Liebe und Politik gehen oftmals eine problematische Liaison ein. Zur Zeit sind es vor allem RechtspopulistInnen, die politisch an Liebe appellieren – an die Liebe zum Vaterland und zum eigenen Volk, zu den eigenen Werten und Traditionen. Und sie meinen damit eine äusserst exklusive Liebe, die nicht zuletzt bedeutet, andere, die nicht zu diesem „Volk“ gezählt werden, nicht zu lieben. Liebe birgt somit trotz ihrer auf den ersten Blick positiven Konnotation ähnliche Schwierigkeiten wie Angst oder Wut, deren Gefahr für gerechte Politik offen liegt. Sollte man Liebe daher aus dem politischen Diskurs ausschliessen? Sollte man Politik nur auf vernünftige Argumente basieren und den Rekurs auf Gefühle jeglicher Art vermeiden?
Die US-amerikanische Philosophin Martha Nussbaum widerspricht solchen Schlussfolgerungen. Sie fordert, dass man Emotionen stärker in Überlegungen zum guten Leben und zu gerechter Politik berücksichtigen sollte – und zwar, weil sie davon ausgeht, dass ein gutes Leben nicht möglich ist, wenn man Vernunft und Emotionen gegeneinander ausspielt und nicht berücksichtigt, dass beides grundlegend zum Menschsein gehört und daher auch politisch einbezogen werden muss.1
Dabei nimmt Nussbaum keineswegs an, dass Emotionen eine ausschliesslich positive Rolle in Ethik und Politik spielen. Ausführlich setzt sie sich mit der Bedrohung durch Angst (etwa mit Blick auf religiöse Intoleranz2) und Ekel (in Bezug auf die Diskriminierung von Homosexualität3) sowie mit der Ambivalenz von Mitgefühl und Liebe4 auseinander. Aber sie macht zugleich auf die vielfältige Bedeutung von Emotionen für gerechte Politik aufmerksam. So können Emotionen helfen, Werte zu verdeutlichen, deren Bedeutung rational nur schwer erkennbar ist. Und sie können auf besondere Weise zu Gerechtigkeit motivieren – besonders gelte dies für Mitgefühl und Liebe. Wo ich mit anderen Menschen mitfühle, ihr Schicksal nachempfinde, dort erschliesst sich mir, dass sie mir ähnlich sind und Anspruch auf ein gutes Leben haben, und ich bin stärker motiviert, dazu beizutragen, dass dieser Anspruch erfüllt wird.5
Ausgehend davon plädiert Nussbaum dafür, dass gerechte Politik auf drei Säulen ruhen müsse: gerechte politische Prinzipien (wie die Orientierung an Menschenwürde, an Gleichheit und Freiheit); die Bereitschaft zur Hinterfragung eigener Überzeugungen und Konsistenz in der Kritik anderer Überzeugungen und Praktiken; und nicht zuletzt eine Kultivierung der Emotionen. Emotionen stärker in der Politik zu berücksichtigen, erfordert demnach zum einen eine kritische Analyse, wo Emotionen gerechten Prinzipien entgegenwirken. Zum anderen müsse man die „inneren Augen“ kultivieren, das heisst, die Vorstellungskraft und die Fähigkeit, sich in andere hineinzufühlen ausbilden. Möglich sei dies etwa über Literatur, aber auch über Theater, Musik oder sogar Stadtplanung und Architektur, was sie je an einer Reihe von Beispielen illustriert (nicht zuletzt weil sie grundsätzlich davon ausgeht, dass man aufgrund der hohen Kontextabhängigkeit hier nur semi-theoretische Aussagen treffen kann, eben mit Blick auf solche Beispiele).
Nun stellt sich die Frage, wie überzeugend dieser Vorschlag zur Kultivierung der Emotionen ist – viele äussern hier Zweifel.6 In der Tat erscheint Nussbaums Darstellung sehr optimistisch bezüglich des Erfolgs der vorgeschlagenen Maßnahmen, zumal ihr Fokus auf Literatur, Theater und Oper vor allem hochkulturell geprägt ist. Es ist insofern zum einen notwendig, weiter zu überlegen, wie man eine solche Kultivierung der Emotionen noch anders leisten könnte. Zum anderen ist mehr noch zu fragen, ob man nicht grundsätzlich davon ausgehen muss, dass man nicht alle Menschen erreichen kann – und man insgesamt nicht auf einen solchen Konsens hoffen kann, den Nussbaum anzustreben scheint.7
Dennoch bieten ihre Überlegungen einen guten Anhaltspunkt für gerechte Politik. Und auch für den Umgang mit Populismus kann man sich durchaus an den drei Säulen orientieren: So sollte man Kritik üben, wo PopulistInnen grundlegende Werte und politische Prinzipien bedrohen; man sollte auch (selbst)kritisch fragen, wo etablierte Politik und gesellschaftliche Strukturen einen Nährboden für Populismus schaffen, etwa wenn soziale Benachteiligungen vernachlässigt werden; nicht zuletzt sollte man aber auch nicht davor zurückschrecken – positive – Gefühle in Bezug auf grundlegende Werte wie Menschenwürde und gleichen Respekt aktiv zu fördern und zu stärken. Wie dies im Einzelnen geschehen kann, dafür ist freilich noch einige Kreativität in der Umsetzung gefragt.
1 Konkret wird das in der von Nussbaum formulierten Fähigkeitenliste, die zehn grundlegende Aspekte menschlichen Lebens benennt – darunter neben Leben und Gesundheit sowohl Emotionen als auch praktische Vernunft – zu denen jeder Mensch befähigt werden sollte, da sie die Voraussetzung für jedes gute menschliche Leben darstellten.
2 Nussbaum (2014a).
3 Nussbaum (2010).
4 Z.B. in Nussbaum (2014b).
5 Nussbaum differenziert noch genauer zwischen Mitgefühl und Liebe. Laues Mitgefühl allein genüge nicht, notwendig sei ein Gefühl echter Verbundenheit, nämlich: Liebe.
6 Vgl. auch den Blogbeitrag von Martin Hartmann vom 28.4.2017.
7 Eine ähnliche Kritik formuliere ich in meiner Dissertationsschrift mit Blick auf Nussbaums Begriff der Universalität, Mügge 2017.
Literatur:
Mügge, Cornelia (2017): Menschenrechte, Geschlecht, Religion. Das Problem der Universalität und der Fähigkeitenansatz von Martha Nussbaum, Bielefeld.
Nussbaum, Martha (2010): From Disgust to Humanity: Sexual Orientation and Constitutional Law, Oxford
Dies. (2014a): Die neue religiöse Intoleranz: Ein Ausweg aus der Politik der Angst, Darmstadt.
Dies. (2014b): Politische Emotionen. Warum Liebe für Gerechtigkeit wichtig ist, Berlin.
Der Artikel basiert auf einem Vortrag bei der Evangelischen Akademiewoche in Hamburg am 30.10.2017