Der erste Text aus dem Projekt "Lit-Philo" ist da! Verfasst wurde er zusammen von Sonja Crone, welche die Gedichte geschrieben hat, und Simone Olivadoti, der den philosophischen Input gegeben hat.

 

Die Wahrheit im Wind

Eine junge Dichterin, die vor kurzem Freges Schriften entdeckte, pilgerte zu seinem Grab. Als sie dort ankam, war die Nacht schon alt, der Friedhof war leer und in der Stille heulte der Wind. Sie beugte sich über sein Grab und der Wind antwortete auf ihre Fragen.

 

Sag mir, wenn die Logik die Gesetze der Wahrheit erkennen muss, was macht dann die Poesie mit diesen Gesetzen? Und mit den Gedanken überhaupt?

 

Die Poesie spielt mit Sinn
indem sie Bedeutung
in fremde Kontexte setzt
lässt sie Bedeutung offen

 

Aber wo finde ich diese Gedanken, mit denen ich als Dichterin spielen will?

 

Tief unter der Erde
einer anderen Zeit
erntest du
nackte Gedanken

Wenn du sprichst
pflückst du Bedeutung
umgarnst Sinn

Schenkst du
der Differenz
durch Worte
ein Kleid

 

Ich verstehe nicht, wie mir Gedanken überhaupt etwas sein sollen? Was ist denn ihre Bedeutung? Und welche Rolle spielen Sinn und Bedeutung für unsere Erkenntnis?

 

Bliebe ich
bei meiner Vorstellung
von dir; bei meiner Vorstellung
von Raum und Zeit,
bliebe ich getrennt von dir,
getrennt von Zeit und Raum.

Doch meine Sprache schlägt eine Brücke.
Und so halte ich Sinn, wie eine Königin
Stab und Apfel, damit du mir nicht abhandenkommst.

 

Bedeutet Philosophie nicht auch die Liebe zur Weisheit? Und ist deine Suche nach Erkenntnis nicht auch eine Leidenschaft?

 

Gedanken führen mich
in ihre Gemächer
aus den Kleidern
schäle ich
ihre
Bedeutung;
sie küsst mich
und ich fasse
meine Liebe
in Worte –

 

Wie unterscheidet sich deine Liebe für die Gedanken von deiner Liebe für die Sprache?    

   

Gedanken sind
meine Schlösser
Sprache
mein Weinberg

 

Sie blickte in den Himmel und als eine Wolke vorbeizog, die den Abendstern freigab, heulte der Wind ein letztes Mal:

 

Du hast diese eine
Bedeutung: meine Liebe.

Ob nah oder fern,
aus welchem Blickwinkel
ich dich betrachte,
ob ich deinen Kopf oder Fuß taste,
ist einmal Fuß einmal Kopf
dein Sinn, ist dein Sinn einmal
fern oder nah.

Doch was bleibt ist
diese eine Bedeutung,
du: meine Liebe.

 

Nach diesen letzten Worten setzte sie sich neben das Grab, griff nach dem davonziehenden Wind und trug etwas von seiner Wahrheit mit sich.

 

 

 

Als Textgrundlage dienten:

Frege Gottlob (1918). Der Gedanke. Eine logische  Untersuchung. In: Gottlob Frege (1966). Logische Untersuchungen. Günther Patzig (Hrsg.). Vandenhoeck & Ruprecht.

– Frege, Gottlob (2019). Über Sinn und Bedeutung. Reclam Philipp Jun.