Lit-Philo

Philosophie und Literatur

Das Konzept, von Simone Olivadoti

Philosophie und Literatur stehen sich näher, als man vielleicht glauben mag. Im Grunde kann man sie auch zwei Seiten derselben Medaille nennen. Literatur tut vieles, und ich will hier nicht den Anspruch erheben, das Wesen der Literatur zu treffen oder mit dieser Aussage alle Arten oder Genres der Literatur einzufangen, aber ich will trotzdem behaupten: Literatur tut vor allem eines – das Leben und die Welt erforschen. Beides versucht sie irgendwie zu beschreiben. Und bezüglich der Philosophie will ich (mit demselben bescheidenen Anspruch) behaupten: Sie tut dasselbe.

Man kann einwenden; auch wütend werden; irgendwelche Grenzen heraufbeschwören – vielleicht solche zwischen akademischer oder analytischer Philosophie und zwischen kontinentaler oder literarischer Philosophie. Man kann auch protestieren, dass dieser oder jene eigentlich gar kein:e Philosoph:in ist, sondern ein Essayist oder eben: ein:e Literat:in. Den umgekehrten Weg kann man natürlich auch einschlagen. Ich verstehe nur das Bedürfnis nach klaren Grenzen nicht. Vielleicht auch einfach, weil ich nirgendwo welche sehe: Freges Schriften sind zweifellos philosophisch, aber sie haben auch eine gewisse Literarizität; Wittgensteins logisch-philosophische Abhandlung ist in meinen Augen genauso ein Werk der Kunst wie eines der Wissenschaft. Und die platonischen Dialoge sind doch auch Theaterstücke (vielleicht wurden sie sogar einmal aufgeführt?). Mit Nietzsches Gedanken kann ich zwar nicht viel anfangen, aber auch seine Schriften sind meiner Meinung nach beides: Literatur und Philosophie. Und was ist mit Hermann Hesses "Siddharta"? Oder mit George Orwells "1984" und "Animal Farm"? Nicht zu schweigen von Lewis Carolls "Alice in Wonderland" (um nur einige zu nennen). Was gewinnt man eigentlich, wenn man diese Grenzen zieht? In der Sache selbst scheinen sie ja nicht zu liegen.

Da sind also keine Grenze oder Mauern zwischen Philosophie und Literatur und mit unserem Projekt "Lit-Philo" wollen wir die Abwesenheit dieser Grenzen aufzeigen, indem wir jeweils 10 Philosoph:innen und 10 Literat:innen zu einem gemeinsamen Schaffungsprozess führen, bei dem Texte resultieren, welche die Verbindung zwischen Philosophie und Literatur verkörpern.

Konkret wird den Teilnehmer:innen eine von zwei Modalitäten zur Verfügung stehen: In der ersten verfassen sie gemeinsam einen Text. In der zweiten findet ein Rollentausch statt – ein:e Philosoph:in schreibt einen literarischen Text, woraufhin ein:e Literat:in mit einem philosophischen Text reagiert oder umgekehrt. Weiter wird es zwei zeitliche Blöcke geben, wobei die erste Hälfte der Texte im ersten Block geschrieben und anschliessend auf dieser Seite publiziert wird, und die zweite Hälfte dann im zweiten Block geschrieben und publiziert wird. Dadurch soll den Leser:innen der diskursive Charakter des Projektes sowie der Texte klarer werden.

Die Verbindung zwischen Literatur und Philosophie wird aber nicht nur mit den Texten gezeigt, sondern wird schon zu Beginn des Projektes gelebt, in dem Philosoph:innen und Literat:innen in einen Dialog treten, in dem sich ihre Tätigkeiten; ihre Leidenschaften und Berufungen schon immer befanden.

Bemerkung: Diesem Text lag ursprünglich ein anderer zugrunde, der zur Thematik das Auseinanderdriften von Philosophie und Literatur hatte. Anstoss zur Überarbeitung hat die Startschuss-Veranstaltung am 01.06.2024 in den Vignes du Pasquart Reben gegeben, bei der sehr leidenschaftlich und zielführend über das Verhältnis zwischen Literatur und Philosophie diskutiert wurde.