Der Schweizer Rohstoffhandel rückt in den Fokus der öffentlichen Nachhaltigkeitsdebatte

Wissenschaftliche Erkenntnisse über Fortschritte und Lücken in verantwortungsvoller Unternehmensführung

In den vergangenen Jahren ist der Schweizer Rohstoffhandel zunehmend in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Die Gründe dafür sind vielfältig und reichen von den negativen Auswirkungen des Rohstoffhandels auf die Menschenrechte, über Korruptionsprobleme, bis hin zu den Anliegen der Konzernverantwortungsinitiative. Jüngst kamen auch Bedenken in Bezug auf die Neutralität im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg hinzu. Lange hatte dieser Sektor wenig Aufmerksamkeit erhalten, obwohl in der Schweiz etwa 35.000 Personen im Rohstoffsektor tätig und circa 550 Unternehmen ansässig sind (EDA, 2021). Der Anteil des Sektors am Schweizer Bruttoinlandprodukt betrug vor 20 Jahren weniger als 1% und kletterte bis zum Jahr 2023 auf 8,5 % (Brouzos, 2023). Dies unterstreicht eindrücklich die Wichtigkeit des Sektors für die Schweizer Wirtschaft. Je nach Schätzung hat der Schweizer Rohstoffmarkt einen beträchtlichen Anteil von 15-25% am Welthandelsvolumen an Rohstoffen (Lelièvre & Schwalbe, 2023). Allerdings «berühren» diese Rohstoffe den Schweizer Boden mit Ausnahme von Gold eher selten, da ein grosser Anteil des Schweizer Rohstoffsektors auf sogenannten Transithandel entfällt (Haller, 2019). Neben dem wirtschaftlichen Erfolg des Schweizer Rohstoffhandels werden die Tätigkeiten jedoch zunehmend mit der Forderung verbunden, kritische Themen zu adressieren. Dazu gehören, wie oben erwähnt, Korruption, Umweltzerstörung und Menschenrechtsverletzungen.

Ansteigende kritische Berichterstattung in den Schweizer Medien über den Rohstoffsektor

Unser Forschungsteam an der Universität St. Gallen untersuchte, wie sich die Berichterstattung über den Rohstoffsektor in den vergangenen drei Jahrzehnten veränderte und welche Themen hierbei ins Rampenlicht rückten. Unsere Medienanalyse umfasst 6’286 Medienberichte über die Schweizer Rohstoffhandelsbranche, veröffentlicht zwischen 1993 und 2021 aus den Datenbanken Factiva, Wiso-net; Schweizer Rundfunkanstalten (SRF, RTS und RSI) sowie weiteren Nachrichten- und Informationsplattformen (Swiss Info, Watson).

Abbildung 1: Tonalität der Medienberichterstattung über den Schweizer Rohstoffsektor

Der Schweizer Rohstoffsektor ist äusserst umstritten: Während die einen ihn als wesentliches und legitimes Element des globalen Wertewandels sehen, äussern andere Bedenken über seine negativen Auswirkungen auf Gesellschaft und Umwelt. Der kontroverse Charakter des Schweizer Rohstoffsektors spiegelt sich in der Tatsache wider, dass viele der analysierten Berichte emotional aufgeladen und stark wertend sind (v.a. in negativer Richtung). So gibt es z.B. zahlreiche Berichte, die dem Schweizer Rohstoffsektor seine zwielichtige Geschichte oder seine negativen Auswirkungen auf die Umwelt und die Menschenrechte vorwerfen. Dies kommt in Abbildung 1 zum Ausdruck, in der die Tonalität der Medienberichte graphisch dargestellt ist. Die neutrale Berichterstattung (siehe Abbildung 1: «neutral») war insgesamt am stärksten ausgeprägt. Jedoch zeigt sich gleichzeitig, dass die kritische Berichterstattung («critical») im Laufe der Zeit – und insbesondere ab 2010 – stark zugenommen hat. Diese Art der Berichterstattung bewertet bestimmte Aspekte des Schweizer Rohstoffsektors als problematisch, irreführend, gefährlich oder verurteilungswürdig. Demgegenüber ist die positive («advocatory»), d.h. die Vorzüge des Rohstoffsektors betonende, sowie die mehrdeutige («ambiguous») Berichterstattung nicht stark vertreten.

