Grundrechte für Tiere?

In diesem Artikel diskutiert Markus Wild rechtliche, politische, gesellschaftliche und ethische Motive zur Einführung von Tierrechten.

    Wer das Leben eines nichtmenschlichen Tieres auslöscht, begeht keine strafrechtlich relevante Tötung, sondern macht sich einer Sachbeschädigung schuldig. Dies weil Tieren – rechtlich gesehen – kein Lebensschutz zukommt. Wird ein Tier ‘schmerzlos’ getötet, so wird dies im Rahmen von Interessensabwägungen, wie sie etwa bei Tierversuchen stattfinden, nicht berücksichtigt, weil damit mutmasslich keine Belastung vorliegt. Dieser merkwürdige Status der Tiere ist nicht zuletzt auf das Recht zurückzuführen: Tiere gelten in vielen Rechtssystemen zwar nicht mehr als Sachen, sie dürfen jedoch wie solche behandelt werden, insofern keine besonderen Regelungen für sie bestehen.

    Gerade neuste rechtliche Entwicklungen zeigen aber, dass der Verleihung von Grundrechten an Tiere rechtlich nichts entgegensteht (Stucki 2020). In der Tat ist es stossend, dass etwa Unternehmen als Rechtssubjekt gelten und sich auf Grundrechte berufen können, dasselbe aber empfindungsfähigen, hochintelligenten und sozialen Tieren wie Schimpansen, Raben, Delfinen, Elefanten, Hunden, Schweinen, Hühnern oder Rindern verwehrt ist. Der fehlende Grundrechtsschutz und damit einhergehende Ausbeutung der sog. ‘Nutztiere’ zeigt sich unter anderem daran, dass sie kaum einen ganzen Lebenszyklus durchläuft (Mastschweine werden sechs bis sieben Monate alt). Dies weil die Lebensdauer im überwiegenden Masse entweder anhand des wirtschaftlichen Ertrags, den Tiere abwerfen oder nicht abwerfen, bemessen wird oder anhand seuchenpolitischer Erwägungen. Das Leben der Tiere, auch ihr soziales Leben, steht weit hinter wirtschaftlichen Interessen an ihrer Nutzung zurück.

    Mit dem mangelhaften rechtlichen Schutz des Lebens von Tieren und mit der diesen Mangel motivierenden wirtschaftlichen Nutzung, kontrastieren auf beunruhigende Weise Belege dafür, dass unsere Tiernutzung zu den treibenden Ursachen von drängenden globalen Problemen gehört. Zu diesen Problemen zählen die Klimaerwärmung, zoonotische Pandemien, der Verlust an Biodiversität, weltweit wachsende Antibiotikaresistenzen oder die Überdüngung von Böden und Gewässern.

    Doch ist das individuelle und soziale Leben von Tieren nicht nur weitgehend ungeschützt, nicht nur trägt die auf ihrem Tode aufbauende wirtschaftliche Nutzung massiv zu Gegenwartsproblemen bei, Tiere werden zudem kaum auf der Ebene der politischen Entscheidung repräsentiert, obwohl sie von eben diesen Entscheidungen massiv betroffen sein können. Obwohl Tiere unterschiedlichster Art zur beständigen Population von Staaten gehören, werden ihre Interessen systematisch nicht repräsentiert.

    In einem historischen Entscheid erklärte das Schweizer Bundesgericht im September 2020 die kantonale Volksinitiative «Grundrechte für Primaten» nach einem jahrelangen Rechtsstreit für zulässig. Nach dem Willen der Initiant:innen sollte die Verfassung des Kantons Basel-Stadt um das «Recht von nichtmenschlichen Primaten auf Leben und auf körperliche und geistige Unversehrtheit» erweitert werden. Zu den Primaten zählen Affen, Menschenaffen und Menschen. So lehrt es die Zoologie. Der Initiativtext spricht jedoch ausdrücklich von «nichtmenschlichen Primaten». Er unterscheidet somit zwischen Grundrechten für Menschen und solchen für Affen, es geht nicht um die paradoxe Forderung «Menschenrechte für Affen» (wie die Gegner der Initiative explizit und wider besseres Wissen behaupteten). Primaten sollen in Teilen vergleichbare Grundrechte erhalten, die auch Menschen seit geraumer Zeit geniessen. Warum? Nicht nur sind Affen biologisch eng mit uns verwandt, wir teilen auch viele kognitive und soziale Fähigkeiten. Wissenschaftliche Untersuchungen der Biologie und Verhaltenskunde zeigen mit Nachdruck, dass auch sie zweifellos ein Interesse an ihrem eigenen Leben sowohl an körperlicher und psychischer Unversehrtheit haben.

