. Dem Thema der Reifung und Selbstverantwortung kommt also eine wichtige Rolle im Klosterkontext zu. Als Meister der Enthaltsamkeit und der Fokussierung auf „das Wesentliche“ – was auch immer das für den Einzelnen bedeuten mag – lassen sich unter anderem folgende Aspekte aus dem Leben der Mönche hervorheben.

    In vielen Klöstern stellt eine Art "digitale Askese" eine Übergangsphase dar, ein „rite de passage“, in der Mönche und Nonnen lernen, mit digitalen Werkzeugen umzugehen (Danko, Rost und Golan, forthcoming). Ein zentrales Element dabei ist die Erlernung der Fähigkeit zur Enthaltsamkeit. Diese kann in der bewussten Abstinenz von digitalen Medien mittels Techniken der Selbstbeschränkung gesehen werden, die verschiedene Formen annehmen. So gibt es in einigen Klöstern bestimmte Zeiten, in denen der Gebrauch von digitalen Medien vermieden wird, etwa während Mahlzeiten oder Gottesdiensten. Darüber hinaus können spezielle Filter eingesetzt werden, um das Informationsangebot zu begrenzen und Ablenkungen zu minimieren. Mönche erzählen aber auch davon, dass sie bei der Arbeit bewusst ihr Smartphone im Zimmer lassen. Ein Mönch im Heiligen Land berichtet, dass er als Bildschirmschoner eine Wüste hat, welche ihn an die Ursprünge des Klosterlebens erinnert.

    Ein weiterer Aspekt ist die Besinnung auf das Wesentliche. Die Benediktsregel (Regula Benedicti), die zentrale Schrift in der westlichen Mönchstradition, legt grossen Wert auf ein einfaches, enthaltsames Leben, das auf die geistliche Vertiefung ausgerichtet ist. Diese Haltung kann auch auf den Umgang mit digitalen Medien angewandt werden, indem nur solche Technologien und Anwendungen genutzt werden, die wirklich notwendig sind und zur persönlichen und gemeinschaftlichen Entwicklung beitragen. Immer wieder wird in den Gesprächen ersichtlich, dass sich die Mönche ihrer Praxis unter Einbezug dieser wichtigen Regeln vergewissern. Insgesamt zeigt sich, dass die Klostergemeinschaften ihre Jahrhunderte alten Traditionen und Prinzipien auf die Herausforderungen der Digitalisierung anwenden und so einen eigenen, auf ihre spirituellen Ziele ausgerichteten Weg in der digitalisierten Welt beschreiten.

    Dabei wird das Potential digitaler Medien genutzt, ohne dass die Grundwerte des Klosterlebens in den Hintergrund treten. Die Tugendbasis dient gewissermassen als Kompass über die letzten Jahrhunderte. Darüber hinaus werden die Mönche über das strikte Einhalten von wesentlichen Zeiten, wie Mahlzeiten und Gottesdienste, immer wieder aus dem Weltlichen und der Ablenkung zum Wesentlichen gebracht. Solche festgelegten Abstinenzzeiten und das Fokussieren auf das Wesentliche sind auch Ansätze, die sich in der heutigen Zeit umsetzen lassen.

    Schliesslich kann das traditionelle Verhandeln, gemeinschaftliche Austauschen und gegenseitige Konsultieren auf Basis dieser geteilten Werte zu einem reflektierteren Umgang mit der Digitalisierung führen. „Digitalisierung“ wird also in einem steten Wechselspiel von individueller Selbstvergewisserung und gemeinschaftlicher Bewusstseinbildung verhandelt.

    Wie entwickelt sich die Digitalisierung im Kloster?

    Die Frage, wie sich die Digitalisierung in Klöstern entwickeln wird, lässt sich natürlich nicht pauschal beantworten. Dennoch lassen sich entlang der Dimensionen von Gemeinschaft und Individuum zwei Reflexionsfelder identifizieren: Die Entwicklung des Selbstbildes von Ordensleuten und -Gemeinschaften sowie damit verbunden eine Divergenz von progressiven und traditionellen Klöstern.

    Ein zentraler Aspekt der Digitalisierung in Klöstern betrifft die Selbstdarstellung und das Selbstbild der Klostergemeinschaften. So zeigt eine Untersuchung von 50 Facebook-Profilen österreichischer und deutscher Mönche, dass die sozialen Medien zunehmend für die Selbstdarstellung genutzt werden (Jonveaux, 2013). Es entstehen Bilder von "coolen“, zeitgemässen Mönchen, die die traditionellen Vorstellungen vom Klosterleben herausfordern. Andererseits finden sich auch bewusst traditionelle Mönchs- und Gemeinschaftsbilder, wo etwa moderne Technologien bewusst keinen Teil des präsentierten Selbstbildes darstellen.

