Der Transhumanismus als politische Bewegung

Der sogenannte Transhumanismus erlangt die Aufmerksamkeit einer immer breiteren Öffentlichkeit. Diese Bewegung begrüßt und unterstützt die Weiterentwicklung der Menschen bzw. der menschlichen Art durch Technologie hin zu Posthumanen.

    Der sogenannte Transhumanismus erlangt die Aufmerksamkeit einer immer breiteren Öffentlichkeit. Diese Bewegung begrüßt und unterstützt die Weiterentwicklung der Menschen bzw. der menschlichen Art durch Technologie hin zu Posthumanen. (Aus Gründen der Einfachheit werde ich wie meist üblich „Transhumanismus“ sowohl als Name für die Position als auch für die Bewegung verwenden.) Insbesondere wird auf Möglichkeiten der Gen-, Nano- und Informationstechnologie sowie Technologien der Lebensverlängerung gesetzt, von Geneingriffen über Implantate bis hin zu erhofften Techniken der Whole Brain Emulation (Mind Uploading) oder Lebensverlängerung durch Kryokonservierung. Unter anderem zeigt sich die Vielfalt der Bewegung in der Frage, inwiefern eine solche „Verbesserung“ physiologischer, kognitiver oder psychischer Fähigkeiten hin zu einem posthumanen Dasein an derzeit bzw. in naher Zukunft existierenden Individuen oder nur in einer längeren Generationenabfolge zu erreichen ist. Medial besonders im Rampenlicht stehen seit einigen Jahren der Leiter der technischen Entwicklung bei Google, Ray Kurzweil (The Singularity is Near: When Humans Transcend Biology 2005), und der Philosoph Nick Bostrom (Superintelligence. Paths, Dangers, Strategies 2014). Beide sind innerhalb des Transhumanismus jedoch keineswegs unumstritten.

    Politisierung: Nach Jahrzehnten der Ideenentfaltung zwischen Science Fiction, Wissenschaft und Philosophie beginnen sich Teile der transhumanistischen Bewegung politisch zu organisieren. In mehreren Ländern sind transhumanistische Parteien in Gründung bzw. wurden solche vor kurzem gegründet. In Deutschland soll es am 27. September in Stuttgart so weit sein (www.transhumane-partei.de). Leitpositionen oder Parteiprogramm lagen bis 18. August jedoch noch nicht vor. Im Unterschied dazu wartet die US-Transhumanistische Parteii sogar mit einem Präsidentschaftskandidaten auf, Zoltan Istvan, der die Partei im Oktober 2014 selbst gegründet hat. Obzwar unter den gegenwärtigen Umständen keinerlei Chance auf einen Sieg besteht, bringt die Kampagne transhumanistische Anliegen an eine breitere Öffentlichkeit. So gibt es Interviews für die Financial Times, Fox News und zahlreiche Artikel, selbst in deutschsprachigen Medien wie auf WIRED Germany („Wird der nächste US-Präsident ein Cyborg sein?“ii). Istvan konnte seine Ideen auch in der Huffington Post darlegen. In Einklang mit den Grundpositionen des Transhumanismus erklärt er als seine ersten beiden Ziele: „1. Attempt to do everything possible to make it so this country’s amazing scientists and technologists have resources to overcome human death and aging within 15-20 years [….]. 2) Create a cultural mindset in America that embracing and producing radical technology and science is in the best interest of our nation and species. 

    Utopismus: Als Position verstanden, die zu ihren Grundprinzipien zählt, Wissenschaft, Technik und Medizin können und sollen das Wohl der Menschen befördern, wäre der Transhumanismus in technologischen Gesellschaften keineswegs revolutionär, sondern eher trivial. So betitelte Dieter Birnbacher jüngst einen Beitrag zum Transhumanismus in einem Sonderband der Zeitschrift Aufklärung und Kritikiii (Band 3, 2015) mit „Transhumanismus – Provokation oder Trivialität?“. Das revolutionäre Pathos, mit dem sich die Transhumanist(inn)en oft präsentieren, wäre einfach nur Übertreibung. Der Transhumanismus sollte den Menschen aber schon deshalb näher gehen, weil es ihm vor allem um Technologien zu tun ist, die den Menschen im wahrsten Sinne des Wortes auf den Leib rücken und unter die Haut gehen, und zwar nicht nur für kompensatorische Zwecke oder im Rahmen des bislang an Menschen Möglichen. Es sollen gänzlich neue Fähigkeiten und Erlebnisräume eröffnet werden und als eines der Hauptziele die Überwindung menschlichen Leidens und des biologischen Todes. Die Transhumanist Declaration formuliert entsprechend: “We envision the possibility of broadening human potential by overcoming aging, cognitive shortcomings, involuntary suffering, and our confinement to planet Earth.” (http://humanityplus.org/philosophy/transhumanist-declaration/) Der Transhumanismus zieht sowohl seine Anziehungskraft als auch Provokation aus diesen weitreichenden, utopischen Visionen einer posthumanen Zukunft, auch wenn es sich keineswegs um die gefährlichste Idee der Welt handeln mag. Diese Einschätzung durch Francis Fukuyama („Transhumanism“, Foreign Policy, September-Oktober 2004) wird gerne herangezogen, um die Wichtigkeit des Transhumanismus zu unterstreichen. 

