Philosophie treiben ist keine sonderlich dankbare Aufgabe – sofern sich als ›dankbar‹ verstehen lässt, was ohne ausgreifenden Aufwand reichlich Ertrag abwirft. Das liegt, wenn auch nicht zwingend einzig, so doch zumindest anhaltend daran, dass ohne Weiteres nicht zu sagen ist, welcher Art ein ›philosophischer Ertrag‹ sei und wo man ihn erwirtschafte. Auch an dieser Stelle wird man nicht erwarten dürfen, diese Unsicherheit behoben zu sehen. Doch immerhin lässt sie sich festigen respektive fokussieren und zwar dergestalt, dass sich der Initialsatz »Philosophie treiben ist keine sonderlich dankbare Aufgabe« bedenken lässt; wodurch man zumindest ins Philosophieren geraten kann, ohne jedoch auf dieser Grundlage genauestens angeben zu müssen – ja, nicht einmal zu können! –, was ›Philosophie‹ nun bedeute. Wenn das gelingt, hat dieser Text immerhin zweierlei erwirtschaftet: erstens darf sein Anfangssatz stehenbleiben; zweitens führt er auf das Paradox, mehr von Philosophie verstehen zu können, indem man sich dorthin wendet, wo sich weniger Verstehen von Philosophie zeigt.
Von Philosophie lässt sich, so die Minimalannahme des ersten Satzes, schon vorab soviel verstehen, dass ihre Beschreibung als widerborstiges und wenig einträgliches Unterfangen hernach hinzutritt. Genauer: Man muss schon ein Verständnis gröbster Art von ›Philosophie‹ haben, soll der Satz einen Zugewinn an Erkenntnis bedeuten. Die Behauptung, der Satz liefere eine Erkenntnis – für unseren Zweck ließe sich auch synonym sagen ›Sinn‹ – wird durch jeden hier stehenden Satz erneuert und erweitert, der auf ihn folgt, indem alles Nachstehende in weitestem Sinn eine Bezugnahme auf das Vorangegangene bildet. Das lässt sich als ein holzschnittartiges Modell des Philosophierens begreifen: ein Zugewinn an Erkenntnis durch Rückbezug auf schon Gekanntes. Die Philosophie hat, wie jede andere Wissenschaft auch, eine Vorahnung dessen, worauf zu reflektieren sich lohnte, sprich: als Wissenschaft besteht eine ihrer kardinalen Gemeinsamkeiten mit anderen Wissenschaften darin, dass sie sich zwar selbst erfindet, nicht aber ihren Gegenstand.
Für nicht-philosophische Wissenschaft hat das zur Folge, dass sie sich ihrer selbst in dem Maße sicherer wird, wie sie stetig festeren Zugriff auf ihren Gegenstand zu haben meint. Sollten beide Momente in Abhängigkeit stehen, ließen sich Zeichen von Unsicherheit bezüglich ›der‹ Philosophie als Folge der Intransparenz ihres Gegenstandes nehmen. Um nicht in die Verlegenheit zu geraten, von ›der‹ Philosophie sprechen zu müssen, wird vielerorts der Anspruch auf ›eine‹ Philosophie herabgestimmt. Was dann vermeintlich dazu dient, ›die‹ Philosophie genauer benennen zu können, hat dabei oft seinen Vorzug darin, so überhaupt erst von ›Philosophie‹ sprechen zu können.1 Die ›Teildisziplinen‹ bringen so für ihre Selbstreflexion in Anschlag, was Hans Blumenberg einmal mit Blick auf die Weite ihres (gemeinsamen) wissenschaftlichen Feldes behauptet hat: »Philosophie ist der Inbegriff von unbeweisbaren und unwiderlegbaren Behauptungen, die unter dem Gesichtspunkt ihrer Leistungsfähigkeit ausgewählt worden sind.« Das mache Philosopheme zu »Hypothesen«, die »ausschließlich etwas verstehen lassen, was sonst als ganz und gar Unbekanntes […] gegenüberstehen müßte.«2 Von hier aus wird verständlicher, warum in Belangen der Philosophie Selbstsicherheit zum Mindesten nicht gängig ist. Philosophie bezieht sich darauf, was sie für nicht weniger, aber auch nicht für mehr als möglich hält.
Die Einwände, damit sei zu wenig, wenn nicht gar Falsches gesagt, sind absehbar. Doch besteht die ›Leistungsfähigkeit‹ solchen Philosophierens auch darin, solcherlei Einwände selbst als immerhin möglich gelten zu lassen. Damit werden sie selbst zum Ausweis, wie ertragreich der Möglichkeitssinn als leitendes Organ des Philosophierens sein kann. Indem man Philosophie nicht zunächst über den Gegenstand ihrer Bezugnahme, sondern funktional über die Art der Relation kennzeichnet, gelangt man zu einem Integral des Philosophierens. Ihm eingeschrieben ist einerseits, dass anderer Wissenschaft zu überlassen bleibt, was einer definitiven Deskriptionsleistung unterzogen werden kann.3 Andererseits umfasst es eine depotenzierte Form von Absolutismus: Wenn als Wirklichkeit genommen werden will, was langfristig nicht umgangen werden kann, lässt sich als Möglichkeit verstehen, was selbst dieser Umgehung dienen mag. Dabei gilt, dass sich jede Möglichkeit in den Abglanz von Wirklichkeit drängt, weil und sobald sie gedacht wird. Zwar lässt, unter der Kuratel des Potentialis, die jeweils gedachte Möglichkeit immer andere Optionen als denkbar offen, als gedacht jedoch lässt sie sie für den jeweiligen Moment nicht zu. Dennoch besteht die Attraktivität einer Möglichkeit gegenüber der Aggressivität von Wirklichkeit darin, nicht auf sie zurückkommen zu müssen, sondern vielmehr auf sie zurückkommen zu dürfen.
Für die möglichen Spielarten des Philosophierens bedeutet das einen Zugewinn: dass etwas in Frage zu stellen nicht gleichbedeutend damit ist, etwas in Abrede zu stellen und ebenso wenig zwingend dahin führen muss. Das gilt für die jeweiligen Methoden und Denkrichtungen ebenso wie für den gesamten Möglichkeitsbereich dessen, was als ›Philosophie‹ benannt sein mag. »Das Niveau einer Wissenschaft bestimmt sich daraus, wie weit sie einer Krisis ihrer Grundbegriffe fähig ist.«4 Dass sich philosophische Wissenschaft von Zeit zu Zeit ihrer selbst unsicher ist, darf in diesem Sinn als Ausweis und Anreiz ihrer Vielzahl an möglichen Ausprägungen genommen werden… muss es aber nicht.
1 Aversionen unterschiedlicher Schulen, Methoden und Ausrichtungen von Philosophie gegeneinander sind nicht selten Symptom der Furcht, sich seines eigenen Standpunkts nicht mehr sicher sein zu können, wenn man eine andere Position als ebenfalls philosophisch gelten lässt.
2 Hans Blumenberg: Höhlenausgänge, Frankfurt a.M. 1996, S. 22.
3 Bis das sichergestellt ist, mag Philosophie als Methodendiskussion das Recht des Provisoriums haben.
4 Martin Heidegger, GA 2 [Sein und Zeit], Frankfurt a.M. 1977, S. 13.