Über den Widerspruch zwischen Natur und Kapital

Oder: Warum staatliche und bewegungspolitische Strategien allein die Klimakrise nicht lösen

    „Man lehrt uns – nicht verwildern:

    die Erde meistern heißt,

    daß man Haut und Haar ihr vom Leibe reißt;

    dabei ist sie bloß ein winziger Globus.“1

    Wladimir Majakowski

     


    Zwischen dem 31. Oktober und dem 13. November 2021 kamen im schottischen Glasgow für zwei Wochen 196 Staaten zur UN-Klimakonferenz zusammen. Es handelte sich dabei um die Unterzeichner:innen der 1992 in Rio de Janeiro beschlossenen und zwei Jahre später in Kraft getretenen Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC). Seit Rio ist es die 26. dieser – in der Regel jährlichen – Beratungen der Vertragsstaaten (COP26). In ihrem Rahmen sind auch das sogenannte Kyoto-Protokoll (vereinbart 1997, gültig seit 2005) und das Pariser Klimaabkommen (2015, 2016) entwickelt und verabschiedet worden. Jetzt folgte der „Klimapakt“ von Glasgow. Zusammen sind es die zentralen internationalen Übereinkünfte zur Reduktion von Emissionen, die für den anthropogenen Treibhauseffekt verantwortlich sind.

    Zeitgleich zum Beginn des Regierungstreffens stießen einige hundert Kilometer weiter südöstlich von Glasgow, im westdeutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen, Aktivist:innen des außerparlamentarischen Bündnisses Ende Gelände und der Initiative Lützerath lebt an die Abbaukante des Braunkohletagebaus Garzweiler II vor. Sie zwangen so die Betreiberin, die deutsche RWE AG, dazu, einen Kohlebagger vorübergehend außer Betrieb zu setzen. Nur wenige Kilometer entfernt blockierten einige Tage später Klimaaktivist:innen unter dem Motto „Block Neurath“ die Gleise, über die normalerweise Züge fossilen Brennstoff zum Braunkohlekraftwerk Neurath befördern. Der Transport wurde durch das Eingreifen für einige Stunden unterbrochen.

    Selbstverständlich lassen sich diese nationalstaatlich-institutionalisierten und zivilgesellschaftlichen politisch-kulturellen Prozesse nicht gänzlich getrennt voneinander begreifen. Aber idealtypisch stehen die Regierungsverhandlungen bei der COP26 und die direkten Aktionen zivilen Ungehorsams im rheinischen Kohlerevier von Gruppen der Zivilgesellschaft stellvertretend für zwei Strategien innerhalb bürgerlicher Demokratien, mit der aktuellen Krise des gesellschaftlichen Naturverhältnisses am Beispiel der Klimakrise umzugehen.

    Grob schematisch besteht erstere darin, dass sich nationalstaatliche Regierungsdelegationen bei institutionalisierten Meetings auf verpflichtende, nationale Quoten zur Reduktion von CO2-Emissionen, eine international gerechte Verteilung der Anstrengungen und einen problemgerechten Zeitplan zur Verringerung des Ausstoßes jener Gase einigen, die für den anthropogenen Klimawandel verantwortlich sind. Bisher war dies nicht erfolgreich.

    Die Alternativstrategie gründet darauf, politischen Druck aus der Zivilgesellschaft zu entfalten und die politische Konfrontation mit den Verursacher:innen der Klimakrise einzugehen, den CO2 und andere klimarelevante Treibhausgase emittierenden Privatunternehmen, um Regierungen und Unternehmen zu Maßnahmen in Richtung einer ökologischen Modernisierung zu nötigen.

    Bei allen offenkundigen Differenzen ist beiden Strategien allerdings gemeinsam, dass mit ihnen die Krise im Verhältnis zwischen bürgerlicher Gesellschaft und Natur nicht an der Wurzel – am dialektischen Widerspruch zwischen Natur und kapitalistischer Gesellschaft – angepackt wird. Dieser entspringt einer historisch und sozial besonderen Konfiguration des gesellschaftlichen Naturverhältnisses.