Ergebnisse aus Interviews zeigen erhöhtes Bewusstsein von Nachhaltigkeitsfragen im Rohstoffsektor

Im Rahmen unseres Forschungsprojekts führten wir zudem 48 Interviews mit verschiedenen Stakeholdern der Schweizer Rohstoffbranche (z. B. Handelsunternehmen, Branchenverbände, NGOs, Politiker, Finanzinstitute, Journalisten, Wissenschaftler) durch. Ziel war es, herauszufinden, wie die unterschiedlichen Anspruchsgruppen den Schweizer Rohstoffsektor bezüglich Chancen und Risiken beurteilen, wo es Konvergenzen und Divergenzen gibt und wie sich diese über die Zeit verändert haben. Als Ergänzung sichteten wir zusätzliches Material aus Unternehmensberichterstattung, NGO-Berichten und öffentlich verfügbare Informationen und Statistiken. Um auch in den Dialog mit der Wirtschaft zu treten, veranstaltete unser Institut für Wirtschaftsethik der Universität St. Gallen, zusammen mit dem Commodity Club Switzerland und economiesuisse, einen Workshop um der Frage nachzugehen, wie verantwortungsvolles Handeln in Bezug auf Mensch und Umwelt in der Praxis des Rohstoffhandels umgesetzt werden kann [1]. Mit Teilnehmenden aus Wissenschaft, Regierung, Unternehmen und Beratung wurden konkrete Massnahmen zu menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten diskutiert. 

Die Ergebnisse unseres Forschungsprojektes zeigen, dass nach anfänglicher Gleichgültigkeit bzw. Nichtwissens der Rohstoffhändler bezüglich der negativen Auswirkungen des Rohstoffhandels auf Umwelt und Mensch eine Sensibilisierung eingesetzt hat. Diese wurde sowohl von der Medienberichterstattung und einzelnen Politikerinnen und Politikern als auch NGOs angestossen, wird jedoch gleichzeitig zunehmend von wirtschaftlichen Anreizen durch Financiers wie Banken und Investoren katalysiert. Die Phase der kritischen Aufmerksamkeit, die vor etwa zehn Jahren einsetzte, manifestiert sich etwa darin, dass sich in der Öffentlichkeit, Politik als auch in der Regierung Diskussionen bezüglich der Dringlichkeit gesetzlicher Rahmenwerke intensiviert haben.

Massnahmen der Unterverantwortung steigen in Reaktion auf öffentlichen Druck an

Als Reaktion auf den ansteigenden öffentlichen Druck auf den Rohstoffsektor, als auch auf Marktanreize, insbesondere im Bereich der landwirtschaftlichen Rohstoffe, sind Fortschritte hin zu einer verantwortungsvolleren Geschäftsführung zu verzeichnen, zumindest in Bezug auf die Implementierung von Richtlinien und Prozessen innerhalb der Konzernzentralen.

Inwiefern diese Massnahmen zum Schutz von Mensch und Umwelt beitragen, war im Rahmen unseres Forschungsprojektes aufgrund der Vertraulichkeit, respektive wegen Beschränkungen beim Feldzugang nicht abschliessend messbar.

In den Interviews mit Vertretern des Rohstoffsektors spiegelte sich wider, dass viele Firmen ihre Bemühungen verstärken und versuchen, negative Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeiten auf die Menschenrechte zu erkennen und präventive Massnahmen einzuleiten. Es zeigen sich gleichzeitig signifikante Unterschiede zwischen den Subsektoren des Rohstoffsektors: Energie-Rohstoffe, Agrar-Rohstoffe und mineralische Rohstoffe. Ölhändler nahmen Sanktionen und Banken als stärkstes Vehikel war und zeichneten sich durch ein geringes Mass an Zusammenarbeit zwischen Wettbewerbern aus. Ebenfalls wenig Zusammenarbeit gab es bei Nachhaltigkeitsfragen unter Goldhändlern und Raffinerien. Diese orientieren sich stark an Vorgaben der Finanzmarktregulierung durch die Schweizer Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finma) als auch die in London ansässige London Bullion Market Association (LBMA), welche Standards für den globalen Handel von Edelmetallen setzt. Im Gegensatz dazu ist bei den Agrar-Rohstoffen der Kundendruck in der Wertschöpfungskette indirekt bei Geschäftsbeziehungen (Business to Business), als auch im Konsumverhalten (Business to Customer) in gewissem Umfang direkt zu spüren. Agrarhändler zeigten ein fortgeschritteneres Niveau der Zusammenarbeit zwischen Wettbewerbern, insbesondere wenn es um den Austausch über Best Practices geht. Beispielsweise agierte in branchenspezifischen Multi-Stakeholder-Setups die Rolle der Zertifizierung als Treiber. Einige befragte Rohstoffhändler stellten die Compliance-Prüfungen der (Geschäfts-)Banken als «Papiertiger» dar, wohingegen andere sie als wichtig betrachteten. Entwicklungsbanken galten mit den strengsten Risiko- und Compliance-Prüfungen als sachkundige und wichtige Treiber für Veränderungen.

