Stimmen aus dem Studium

Vom Nutzen des Philosophiestudiums für die Psychotherapie

Wie mich das Philosophiestudium fürs Leben – und (damit) für meine Ausbildung zum Psychotherapeuten – vorbereitet hat.

    «Super, Medizin, das ist ein tolles Studium Daniel! Ich schätze, da müssen sich deine Eltern wohl jetzt keine Sorgen mehr um Ihre Altersvorsorge machen was?» Zwinkert Onkel Gustav mit einem Lächeln in die Richtung von Daniel und dreht seinen Kopf anschliessend in meine Richtung.  

    «Und du Lionel, was studierst du denn?»

    «Philosophie» antwortete ich mit etwas weniger Nachdruck – wohlwissend, was nun folgen wird.

    «Oh» gab Onkel Gustav erstaunt von sich, «das ist ja ganz was anderes. Und was macht man denn später mit einem Philosophiestudium?»

    Leider war ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht fähig, ihm auf diese Frage eine Antwort zu geben – oder jedenfalls keine Antwort, die nicht sofort kampflos von seinen schon feststehenden Vorurteilen über das Studium der Philosophie verdrängt würde. Wie sollte ich auch? Als ich angefangen habe, Philosophie zu studieren, hatte ich selbst noch keine Ahnung, wo mich dieser Weg einmal hinführen wird. Alles was mich antrieb, waren die vielen ungeklärten Fragen in meinem Kopf. Ich wusste nicht, was man mit einem Philosophiestudium später einmal «macht», denn wie Onkel Gustav hatte auch ich noch nie eine Stellenausschreibung in der Zeitung gesehen, bei der unter Voraussetzungen «Studium der Philosophie» angegeben war. Nur eines war mir zu diesem Zeitpunkt klar: «Ich will etwas studieren, womit ich anschliessen kann an die Bedingungen meiner kuriosen Existenz auf diesem freischwebenden Erdklumpen» und dafür eignete sich nun halt mal kein Medizin- oder Jura Studium. Ich habe mich aktiv geweigert, blind irgendeinen Beruf zu erlernen, nur um es mir leisten zu können, den Kopf noch ein bisschen aus dem Sarg zu strecken, bis sich der Deckel dann doch irgendeinmal von selbst schliesst (so in etwa meine Vorstellung damals). Ich habe Schopenhauer gelesen und erhoffte mir stattdessen durch die Philosophie, dass endlich «[...] ein Lichtstrahl fiele auf das Dunkel [meines] Daseins und irgendein Aufschluss [mir] würde über diese rätselhafte Existenz, an der nichts klar ist als ihr Elend und ihre Nichtigkeit"1.

    So schloss ich das Philosophiestudium erfolgreich ab, und nun, fünf Jahre später, kann ich festhalten: Es ist tatsächlich ein gewisser Lichtstrahl auf mein Dasein gefallen. Ich konnte mich austoben und mit Leidenschaft all den Fragen nachgehen, für die ich damals brannte. Stetig mehr Formen wurden vom hin und her ziehenden Lichtkegel beleuchtet, und auch wenn diese oftmals so schnell wieder im Schatten verschwanden, wie sie aufgetreten sind, sah ich irgendeinmal genug davon, dass ich mich dafür entscheiden konnte, nun doch noch in die Berufswelt einzutreten. Dieses Mal war es sogar eine Ausbildung, von dessen tatsächlicher Existenz sich Onkel Gustav in den Stellenangeboten der Sonntagszeitung vergewissern konnte. Ich entschied mich dafür, Psychotherapeut zu werden.

    «Und was genau hat Dir dein Philosophiestudium nun gebracht?» Höre ich Dich fragen.

    Durch das Studium der Philosophie wurde ich ausgebildet wirk-lich zu denken, wirklich zu lesen, wirklich zu schreiben und wirklich zu diskutieren. Fähigkeiten, von denen ich nun in allen Bereichen meines Lebens zehren kann und die mir in so vielen Dingen einen riesigen Vorteil verschaffen. Es ist mir zum Beispiel aufgefallen, dass ich im Vergleich zu meinen jetzigen Kommilitonen, welche aus anderen Studienrichtungen oder Berufen kommen, ein viel fundierteres Verständnis von Text2 habe – dadurch, dass wir in der Philosophie gelernt haben, wie man mit Text richtig umgeht – oder dass ich auf eine ganz andere Weise denken kann als zuvor, d.h.  dass ich gelernt habe, mich in etwas «hineinzudenken», mich mit der nötigen Offenheit und Sorgfalt in eine spezifische Welt – eine neue Grammatik, ein fremdes System, eine Metaebene … - zu versetzten, mich darin zu orientieren und dadurch meine eigene Welt zu erweitern. Ich habe gelernt zu diskutieren, einen Standpunkt zu vertreten (selbst, wenn es gar nicht «meiner» ist) und noch vieles mehr.

    Worauf ich hinauswill: In den Stellenangeboten der Sonntagszeitung steht unter den Voraussetzungen nur nicht «Studium der Philosophie», weil die meisten Leute nicht wissen, welche «Skills» durch dieses Studium wirklich erlernt werden.


    1 Schopenhauer, Arthur (2019): Die Welt als Wille und Vorstellung. Sämtliche Werke. Band 2. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 211.

    2 Text im weitern Sinne von diesem Begriff: Also z.B. Beziehungstext zwischen zwei Menschen (Therapiesetting) usw. usf.