Sucht man bei Google nach “Warum im Ausland studieren?” tauchen sofort unzählige Seiten mit klassischen Gründen auf: kulturelle Kompetenzen verbessern, Sprachkenntnisse vertiefen, eine neue Stadt kennenlernen oder die eigene Persönlichkeit weiterentwickeln. In der Philosophie kommen jedoch noch einige zusätzliche Gründe hinzu.
Im Gegensatz zu vielen anderen (insbesondere sozial- und naturwissenschaftlichen) Fächern ist die Philosophie nämlich bereits auf Bachelorstufe stark durch institutionelle und personelle Faktoren geprägt. Damit hat auch jedes philosophische Institut oder Departement seine spezifischen Themen und sein eigenes Verständnis davon, was Philosophie ist und wie sie gelehrt werden sollte.
Das hängt zunächst sicherlich damit zusammen, dass die Philosophie viel breiter und weniger aufbauend ist als andere Studiengänge. Das Curriculum für einen BA in Mathematik zum Beispiel sieht an den meisten Universitäten ziemlich ähnlich aus - meist beginnt es mit haufenweise linearer Algebra und Analysis und später kommen Fächer wie Stochastik, diskrete oder numerische Mathematik und die Wahrscheinlichkeitsrechnung dazu. Da das meiste, was folgt, auf diesen Grundlagen aufbaut, ist das unumgänglich und führt zu einer grossen Konformität der Studienpläne über verschiedene akademische Institutionen.
In der Philosophie (und ich denke in gewissem Maße trifft das wohl auf die Geisteswissenschaften im Allgemeinen zu) ist dies komplett anders. Es existieren wenig Teilbereiche, die eine notwendige Voraussetzung für alles andere sind und sie sind teils sehr disparat und zu viele, um sie alle in einer Einführung abzudecken. Das schlägt sich auch in den Studienplänen einiger Universitäten nieder. Die Universität Fribourg beispielsweise hat im gesamten Bachelor nur eine einzige Pflichtveranstaltung vorgesehen: Einführung in die Logik. Für den restlichen Bachelor kann jeweils zwischen verschiedenen Optionen gewählt werden, wobei es gewisse Vorgaben bezüglich der Bereiche gibt. Es ist also theoretisch möglich, dass zwei Hauptfachstudierende im gleichen Zeitraum ihren Bachelor absolvieren und es nur ein einziges Fach gibt, das beide besucht haben. Und dies ist nur die Varietät innerhalb eines philosophischen Instituts einer bestimmten Universität.
Diese Unbestimmtheit lässt grosse thematische Unterschiede zwischen den Universitäten zu. Dies ist meist auch historisch und/oder institutionell geprägt. So hat beispielsweise die Universität Fribourg einen Lehrstuhl in antiker Philosophie, einen Lehrstuhl in Philosophie des Mittelalters sowie einen, der moderne und zeitgenössische Philosophie abdeckt, während die Universität Bern die gesamte Geschichte der Philosophie mittels eines Lehrstuhls dafür abdeckt. Diese institutionellen Rahmenbedingungen wirken sich auf die Ausrichtung und das Angebot des philosophischen Instituts aus.
Weiter sind auch methodologische Unterschiede zwischen Universitäten festzustellen. So werden zum Beispiel an der Universität Bern eine ganze Reihe Einführungsveranstaltungen angeboten wie “Einführung in die Metaphysik”, “Einführung in die Wissenschaftstheorie” oder “Einführung in die politische Philosophie”, während an der Universität Fribourg die Ansicht gelebt wird, man sollte in medias res gehen und direkt mit spezifischen Themen anfangen. Diese methodologischen Unterschiede werden auch durch unterschiedliche Verständnisse darüber geprägt, worin Philosophie besteht und wie sie vermittelt werden sollte. Diese Konzeption von Philosophie hat Konsequenzen dafür, wie mit Primärtexten umgegangen wird (z.B. was für eine Rolle ihrem Entstehungskontext und/oder sprachlichen Elementen zugemessen wird), welche konkreten Anforderungen an Seminararbeiten gestellt werden oder welche Themen überhaupt von Relevanz sind.
Zudem haben jeder Professor und jede Professorin ihre Interessen und Spezialgebiete. Ob jemand, die eine Professur für “Geschichte der Philosophie” innehat sich eher mit Platon, Descartes und Kant beschäftigt, oder doch lieber mit Nietzsche, Husserl und Heidegger mag für eine fachfremde Person nicht einen grossen Unterschied machen, prägt aber sehr grundlegend, was Studierende unter Philosophie verstehen und wie sie an Texte herantreten.
Diese Ausführungen sollen dem Zweck dienen, zu zeigen, dass der philosophische Rucksack stark von einem bestimmten Ort und einer bestimmten Universität abhängt. Dies bezieht sich auf inhaltliche Aspekte - hat man eher Thomas von Aquin oder Derrida gelesen -, aber auch ganz generell auf die Konzeption darüber, was Philosophie ist und wie sie gemacht, gelehrt und gelernt werden sollte. Geht es vor allem um die Analyse von Argumenten oder eher darum, einen Text in seinem Kontext zu interpretieren? Sollten wir uns eher mit der Natur der Kausalität beschäftigen, oder uns dem Sinn des Lebens widmen? Sollte Philosophie nüchtern und neutral oder politisch engagiert sein? Ist die sprachliche Ausarbeitung eines Essays lediglich notwendiger Ballast, um das Argument darzustellen oder liegt darin selbst ein Teil der Bedeutung? Fragen über Fragen…
Neben der Möglichkeit, ein anderes Land kennenzulernen, mit unterschiedlichen Kulturen in Kontakt zu kommen, und sich ein bisschen neu zu erfinden, bietet also ein Auslandsaufenthalt im Rahmen des Philosophiestudiums noch viel mehr. Man kann eintauchen in eine andere Perspektive auf die Philosophie selbst und Teilbereiche kennenlernen, die bisher unberührt blieben.