Die Geschichte unserer Freundin

Zwei Schülerinnen erzählen von ihrer Freundin, die zusammen mit einem Teil ihrer Familie die Schweiz verlassen musste

    Am Montagmorgen, den 21. Februar 2022 haben wir auf sie gewartet - wie an jedem anderen Tag auch. Sie ist eine Person, die immer überpünktlich kommt, sie nimmt immer den ersten Zug, damit sie nicht fünf Minuten zu spät kommt. Doch an diesem Tag ist sie nicht aufgetaucht, wir waren verwundert, erstaunt, aufgewühlt. Als wir unseren Fachlehrer in der Schule nach ihr fragten, konnte er uns keine Auskunft geben. Sie hat sich auch nicht beim Fachlehrer gemeldet. Sonst hat sie sich immer pünktlich abgemeldet. Dies ist untypisch für sie und wir machten uns Gedanken und hatten Angst, dass sie einen Unfall gehabt hätte. Nach weiteren zwei Lektionen gingen wir zu unserer Klassenlehrperson. Wir hatten gemerkt, dass etwas passiert sein musste, auch wenn sie verschlafen hätte, hätten wir mittlerweile bis 10 Uhr etwas gehört. Aber einfach Stille, keine Nachricht. Nichts. Unsere Klassenlehrperson wusste ebenfalls nichts und war besorgt, aber sie hatte eine Vermutung. Sie meinte, dass unsere Freundin vielleicht abgeschoben wurde. Wir bekamen einen grossen Schock, da wir, nach so vielen Jahren, nicht damit gerechnet haben. Wir brachen in Tränen aus, fielen zusammen. Unsere beste Freundin, welche wir schon seit fünf Jahren kennen, mit der wir sehr eng befreundet sind - sie ist wie eine weitere Schwester für uns – muss gehen? In diesen fünf Jahren haben wir viel zusammen gelacht, sie war die gute Freundin, die uns in schlechten Zeiten geholfen hat. Als wir die Informationen über die Ausschaffung bekommen haben, wollten wir ihr natürlich helfen, aber wir wussten nicht wie. Wir fühlten uns hilflos. Da wir das zum ersten Mal erlebten, wussten wir nicht, was wir dazu beitragen könnten, damit unsere beste Freundin in der Schweiz bleiben dürfte.
    Sie kennt ihr Heimatsland gar nicht mehr und hat sich in der Schweiz bestens eingelebt. Auch ihre Grosseltern und ihr Onkel wohnen hier. Ihre Mutter hatte noch die Betreuung von zwei Cousins übernommen und alle wohnten zusammen in der Schweiz. Als wir mit unserer Lehrerin gesprochen haben, wurde uns schnell bewusst, dass wir in dieser Situation leider nicht viel helfen können und einfach auf gute Nachrichten hoffen müssen.
    Doch das änderte sich bereits am Nachmittag, da hat unsere Klassenlehrerin endlich einen Anruf bekommen und die definitive Information erhalten. Da hatten wir, wie auch unsere Klasse die Nachricht bekommen, dass es jetzt beschlossen ist, dass die Familie gehen muss. Nein, es muss nicht die ganze Familie gehen, denn die Grosseltern, ihr Onkel und die Cousins können hier bleiben, aber unsere Freundin mit ihren zwei Geschwistern und ihrer Mutter mussten gehen. Dies verstehen wir nicht. Eine Familie wird brutal getrennt. Obwohl wir das Ganze noch nicht wahrhaben wollten, brachen wir erneut in Tränen aus und verloren alle Kraft. Nach all diesen Jahren, in welchen wir sie ins Herz geschlossen haben, hätten wir nie mit dem gerechnet. Unserer letzter Wunsch war es, sie noch zu verabschieden und zu umarmen, bevor sie dann in das Flugzeug geht. Doch das war auch nicht möglich, da wir weder den Ort noch die Zeit des Abfluges wussten. Nachdem uns mitgeteilt wurde, dass sie jetzt bereits ausgereist ist, haben wir direkt versucht mit ihr Kontakt aufzunehmen, doch wir mussten zwei Tage lang auf ihre Antwort warten. Obwohl wir jetzt mit ihr im Kontakt stehen, fühlt sich die Schule, wie auch unsere Wochenenden nicht mehr gleich an. Sie fehlt uns überall, es ist uns nur noch möglich mit ihr zu schreiben und zu telefonieren. Das ist natürlich anders, als sie in Person zu sehen. Das geht sicher nicht nur uns so, denn sie wird von allen Personen sehr vermisst. Sie war eine sehr lustige und unterhaltsame Person, die auch von den Mitschülern sehr geliebt war. Sie fehlt uns sehr. Sie wieder da in der Schweiz bei uns zu haben, ist momentan unser grösster Wunsch. Nach fünf Jahren in der Schweiz, wo sie sich so gut integriert hat und unsere Sprache so perfekt gelernt hat, hat sie so etwas nicht verdient. Unsere Freundin hat sich sehr viel Mühe gegeben, eine bessere Zukunft zu haben, das haben wir auch sehr gemerkt. Ihr grösster Wunsch war es in der Schweiz zu studieren, weil sie diese Möglichkeiten in Sri Lanka nicht hat. Wir wünschen ihr trotzdem das Beste dort, aber dass sie zurückkommt, wäre trotzdem unser grösster Wunsch. Wir hoffen, dass ein Wunder passiert.
    Wir werden auf sie warten und die Hoffnung nicht aufgeben, dass wir irgendwann eine Nachricht bekommen, dass sie wieder zurückkommt.

    Zwei Klasssenfreundinnen einer ausgeschafften Schülerin aus Sri Lanka.


    Aarwangen im Februar 2022