Wir neigen dazu, denjenigen Informationen stärker Glauben zu schenken, die unsere Einstellungen oder Erwartungen bestätigen. Das befeuert Fake News. Deshalb müssen wir unsere Denkfaulheit überwinden.
Kürzlich fand bei uns ein Workshop zum Thema Fake News statt. Ich habe dabei sehr viel über die Strategien derjenigen gelernt, die Fake News produzieren und verbreiten. Die wichtigste Erkenntnis des Tages, die mir geradezu die Augen geöffnet hat, war, wie ausgeklügelt die Macher von Fake News von unserer Neigung zur gedanklichen Bequemlichkeit profitieren. So dürfte einer der Gründe für den Erfolg vieler Fake News sein, dass deren Produzenten den sogenannten «confirmation bias» maximal auszunutzen wissen. Damit ist eine Art «Bestätigungsfehler» gemeint. Demnach neigen wir quasi automatisch dazu, denjenigen Informationen stärker Glauben zu schenken, die unsere Einstellungen oder Erwartungen bestätigen. Wer Frauen schon immer als zu wenig ehrgeizig für eine Führungsposition gehalten hat, wird sich von allen Meldungen, die ihn in dieser Einschätzung bestätigen, besonders angesprochen fühlen und anders lautende eher ignorieren.
Wenn Fake News sich gezielt solcher Methoden bedienen, dann besteht ein vielversprechendes Gegenmittel darin, unsere Tendenz zur Denkfaulheit zu überwinden. Ein erster Schritt auf diesem Weg besteht darin, sich der vielen Denkfehler, die wir ständig unbewusst machen, bewusst zu werden. Einem solchen Vorhaben haben sich schon einige namhafte Personen gewidmet, darunter Daniel Kahnemann, Wirtschaftsnobelpreisträger, mit dem Buch «Schnelles Denken, langsames Denken» oder der Schweizer Autor Rolf Dobelli mit «Die Kunst des klaren Denkens».
Unsere Denkfehler hängen aber nicht nur mit eingespielten, unreflektierten Urteilsmustern zusammen. Sie haben oft eine tieferliegende Ursache, nämlich problematische Haltungen und Einstellungen in Bezug auf das Denken und den Wissenserwerb an sich. Genau solchen problematischen Haltungen widmen sich immer mehr Philosophinnen und Philosophen unter dem Stichwort «epistemische (d. h. auf das Wissen bezogene) Laster». Was dazu momentan in der Philosophie veröffentlicht wird, gehört meiner Meinung nach zum Aufregendsten und Wichtigsten seit Jahren – nicht zuletzt, weil Wissen und Wahrheit als zentrale Werte derzeit immer stärker unter Druck geraten.
Doch was ist nun unter solchen sogenannten epistemischen Lastern zu verstehen? Das sind individuelle problematische Haltungen, die in irgendeiner Weise den Erwerb, das Bewahren oder das Teilen von Wissen behindern. Oder anders formuliert: Es handelt sich dabei um persönliche intellektuelle Fehler, die negative Folgen für unseren Umgang mit Wissen haben und deswegen kritikwürdig sind – so die Analyse des in England lehrenden Philosophen Quassim Cassam, der dazu jüngst ein Buch publiziert hat. Zu solchen problematischen Haltungen gehören etwa Engstirnigkeit, Arroganz, mangelnde Sorgfalt oder Denkfaulheit. An vielen politischen Beispielen zeigt er anschaulich, wie gefährlich und folgenreich diese Laster sein können, wenn insbesondere Personen mit viel Macht sie haben. So kann Engstirnigkeit dazu führen, dass neue Informationen nicht ernst genommen und abweichende Meinungen ignoriert werden – schlechte Voraussetzungen für gute Entscheidungen.
Wie behebt man aber zum Beispiel Engstirnigkeit? Das Problem mit vielen dieser Laster ist, dass die Betroffenen ja gerade wegen ihrer Engstirnigkeit oder Arroganz gar nicht sehen, dass sie allen Grund hätten, besser zuzuhören, Experten beizuziehen oder verschiedene Perspektiven kennen zu lernen. Da also die Aussicht auf individuelle Einsicht eher gering ist, sollten wir uns als Gesellschaft nicht scheuen, epistemische Laster ähnlich wie moralische Laster zu behandeln, das heisst, sie offen zu kritisieren. Engstirnige, arrogante, denkfaule und es mit der Wahrheit nicht genau nehmende Personen verdienen weder Applaus noch Follower – gleich wie viel Macht sie haben. Schauen wir uns lieber nach anderen Vorbildern um.