Die Liebe ist eine tolle Sache, und es ist herrlich, wenn sie gelingt. Aber interessant, spannend oder auch unterhaltsam – etwa aus Sicht von Kinobesuchern oder Literaturliebhabern – sind Geschichten über die Liebe meist nur dann, wenn die Liebe nicht gelingt; wenn sie vielleicht sogar grandios oder dramatisch scheitert. Stellen wir uns einen Film über eine auf Anhieb gelingende und sich „bis ans Ende ihrer Tage“ gänzlich problemlos fortentwickelnde Liebesbeziehung vor. Verstehen Sie mich nicht falsch, Ihnen persönlich würde ich eine solche Geschichte wünschen. Aber mal ehrlich: Wer will das sehen?
Auf die Gefahr gröbster Vereinfachung hin, kann man die wirklich spannenden Love Storys dieser Welt in zwei Klassen einteilen. Grundvariante 1: Sie lieben sich, aber sie kriegen sich (lange Zeit) nicht. Grundvariante 2: Sie kriegen sich, aber sie lieben sich nicht (mehr). Denkbar wäre auch eine dritte Variante. Sie lieben sich nicht, und sie kriegen sich auch nicht. Doch mit dieser Storyline mag man spannende Actionfilme, Politthriller oder hochauflösende Dokumentationen drehen, aber keine Liebesfilme im engeren Sinn. Vielleicht kramen Sie bereits in Ihren Erinnerungen und meinen, dass es sehr wohl noch weitere Grundmuster gibt. Variante 4 zum Beispiel: Die Beiden haben sich einmal geliebt, jetzt aber lieben sie sich nicht mehr. Oder Variante 5: Sie haben sich einmal geliebt, und im Grunde lieben sie sich immer noch. Oder auch Variante 6: Sie lieben sich scheinbar noch nicht, weil sie „beste Freunde“ sind... Bei genauerem Hinsehen jedoch handelt es sich stets um Spezialfälle oder auch Mischformen der beiden Grundkonstellationen 1 und 2.
Besonders dramatisch wird das Geschehen meist erst dann, wenn zwischen die Beteiligten – bei aller Liebe – aggressive bis feindliche Gefühle treten: Eifersucht, Wut, Abscheu, Verachtung oder gar Hass. Im letzteren Fall spricht man gelegentlich auch von einer „Hassliebe“. Das klingt auf Anhieb paradox, zumindest aber fragwürdig: Wie passen Liebe und Hass zusammen? Drei Antworten sind denkbar:
(1) Der Hass ist das genaue Gegenteil von Liebe. Er fängt dort an, wo die Liebe aufhört. Eine Person, die hasst, liebt bereits nicht mehr (These vom Ausschluss);
(2) Der Hass ist das Salz in der Suppe der Liebe. Sie gibt ihr überhaupt erst jene Leidenschaft, die die Liebe braucht, um nicht einzuschlafen (These vom Einschluss);
(3) Der Hass kann zur Liebe hinzutreten, ohne es zu müssen. Man kann mit, aber auch ohne Hass lieben (These von der relativen Unabhängigkeit).
Auf den ersten Blick scheint Vieles für These 1 und wenig bis gar nichts für These 2 zu sprechen. Ein feindliches Gefühl wie der Hass muss der Anfang vom Ende der Liebe sein, wie schon Sören Kierkegaard gesagt haben soll: „Der Hass ist die Liebe, die gescheitert ist“. Zugleich aber wird fast jeder Mensch, der schon einmal leidenschaftlich (und auch längerfristig) geliebt hat, zugeben müssen, dass Episoden gröbster Feindseligkeiten sehr wohl auch in der Liebe vorkommen können. Daher wird jede nicht-naive Philosophie der Liebe eine Variante der dritten These vertreten müssen. Etwa diese: Der Hass ist eine Art „Schlagseite“ der Liebe. Hier neigt sich die Liebe, wie ein kenterndes Boot, dem Untergang entgegen, ohne jedoch zwangsläufig untergehen zu müssen. Es wird sich angesichts des Hasses also herausstellen müssen, ob die Betroffenen wirklich lieben, ob sie noch lieben oder schon nicht mehr. Folglich kann man – zumindest temporär – sehr wohl auch mit Hass lieben.