     


    Die dialektische Beziehung zwischen Natur und Gesellschaft

    Im wissenschaftlichen wie öffentlichen Nachhaltigkeitsdiskurs ist es ein Allgemeinplatz, dass Natur und Gesellschaft in einem wechselseitigen Verhältnis zueinander stehen. Karl Marx bezeichnet diese basale, reziproke Relation in seinem Hauptwerk Das Kapital allgemein als „Stoffwechsel“.2 Dieser zwischen Natur und Gesellschaft stattfindende Austausch ist eine transhistorische Bedingung menschlicher Existenz und Entwicklung. Die Reproduktion der Gesellschaft und der menschlichen Individuen ist ohne ihn schlicht nicht möglich.

    In der bürgerlichen Gesellschaft ist der Stoffwechsel allerdings in besonderer Weise organisiert. In ihm bewegt sich innerhalb ihrer Einheit stetig ein Widerspruch zwischen Natur und Gesellschaft, der über die historisch spezifische, also kapitalistische Form der gesellschaftlichen Arbeit und damit über die sozioökonomischen Beziehungen zwischen den Menschen vermittelt ist. Verständlich wird er mithilfe der historisch materialistisch angeleiteten Analyse und Kritik des gesellschaftlichen Naturverhältnisses.

    Die menschliche Gesellschaft hat in Abgrenzung zu anderen Spezies über lange Zeiträume in ihrer sozialen Praxis eine besondere Form geschaffen, sich zueinander und zur Natur in Beziehung zu setzen. Menschen haben begonnen, sich durch die Produktion nützlicher Dinge zur Bedürfnisbefriedigung in menschlichen Sozialgruppen und durch die Reproduktion dieser Sozialzusammenhänge von anderen Spezies unterscheiden.3 Im Zuge der Entwicklung der Beziehungen der Menschen zueinander und zur Natur hat sich die menschliche Gesellschaft also von Gesellschaften anderer Tiere differenziert. Sie hat sich als menschliche Gesellschaft historisch konstituiert.4

    Die belebte und unbelebte Natur hat sich ihrerseits über hunderte Jahrmillionen ebenfalls entwickelt und transformiert. Es sind bestimmte tierische Gesellschaften entstanden, andere haben sich ausdifferenziert. Zahlreiche sind ausgestorben. Das Klima hat sich verändert und infolgedessen die gesamte Pflanzenwelt und ihre globale Geografie. Das alles ist geschehen, ohne dass die menschliche Gesellschaft über lange Zeit überhaupt ein nennenswerter Faktor in diesen Prozessen gewesen wäre. Die Natur hat sich also weitgehend autonom entwickelt. Es lässt sich daher von einer eigenständigen Naturgeschichte sprechen.

    Insofern, als dass die Gesellschaft dadurch bestimmt ist, dass sie das soziale Produkt der Menschen ist und als dass die Natur das Resultat natürlicher Prozesse ist, unterscheiden sie sich voneinander. Es besteht also eine Differenz zwischen ihnen, die aus den jeweils spezifischen historischen Formen der menschlich-sozialen Praxis und der natürlichen Produktions- und Reproduktionsformen anderer Tierarten und der Ökosysteme hervorgeht.

    Wie der Begriff des Stoffwechsels bereits andeutet, sind aber weder die Natur noch die menschliche Gesellschaft gänzlich voneinander unabhängig. Die menschliche Gesellschaft ist darauf angewiesen, einen Austausch mit der Natur zu unterhalten, um die menschlichen Individuen und die menschliche Gesellschaft zu erhalten und zu entwickeln. Andersherum bedarf es zwar des Menschen nicht, damit die Natur sich erhält und entwickelt. Aber dadurch, wie die Menschen sich als Gesellschaft zur Natur verhalten, verändern sie nicht nur sich selber, sondern auch die Natur. Die menschliche Gesellschaft ist demnach nicht nur historisch und sozial, sondern auch immer natürlich bestimmt, ohne in Natur aufzugehen. Die Natur wiederum ist nicht nur natürlich, sondern auch menschlich-sozial, ohne dass sie sich darin erschöpft.