    Die Basler Bevölkerung wollte im Februar 2022 keine Grundrechte für Primaten, denn sie hat die Primateninitiative mit einer Mehrheit von knapp 75% deutlich abgelehnt. Dennoch ist die Basler Primateninitiative ein Meilenstein in der Entwicklung der Tierrechte. Zum ersten Mal hat ein politisches Gemeinwesen öffentlich darüber diskutiert und entschieden, ob nicht-menschliche Tieren ein verfassungsmässiges Recht auf Leben sowie auf körperliche und psychische Unversehrtheit garantiert werden solle. Für die meisten Menschen war es das erste Mal, dass sie sich mit einer solchen Frage überhaupt auseinandergesetzt haben. Dieser negative Entscheid lässt übrigens nicht alles, wie es ist. Denn von nun an trägt nicht mehr allein der Zoo die moralische Verantwortung für die Tötung von Primaten Tiers, denn die Basler Stimmbevölkerung hat diese Art von Entscheidung über Tod und Leben ausdrücklich gebilligt.

    Es gibt also rechtliche, politische und gesellschaftliche Motive dafür, Tieren subjektive Rechte im Sinne von Grundrechten zuzugestehen. Und diese Motive könnten bereits heute politisch umgesetzt werden. Gibt es aber auch gute moralische Gründe dafür, Tieren solche Rechte zuzugestehen?

    Nach der Argumentation des Tierethikers Tom Regan (1983) sind unter anderem gerade Affen «Subjekte ihres Lebens». Subjekte ihres Lebens sind jene Individuen, die ein Leben führen und Interesse am Leben haben. Als solches haben sie einen zu respektierenden Anspruch, dass wir ihr Leben nicht nehmen. Genau solche Interessen schützen wir in unserem Falle mit Grundrechten; moralisch gibt es keinen Grund dafür, dieselben Interessen von Affen nicht auch mittels Grundrechten zu schützen.

    Regan wird vorgeworfen, dass sein Begriff «Subjekt eines Lebens» zu vage sei, um Tierrechte zu begründen. Vielversprechender ist die Interessentheorie der Rechte. Für den Philosophen Joseph Raz (1986) verkörpern Rechte geschützte Interessen. Tiere können Rechte haben, wenn grundlegende Interessen seitens der Tiere kein guter Grund dagegen spricht, diese Interessen zu schützen bzw. ihre Verletzung zu sanktionieren. Die biologische Verwandtschaft wie auch die gemeinsamen Fähigkeiten von Affen und Menschen stellen eine ausreichende Grundlage dar, auch ihre grundlegenden Interessen zu schützen. Also gilt es, diese Interessen rechtlich zu schützen und Zuwiderhandlungen zu sanktionieren.

    Den Tierrechten entgegen steht die Willenstheorie von Rechten, der zufolge nur jene Individuen Rechtsträger sein können, die ihre Ansprüche an andere selbstbewusst und selbstbestimmt anmelden und sich selbst unter ebensolche Ansprüche von anderen stellen können. Nicht-menschliche Tiere sind hier vermutlich aus dem Rennen, aber nicht nur sie, sondern auch alle Menschen am Lebensanfang, da sich ihre Ansprüche weder selbstbewusst noch -bestimmt anmelden können. Das widerspricht unserer Rechtsauffassung aber entschieden.