Schweizer Rohstoffsektor begreift sich im Wandel während teils Nachholdbedarf besteht

Abschliessend zeigte sich ein Sektor im Wandel, in dem es noch schwierig ist, führende nachhaltige Unternehmenspraxis von «Schaufenstertaktik» durch PR-Kampagnen zu unterscheiden, auch weil teils belastbare Messwerte und Rankings fehlen oder Transparenzmassnahmen teils mit sehr unterschiedlichen und daher nicht vergleichbaren Messwerten und Methodologien dargestellt werden. Insbesondere die Konsultation und strukturelle Miteinbeziehung der lokalen Bevölkerung in jenen Ländern, aus denen Rohstoffe bezogen werden, bieten starkes Verbesserungspotenzial, zum Beispiel was die Etablierung von Beschwerdestellen anbelangt. Der Schweizer Rohstoffsektor benötigt ein Umdenken, weg von einem reaktiven Umgang mit negativer Presse, hin zu einer ganzheitlicheren Planung, um mittel- und längerfristige Umwelt- und Menschenrechtsrisiken im Rohstoffhandel zu identifizieren und den Umgang mit diesen effektiv zu steuern. Auch economiesuisse stellte fest: «Trotz dieser Fortschritte bestehen nach wie vor verschiedene Herausforderungen, die es zu adressieren gilt».

Unser Forschungsteam dokumentierte Fortschritte in Bezug auf das Bewusstsein und Ergreifung von Massnahmen zum verantwortungsvollen Umgang mit Menschenrechten und Umwelt. Allerdings zeigten sich auch Lücken im Hinblick auf die Wirkungsmessung und Vergleichbarkeit der öffentlichen Transparenzmassnahmen. Abschliessend ergibt sich ein gemischtes Bild der Nachhaltigkeitsbestrebungen im Schweizer Rohstoffsektor, welcher sich langsam zu einem proaktiveren Ansatz bewegt. Es zeigt sich, dass die Rufe in der Öffentlichkeit nach einem nachhaltigeren Wirtschaften im Rohstoffsektor gehört werden. Gleichzeitig bestehen Lücken in Bezug auf die Wirkungsmessung und eine langfristig-nachhaltige Wirtschaftsweise der Rohstoffhändler. Der Sektor zeigt sich äusserst heterogen was die Bereitschaft zur und Umsetzung einer ernst gemeinten «Corporate Responsibility» (Unternehmensverantwortung) betrifft. Nicht zuletzt deshalb sollten existierende Lösungsansätze in Zukunft durch verbesserte Vergleichbarkeit der Messmethoden als auch strategische Einbindung der Produktionsländer und deren betroffenen Einwohnern gestärkt werden um verantwortungsvolles Wirtschaften zu ermöglichen.

 

[1] https://www.economiesuisse.ch/de/artikel/breiter-dialog-zu-rohstoffhandel-und-menschenrechten-angestossen

 

Referenzen

Brouzos, J. (18. Mai 2023). Kaum Zahlen zur Rohstoffbranche in der Schweiz – was steckt dahinter? Von TagesAnzeiger: https://www.tagesanzeiger.ch/kaum-zahlen-zur-rohstoffbranche-in-der-schweiz-was-steckt-dahinter-231771138318 abgerufen

EDA. (14. Juli 2021). Rohstoffhandel. Von https://www.eda.admin.ch/aboutswitzerland/de/home/wirtschaft/taetigkeitsgebiete/rohstoffhandel.html abgerufen

Haller, L. (2019). Transithandel: Geld- und Warenströme im globalen Kapitalismus. Berlin: Suhrkamp Verlag.

Lelièvre, F., & Schwalbe, J. (17. März 2023). A sector that is increasingly important for Switzerland. Von Agefi: https://agefi.com/actualites/marches/A-sector-that-is-increasingly-important-for-Switzerland abgerufen