    Es gibt also mit anderen Worten nicht nur zwischen Natur und Gesellschaft eine Differenz, sondern auch sowohl innerhalb der Natur als auch der Gesellschaft eine Differenz zwischen Natur und Gesellschaft. Dies hat jedoch trotz aller Produktivkraftentwicklung und der schrittweisen Anerkennung des Anthropozäns als wahrscheinlich neuer geologischen Epoche5 nicht zur Folge, dass Natur nicht mehr Natur ist oder Gesellschaft nicht mehr Gesellschaft oder das beides ineinander übergeht. Die Natur bleibt in erster Instanz Natur, wenn auch vergesellschaftete, die Gesellschaft ist in erster Instanz Gesellschaft, wenn auch mit natürlichen Anteilen.

    Damit ist allerdings nicht gemeint, dass eine mutmaßlich ursprüngliche oder unberührte Natur existierte, die gerettet werden könnte. Eine solche Vorstellung haben Marx und Engels bereits in ihrer Zeit zurückgewiesen.6 Gleichzeitig bedeutet aber die technische Reproduzierbarkeit der Natur und das überbordende Ausmaß der Naturbeherrschung durch die entwickelte Technologie ebenso wenig, dass die Natur zu einer (Neu)Erfindung der Menschen7 degradiert worden oder gar am Ende8 ist. Die Natur ist nicht eine humane Konstruktion, sie wird nicht durch die Menschen konstituiert. In der Praxis und Theorie besteht die „Priorität der äußeren Natur“9 gegenüber der menschlichen Gesellschaft fort. Der Klimawandel ist mehr als nur ein kleiner Beleg für die (relative) Eigenständigkeit in der Natur von gesellschaftlichen Prozessen, wie der schwedische Humanökologe Andreas Malm argumentiert.10

    Die bis hierher entwickelte, doppelt polare Differenz zwischen Natur und Gesellschaft ändert jedoch nichts daran, dass Natur und Gesellschaft auch eine Einheit bilden. Denn als sozialhistorisches Produkt der Menschen ist ihre Gesellschaft erstens unweigerlich in die unbelebte und belebte Natur eingebettet. Gleich wie weit sich die menschliche Gesellschaft entwickelt, „der Mensch ist ein Teil der Natur“.11 Zweitens sind die Menschen nie nur soziale, menschliche Individuen, sondern auch immer belebte Naturwesen. Der Mensch ist ein „leidendes, bedingtes und beschränktes Wesen, wie es auch das Tier und die Pflanze“12 sind, gleichwohl mit besonderen, sozialhistorisch geschaffenen Fähigkeiten. Die doppelt polare Differenz zwischen Natur und menschlicher Gesellschaft existiert also, aber nur innerhalb der „Einheit“.13

    Ferner ist, wie bereits angedeutet, die doppelte polare Differenz zwischen Natur und Gesellschaft nicht im strengen Sinne ontologisch gegeben, keine essentielle Differenz. Sie ist vielmehr das historische Produkt der gesellschaftlichen Arbeit. Gesellschaftliche Arbeit meint, dass die Menschen in ihrer sozialen Praxis der Produktion von Gebrauchsgegenständen zueinander und zur Natur Beziehungen eingehen, um die menschlichen Individuen und die menschliche Gesellschaft zu reproduzieren. Der menschlich-sozialen Produktion und Verteilung von Gebrauchsgegenständen ist also unmittelbar ein Verhältnis zur Natur inhärent. Dies ist so, weil Menschen sich zur Produktion von Gebrauchsgegenständen die Natur auf irgendeine Art und Weise aneignen und sie transformieren müssen, um zu überleben.14 Dabei verändern sich die Menschen durch die soziale Arbeit natürlich und gesellschaftlich.

    Vermittelt über die gesellschaftliche Arbeit findet also dauerhaft ein wechselseitiger Prozess der Vergesellschaftung der Natur und Naturalisierung der Gesellschaft im Zuge der sozioökonomischen Praxis der Menschen statt, der zugleich die Reproduktionsprozesse von Natur und Gesellschaft umfasst. Das Ergebnis ist, dass die doppelt polare Differenz von Natur und Gesellschaft innerhalb ihrer Einheit in jeweils historisch und räumlich besonderer Form gestaltet wird, während sich Natur und Gesellschaft entwickeln.

     

    Der Widerspruch zwischen Natur und bürgerlicher Gesellschaft

    Die gegenwärtige, bürgerliche Form der Gesellschaft zeichnet sich durch eine besondere Organisation der gesellschaftlichen Arbeit aus. Sie beruht auf einer kapitalistischen Produktionsweise, das heißt auf spezifischen sozioökonomischen Relationen zwischen den Menschen und zwischen Menschen und Natur. Deren Zusammenspiel führt dazu, dass aus der doppelt polaren Differenz zwischen Natur und Gesellschaft ein Widerspruch wird.