    Es ist wichtig anzumerken, dass nicht alle katholischen Orden und Klöster die gleiche Herangehensweise an die Digitalisierung haben. Jeder Orden hat seit je her seine eigene Spiritualität, Tradition und Gemeinschaftskultur, die sich auf die Art und Weise auswirken, wie sie mit den Veränderungen umgehen. So schotten einige Orden ihre Mitglieder strikt von der Aussenwelt ab, während andere Orden von ihren Mitgliedern verlangen, mit der säkularen Welt zu interagieren, indem sie lehren, Missionsarbeit oder Sozialarbeit leisten (Schwaiger and Heim 2008). Auch innerhalb von Orden gibt es grosse Unterschiede im Umgang mit Digitalisierung. In einem untersuchten Doppelkloster im Heiligen Land etwa zeigt sich, wie unterschiedlich einzelne Gemeinschaften Digitalisierung ausgestalten können. Obwohl die Lebensbedingungen und die Organisationsweise im Doppelkloster beinahe identisch sind und autonom geregelt werden können, ist das IT-Verhalten der Mönche um einiges ausgeprägter als dasjenige der Nonnen. Bei den Mönchen besitzen alle ein Smartphone und benutzen dieses regelmässig, für die Arbeit aber auch in der Freizeit. In der Schwesterngemeinschaft ist die «IT-Literacy» indes wenig ausgeprägt – eine Schwester beschreibt sich denn auch als «Einäugige unter Blinden». in der ganzen Frauengemeinschaft brauchen sie zusammen regelmässig nur ein Smartphone. Grosse Unterschiede bestehen auch beim Durchschnittsalter und der Grösse der Gemeinschaft, den Tätigkeitsfeldern, anderen Organisationsweisen und in den sozialen und politischen Kontexten. All diese Faktoren können dazu führen, dass sich verschiedene Tempi und Verhaltensweisen gegenüber der Digitalisierung herausstellen.

    Während sich heute etwa einzelne progressive Gemeinschaften mit Blockchain und Kryptowährungen auseinandersetzen, ist in Gesprächen mit jüngeren Mönchen in konservativeren Gemeinschaften durchgedrungen, dass sie von chatGPT noch nichts gehört hatten. Einige Mönche und Gemeinschaften verfolgen die technologischen Entwicklungen aber genau. Die dezentralisierte, inhärent demokratische, und auf lange und unbestechliche Archivierung ausgelegte Blockchain-Technologie könnte per se eine gute Passung für den Klosterkontext darstellen.

    In einem digitalisierungsfreundlichen Schweizer Kloster wurden bereits Bitcoinspenden diskutiert und ein Blockchainprojekt eines Schülers der Klosterschule gefördert. Der Abt dieses Schweizer Klosters sagte entsprechend aus, dass die Gemeinschaft ein Abbild der Gesellschaft sei. Aber die Mönche dieses Klosters sagen auch, dass sie nichts überstürzen möchten: Sie führen eine Technologie im Kleinen ein und dann breiter, wenn sich die Technologie bewährt.

    Wenn die Vergangenheit eine Lehrmeisterin ist, werden es Klöster wohl lösen wie bereits in den letzten Jahrhunderten: Mittels der Besinnung auf Werte der Gemeinschaft und mittels Austausches selbstverantwortlicher Mitglieder. Dies liesse sich auch auf heutige Organisationen übertragen, wo Digitalisierung nicht selten „von oben“ diktiert wird.

    Wie sind Klöster heute in Sachen Digitalisierung relevant?

    In der modernen Zeit könnten Organisationen und Einzelne – unter Berücksichtigung der eigenen Situation – von den Klöstern und Mönchen lernen. So findet in jüngster Zeit etwa bei führenden Technologie-Unternehmen die Entwicklung statt, dass Arbeit zunehmend mit religiösen Kategorien zusammenfällt, um ein gewisses „religiöses Vakuum“ zu füllen (Chen, 2022). Wo aber die Besinnung auf Tugenden der Bescheidenheit fehlschlägt, und bewährte Strukturen ausgehebelt werden, kommt es historisch betrachtet zu ausuferndem Verhalten und Missmanagement – auch im Kloster (Rost et al. 2010). Unsere präliminäre Forschung in europäischen Klöstern zeigt, dass es einen gewissen Lerneffekt bei Klöstern gibt, der sich in einem vermeintlich paradoxen Umgang mit Digitalisierung zeigt. So sind Klöster, je älter die Ordenstradition, der sie angehören, innovativer, aber auch vorsichtiger bezüglich digitaler Medien. Insbesondere schützen sie ihre traditionellen Organisationskern, indem sie etwa gemeinschaftliche Massnahmen gegen die negativen Folgen der Digitalisierung treffen.

    Obwohl das nicht unbedingt mit einer bestimmten religiösen Ausrichtung in Verbindung steht, Rückzug und Besinnung auf das Wesentliche bleiben (gerade auch) in der modernen digitalisierten Welt attraktiv. So erfreuen sich bei verschiedenen Berufstätigen Kloster auf Zeit und Exerzitien zum digitalen Detoxen grosser Beliebtheit. Eine Frage also, die sich durch die Menschheitsgeschichte zieht und sich seit Jahrhunderten auch Klostergemeinschaften stellen: Ist weniger mehr? Klöster könnten mit ihren asketischen Prinzipien, elaborierten Governance-Mechanismen und ihrer partizipativen Organisation und Langfrist-Orientierung eine mögliche Inspirationsquelle sein.

     

    References

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    Smith, N. 2009. The Economics of Monasticism: George Mason University.

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    Weber, Max. 1958. Wirtschaftsgeschichte. Abriss der universalen Sozial-und Wirtschaftsgeschichte. Duncker and Humblot: Berlin.

    —. 1973. Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre. Tubingen: J. C. B. Mohr.