Aber kann man auch ohne, dass man liebt, hassen? Auch dies scheint auf den ersten Blick möglich, wenn man z.B. an religiösen oder xenophoben Hass denkt. Mit etwas tiefenpsychologischem Gespür jedoch wird man feststellen: Wir hassen im Grunde nur das, was wir zugleich auch irgendwie wertschätzen. Selbst im Fremdenhass entlädt sich eine seltsam panische Faszination für das Andere, Fremde, „Exotische“ und damit zugleich auch eine ungewollte, libidinös besetzte Überidentifikation mit dem Hassobjekt, die gewaltsam „abgewehrt“ werden muss. Menschen hingegen, die uns vollends „kalt“ lassen, können in uns schwerlich die Glut des Hasses entfachen. Damit stellt sich unweigerlich die Frage, was der Hass sonst ist, wenn nicht einfach das Gegenteil von Liebe. Betrachten wir dazu die drei wichtigsten Anlässe für Hass in Liebesbeziehungen:
(1) Unfairness. Manchmal nimmt sich einer der Partner unentwegt Dinge heraus, die er dem anderen nicht zugesteht oder gönnt. Die betreffende Person will ständig im Mittelpunkt stehen, beansprucht stets einen größeren Teil des gemeinsamen erwirtschafteten Haushalts für sich, vernachlässigt aber die korrespondierenden Pflichten, besteht darauf, Zeit auch mit anderen Personen oder gar Sexualpartnern zu verbringen, unterbindet das jedoch rigoros, wenn ihr Partner sich das auch wünscht. Dies alles kann zu Aggressionen, Wut und irgendwann auch Hass führen;
(2) Missachtung. Partner können sich sehr respektlos verhalten. Sie missachten die andere Person in Hinsichten, die für sie wichtig oder gar von existenzieller Bedeutung sind, bis diese sich nicht länger für „voll“ genommen fühlt. Es ist, als ob sie „Luft“ wäre. Bisweilen werden die Bedürfnisse und Anliegen der Betroffenen sogar gezielt verunglimpft. Es kommt zu Kränkungen, Erniedrigungen, Demütigungen. Und auch hier mögen die Aggressionen der missachteten Person dann mehr und mehr in Zorn und Hass ausarten;
(3) Liebesentzug: Auch dann, wenn jemand fürchtet, nicht mehr geliebt zu werden; wenn folglich ein dauerhafter Liebesentzug droht, z.B. weil der Partner jemand anderen gefunden hat und die Gefahr wächst, fortan allein zurückzubleiben, kann die andere Person gehasst werden, und zwar dafür, dass man nicht länger das Objekt ihrer Begierde und Sehnsucht ist. Man „verteufelt“ dann die andere Person für das, was sie einem zu nehmen droht, und zwar die gemeinsame Liebe.
Der Philosoph Aurel Kolnai hat einmal vom Hass als einem „Superlativ der Entfernung“. gesprochen. Mit „Entfernung“ ist hier zugleich beides gemeint: sich entfernen (im Sinne von „auf Distanz gehen“), aber auch etwas entfernen (im Sinne von „beseitigen“). Wer hasst, so Kolnai, will sich in maximale Distanz zum vormaligen Objekt der Begierde begeben, indem er das, was er nunmehr hasst, nicht bloß aus seiner Reichweite, seinem Leben oder seiner Erinnerung entfernt, sondern regelrecht zu vernichten sucht. Anders als bei der Liebe, in der wir einen Menschen geradezu unkritisch bejahen, wird der Mensch im Hass hyperkritisch verneint. Und wenn beides zugleich oder stets im Wechsel auftritt, kann man von einer „radikalen Ambivalenz“ sprechen.
Hass ist gleichwohl nur solange existent, wie auch das Objekt des Hasses existent bleibt. Hass basiert stets darauf, dass das Objekt eben doch nicht ganz verschwindet. Das ungute Gefühl des Hasses kann geradezu definiert werden als der Wunsch, das feindlich abgelehnte Objekt möge endlich verschwinden, gepaart mit der ständigen Frustration, dass es einfach nicht verschwinden will. Allerdings muss an dieser Stelle etwas Wichtiges hinzutreten, um die Wucht des Hasses erklären zu können, und zwar eine dezidiert moralische Zuschreibung: Der gehasste Andere muss für uns und unser Leiden (mit-)verantwortlich sein. Menschen können einander nur hassen, wenn sie sich die Schuld an etwas, das sie quält, geben. Sie müssen – zumindest subjektiv – der Auffassung sein, dass ihnen die gehasste Person etwas Schlechtes oder gar Böses will: „Sie wird mich betrügen, verlassen, immer weiter demütigen usw.“
Wenn aber nicht der Hass das Gegenteil von Liebe ist, was dann? Das Gegenteil von Liebe treffen wir dort, wo die Liebe endgültig erloschen ist ‑ dort, wo nicht mehr geliebt wird, aber eben darum auch kein Hass mehr vorhanden ist. Wer sagt: „Ich hasse dich einfach nur noch!“, ist vermutlich nicht ganz ehrlich, denn er oder sie scheint eben doch noch ein wenig zu lieben. Können wir dem Gegenteil von Liebe daher einen (anderen) Namen geben? Der Hass, so war behauptet worden, ist eine „Schlagseite der Liebe“, das völlige Gegenteil der Liebe aber ist die Gleichgültigkeit. Wem eine andere Person gleichgültig wird, hört auf zu lieben. Und aus ethischer, wenn auch nicht aus cineastischer oder literarischer Sicht, wird man wohl sagen müssen: Verglichen mit einer Hassliebe, kann Gleichgültigkeit durchaus die bessere Alternative sein.