    Marx zufolge leben wir in einer Gesellschaft, die sich bei allen Neuerungen, Entwicklungen, Verschiebungen in Zeit und Raum sozioökonomisch durch das Kapitalverhältnis auszeichnet. Damit bezeichnet er „ein durch Sachen vermitteltes gesellschaftliches Verhältnis zwischen Personen“.15 Was darunter zu verstehen ist, lässt sich anhand der „Architektonik der drei Bände“,16 das heißt der drei Bücher gut auflösen, die das marxsche Kapital umfasst.

    Im ersten Band geht es maßgeblich um die Produktionsverhältnisse. Die kapitalistischen Produktionsverhältnisse bestehen zwischen den Eigentümer:innen der Produktionsmittel und den Lohnarbeiter:innen, die nichts zu verkaufen haben als ihre Arbeitskraft. Zu diesen Produktionsmitteln zählt neben Maschinen auch die Natur bzw. die von den Kapitalist:innen monopolisierten Teile der Natur, wie etwa Böden, in denen sich Kohle befindet.

    In der Produktionssphäre treten Kapitalist:innen und Lohnabhängige einander unmittelbar gegenüber. Im Betrieb ist ihr Verhältnis trotz allen Co-Managements oder Mitbestimmung „despotisch“.17 Kapitalist:innen lassen Lohnarbeiter:innen im eigenen Interesse sowie unter eigenem Kommando arbeiten und eignen sich den im Produktionsprozess geschaffenen Mehrwert an. Mit anderen Worten: Die Profite, die Kapitalist:innen akkumulieren, sind letztlich von den Arbeiter:innen produziert. Das Verhältnis von Kapital und Arbeit ist in der Produktion also ein Ausbeutungs- und Herrschaftsverhältnis. Durch jeden Produktionsprozess wird dieses und das ihm zugrunde liegende Eigentumsverhältnis reproduziert. Die Arbeiter:innen bekommen einen Lohn, während die Kapitalist:innen weiterhin über die Produktionsmittel plus neues Kapital verfügen.

    Der zweite Band des Kapital handelt maßgeblich von der Zirkulation, das heißt von den Beziehungen zwischen den Menschen auf dem Markt. Entscheidend ist hier zweierlei. Dadurch, dass die Menschen Waren kaufen und verkaufen, gehen sie erstens in actu eine Beziehung zueinander ein, welche sich in verschiedenen, miteinander verbundenen Formen vergegenständlicht. Diese Formen sind stark vereinfacht der (Tausch-)Wert der Waren, das Geld und das Kapital. Zusammen mit den Eigentumsverhältnissen bilden sie die gesellschaftliche Struktur, welche die Produktion für den Profit als Zweck gesellschaftlichen Handelns in der bürgerlichen Gesellschaft setzen. Zweitens erscheint das Kapitalverhältnis zwischen Lohnarbeiter- und Kapitalist:innen auf dem Markt nicht unmittelbar als Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnis. Denn als Verkäufe:innen und Käufer:innen von Waren auf dem Markt, also außerhalb der Produktion, sind die Menschen politisch frei und gleich.

    Wie Marx’ Analyse der Produktion aber zeigt, ist dem nicht so. Was über den Kauf bzw. Verkauf von Arbeitskraft auf dem Markt zwischen Kapitalist:innen und Lohnabhängigen im Austausch für Geld – also über Sachen – vermittelt wird, ist ein Ausbeutungs- und Herrschaftsverhältnis zwischen denselben Kapitalist:innen und Arbeiter:innen, die sich auf dem Markt als scheinbar Gleiche gegenübertreten. Das stellt Marx im dritten Band des Kapital dar, in dem es um das wechselseitige Zusammenspiel von Zirkulation und Produktion im Gesamtprozess der kapitalistischen Produktion geht. Dort heißt es, dass die Kapitalist:innen als Klasse, „sosehr sie in ihrer Konkurrenz untereinander sich als falsche Brüder bewähren, doch einen wahren Freimaurerbund bilden gegenüber der Gesamtheit der Arbeiterklasse“18, um diese auszubeuten.