    Nun mag die bisher skizzierte Argumentation Affen und anderen kognitiv und sozial komplexen Tieren wie Raben, Delfinen oder Elefanten Rechte zuzugestehen. Aus diesem Grunde existiert neben dem «Great Ape Projekt» (1993) seit 2010 etwa auch die «Declaration on Cetacean Rights» der Helsinki-Gruppe und «The Declaration of Animal Rights» (2011). Vielen Menschen befürworten auch deshalb einen starken Schutz von Affen, Delfinen oder Elefanten, weil ihnen diese Tiere sympathisch und weil viele Arten in ihrer Existenz bedroht sind. Doch bei Rechten geht es nicht um Sympathien oder um Artenschutz, sondern um grundlegende Interessen tierlicher Individuen. Diese Rechte sind subjektive Rechte, die Individuen als solchen zukommen, nicht als Angehörige einer Gruppe oder einer Spezies. Auch die weit verbreiteten und für viele unsympathischen Rabenvögel, die nicht zu Unrecht in der Forschung aufgrund ihrer komplexen kognitiven und sozialen Fähigkeiten als die «gefiederten Affen» bezeichnet worden sind, haben ein grundlegendes Interesse an ihrem Leben und an ihrer körperlichen und mentalen Unversehrtheit.

    Wie steht es nun mit jenen Tieren, die insbesondere von unseren wirtschaftlichen Interessen betroffen sind? Wie steht es mit Wildtieren, die um uns herum leben (oder es zumindest versuchen)? Hier lohnt sich ein Blick auf den zentralen Begriff der Interessentheorie der Rechte, den Begriff des Interesses. Nur wer Interessen im relevanten Sinne haben kann, ist überhaupt ein mögliches Subjekt von Rechten. Bei solchen Interessen muss es sich um Interessen von Subjekten handeln, d.h. um Interessen, die dem Individuum bewusst sind. Genauer gesagt muss dem Individuum bewusst werden können, ob seine Interessen erfüllt oder frustriert werden, andernfalls könnten wir nicht von einem Subjekt reden, das Interessen hat.

    Die offensichtlichen Kandidaten für solche bewussten Interessen sind empfindungsfähige Subjekte, denn ihnen kann bewusst werden, wenn ihre Interessen sich erfüllen (Lust) oder verletzt werden (Schmerz). Der tatsächliche Kreis der empfindungsfähigen Subjekte kann mithilfe der Naturwissenschaften näher bestimmt werden. So müssen empfindungsfähige Subjekte über ein Zentralnervensystem (Hirn) verfügen, es ist aber nicht erforderlich, dass diese einen Neokortex aufweisen. Ein nützlicher und ethisch relevanter Indikator für Empfindungsfähigkeit ist das Vermögen Schmerzen zu empfinden. Folgt man dem Stand der Forschung, kann man mit verlässlicher Zuversicht sagen, dass alle Wirbeltiere zum Kreis der empfindungsfähigen Subjekte gehören sowie Lebewesen wie Kraken, Hummer oder Bienen.

    Nach dem Gesagten kann nun auch der Begriff «Subjekt eines Lebens» genauer bestimmt werden. Subjekte eines Lebens sind jene empfindungsfähigen Subjekte, die ein Leben im Lichte grundlegender eigener Interessen führen können. Zu diesen grundlegenden Interessen gehören das Leben an sich sowie die körperliche und psychische Unversehrtheit. Diese angemessen starke Auffassung von Rechten hat der politische Philosoph Bernd Ladwig auf den Punkt gebracht: «Jedes Subjekt von Empfindungen hat einen gültigen Anspruch auf ein eigenes Leben nach Massgabe grundlegender und zentral bedeutsamer Interessen.» (Ladwig 2020, 126) Darunter fallen etwa Menschen, Rhesusaffen und Hühner, aber keine Eichen, Mücken oder Spinnen.

    Somit steht dem Anliegen nichts entgegen, dass auch Schweine, Hühner und Rinder in den Kreis der Rechtsträger gehören. Wir haben Gründe, ihre Interessen besonders gut zu schützen.

    Gegen diese stark inklusive Idee von Rechten könnte man einwenden, dass vielen ‘Nutztieren’ (im Unterschied etwa zu Affen oder Raben) keine Fähigkeit zur Ausrichtung auf die Zukunft unterstellt werden kann. Wie könne sie dann Interesse an ihrem Leben haben? Weiter könnte man einwenden, dass die grundlegenden Interessen von Wildtieren durch Karnivoren verletzt werden. Schliesslich stellen sich Fragen, was Rechte für Schweine, Hühner oder Rinder gesellschaftlich oder wirtschaftlich konkret zur Folge hätten. Ich möchte abschliessend kurz auf diese drei Punkte eingehen.