    Alarmismus und existentielle Dramatisierung: Vor allem der politische Transhumanismus stellt jedoch nicht nur Möglichkeiten in den Raum und beurteilt diese als grundsätzlich erstrebenswert, sondern verbindet diese mit einem Alarmismus und betreibt existentielle Dramatisierung, wie dies beispielsweise in oben erwähntem Band der Zeitschrift Aufklärung und Kritik von Sascha Dickeliv überzeugend ausgeführt wird. Dem Hoffnungs- wird eine Bedrohungsszenario beigestellt: Das Leben (zukünftiger) Menschen wäre nicht einfach nur so, wie es jetzt ist oder mit moderaten Verbesserungen, sondern es droht der Untergang der Spezies oder die Versklavung der Menschen durch überlegene künstliche Intelligenzen, weshalb wir schon heute nach- und aufrüsten müssten. 

    Aus Utopismus und Alarmismus speist sich das politische Potential, das weit über philosophische Aspekte des Transhumanismus hinausgeht und wohl nicht einmal auf die Unterstützung aller Transhumanist(inn)en zählen kann.

    Feindbild und Alternativen: Als Gegner(innen) werden von Transhumanist(inn)en die von ihnen sogenannten Biokonservativen wie Leon R. Kass gesehen, der der Bioethikkommission des amerikanischen Präsidenten Bush vorsaß, die 2003 den Bericht Beyond Therapyv verfasste. (Zur Problematik von Ethikkommissionen siehe auch Siegetsleitner 2011 in Cultural and Ethical Turnsvi). Biokonservative wären nicht nur grundsätzlich technikfeindlich, sondern nähmen in Kauf, was laut vielen Transhumanist(inn)en droht, wenn nicht schnellstens gehandelt werde. „Biokonservative Passivität bedeutet den sicheren Tod. Transhumanistische Aktivität eröffnet die Chance auf Unsterblichkeit.“ (So Dickel, Aufklärung und Kritik 2015 (3), 268 f.vii, in kritischem Ton) Damit wird eine simple Dichotomie suggeriert, wo es vielerlei Alternativen gibt. Man kann für Human Enhancement eintreten und auf Technologie vertrauen, wenn es um eine Verbesserung menschlichen Wohlergehens geht, ohne den Utopismus und/oder Alarmismus des Transhumanismus als politischer Bewegung zu teilen. Die Alternativen sind zahlreich und können ernstnehmen, was die transhumanistischen Parteien als nebensächlich und nachrangig betrachten, wenn sie wie Istvan behaupten: „The future is less about social security, climate change, immigrant border traffic, taxes, terrorism, the economy, and the myriad other issues that flash across news headlines every day--and more about how far we are willing to use science and technology to fundamentally alter the human being and experience.” (http://www.huffingtonpost.com/zoltan-istvan/should-a-transhumanist-be_b_5949688.html

    Transhumanistische Ideen sind durchaus hilfreich, herkömmliche philosophische Positionen herauszufordern, und sie reagieren auf weitreichende technologische Veränderungen, deren moralische und politische Beurteilung nicht ignoriert werden können. Der Transhumanismus als politische Bewegung geht (bisher) jedoch viel weiter und setzt (1) auf Zukunftsspekulationen, die als Hoffnungen nicht kritisierbar sein mögen, jedoch über seriöse Prognosen weit hinausgehen, (2) auf Alarmismus und (3) auf die Abwertung anderer Herausforderungen.