    Auf den ersten Einwand kann man antworten, dass ein Interesse am eigenen Leben etwas anderes ist als die Perspektive auf die eigene Zukunft. Ein Interesse am Leben kann ein empfindungsfähiges Subjekt haben, indem es lebt und eine unmittelbare Zukunft bewusst zu antizipieren vermag. Dazu braucht es keine Übersicht über seine prospektiven Wünsche von morgen und übermorgen. Eine solche Übersicht wird auch nicht verlangt, wenn wir Kleinkindern Rechte zusprechen.

    Dem zweiten Einwand kann entgegen gehalten werden, dass Fressfeinde keine Subjekte mit moralischen Verpflichtungen sind (sog. ‘moral agents’). Gemäss der Interessentheorie können Tiere dann Rechte haben, wenn ein grundlegendes Interesse seitens der Tiere ein guter Grund dafür ist, jene zu schützen. Für diesen Anspruch ist auf der Adressatenseite somit ein moralisches Subjekt erforderlich. Allerdings, so könnte man einwenden, sollten ja auch Verletzungen grundlegender Interessen sanktioniert werden. Warum also nicht Fressfeinde sanktionieren? Das Recht sanktioniert Handlungen moralischer und nicht jedwelcher Akteure. Allerdings kann man auf der Grundlage von Rechten fordern, dass es Wildtieren ermöglicht werden soll, sich ohne Gefährdung ihres Lebens und Leibs durch uns in ihrer Umwelt zu bewegen. Damit würde beispielsweise der Verkehrsplanung und der Jagd Schranken auferlegt.

    Grundrechte für Tiere wie Hühner, Schweine und Rinder hätten massive gesellschaftliche und wirtschaftliche Konsequenzen. Da der weitaus grösste Teil der Tiernutzung die Tötung von empfindungsfähigen Tieren bedingt, wären Tierrechte das Ende eines grössten Teils dieser Nutzung. Wenn wir darauf achten, was diese Nutzung für die Tiere, für die Umwelt, für das Klima oder für die Gesundheit von Mensch und Tier an negativen Folgen zeitigt, sollten wir über die Vorstellung eines weitgehenden Endes der Tiernutzung nicht zu sehr erschrecken, sondern sie realistisch ins Auge fassen. Dazu gehört es, dass wir nicht nur herkunftsverhaftet behaupten, dass eine Ausstattung von Tieren mit Grundrechten unrealistisch sei, sondern zukunftsmutig konkrete Szenarien und Modelle entwickeln (beispielsweise für eine vegane Landwirtschaft), die uns eine Vorstellung davon geben, was dies konkret bedeuten könnte. Darüber wissen wir im Moment viel zu wenig. So lange können wir keine rationale Diskussion über die angeblich unrealistischen Folgen einer durch und durch vernünftigen Forderung führen, nämlich der Forderung nach Grundrechten für empfindungsfähige Tiere. Wenn wir die Praxis der Nutztierhaltung ins Auge fassen, wie sie gerade auch unter den Bedingungen der COVID-19-Pandemie in Schlachthöfen, Lieferketten, Wildtierhandel oder Netzfarmen ins kollektive Bewusstsein getreten ist, haben wir ebenfalls nur wenig Grund zu sagen, dass sich diese vernünftige Forderung nach Grundrechten für Tiere gegen eine auch nur im Ansatz vernünftige Praxis richten würde.

     

    Quellen

    Ladwig, Bernd (2020), Politische Philosophie der Tierrechte, Berlin: Suhrkamp 2020.

    Raz, Joseph (1986), The Morality of Freedom, Oxford: Oxford University Press.

    Regan, Tom (1983), The Case for Animal Rights, Berkeley: University of California Press.

    Stucki, Saski (2020), “Towards a Theory of Legal Animal Rights: Simple and Fundamental Rights”, Oxford Journal of Legal Studies 40(3): 533–560 https://doi.org/10.1093/ojls/gqaa007