    Dieses über Sachen vermittelte Verhältnis zwischen den sozialen Klassen ist für das Verständnis des gesellschaftlichen Naturverhältnisses heute deshalb entscheidend, weil die Relation zwischen Gesellschaft und Natur in der kapitalistischen Gesellschaftsformation über das Kapitalverhältnis vermittelt wird. In der bürgerlichen Gesellschaft ist der Produktionsprozess, in dem der reale Stoffwechselprozess mit der Natur organisiert wird, nicht nur Produktionsprozess von Gebrauchsgegenständen zur Bedürfnisbefriedigung. Er ist nicht einmal in erster Linie an Bedürfnisbefriedigung orientiert. Er verläuft vielmehr im Interesse und unter dem Kommando der Klasse der Kapitalist:innen, sein Zweck ist die Kapitalakkumulation um ihrer selbst Willen, während Arbeiter:innen und Natur, die für die Produktion benötigt werden, beide bloß Mittel zu diesem Zweck sind. Das bedeutet nicht, dass ihre Ausbeutung identisch ist. Aber sie fallen beide in der kapitalistischen Produktion zusammen.

    In der Warenproduktion abstrahiert die Klasse der Kapitalist:innen von den unterschiedlichen Qualitäten der Natur ebenso wie von ihren relativen Eigenständigkeiten und Eigengesetzlichkeiten. Die Folgen der Produktion und auch der Zirkulation, der individuellen und produktiven Konsumtion der produzierten Waren für die Natur und schließlich die Reproduktion bzw. die zur Reproduktion der Natur nötigen natürlichen Prozesse spielen für die Eigentümer:innen der Natur bestenfalls eine nachgeordnete Rolle. Der Braunkohleabbau oder die Fleischproduktion sind beredtes Zeugnis dafür.

    Nun ist der Prozess der Kapitalakkumulation potentiell ein unendlich wachsender Prozess. Das heißt, die Naturaneignung und Verarbeitung mit allen ihren Konsequenzen für die Mehrheit der Menschen und die Natur nimmt auf stetig wachsender Stufenleiter zu. Im Falle der Natur ist es aber nun einmal so, dass die ökologischen Systeme anderen, natürlichen Relationen, Prozessen und Temporalitäten folgen als die Gesellschaft des Kapitals.

    Wenn die Klasse der Kapitalist:innen aber als Eigentümer:innen des Großteils der Natur auf dem Planeten die Naturrelationen und -prozesse dem Zweck der Kapitalakkumulation unterordnet und dabei in der genannten Weise von ihnen abstrahiert, wird aus der dialektischen Differenz zwischen sozialen und natürlichen Relationen und Prozessen, zwischen bürgerlicher Gesellschaft und Natur, genauer: zwischen Kapital und Natur ein Widerspruch. Die Reproduktion beider ist nicht mehr miteinander vereinbar und wird auch den natürlichen Qualitäten nicht gerecht, über die Menschen und eine Vielzahl an Tierarten als soziale, Leid empfindende und nach Glück strebende Wesen verfügen.

    Zum Beispiel in der Fleischindustrie verstellt die Reproduktion des Kapitals nicht nur die Reproduktion der menschlichen Gesundheit durch eine unmenschliche psychische und körperliche Belastung der Arbeiter:innen. Sie verunmöglicht auch die Reproduktion gesunden sozialen, emotionalen, psychologischen und anderen Verhaltens der zu schlachtenden und verarbeitenden Tiere. Mit der Reproduktion des fossilen Kapitals, etwa in der Energieherstellung, wird zudem die Reproduktion eines funktionierenden Klimasystems, wie wir es kennen und mit ihm umzugehen gelernt haben, und damit die besondere Qualität eines solchen geoökologischen Systems unterminiert.

    Im gesellschaftlichen Stoffwechsel mit der Natur richtet das Kapital aufgrund Widerspruchs zwischen ihnen im Zuge kapitalistischer Entwicklung quantitativ und qualitativ sukzessiv zunehmende Zerstörungen in der Natur an.19 Es entsteht, wie der Soziologe John Bellamy Foster schreibt, ein Riss im Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur.20 „Die kapitalistische Produktion entwickelt“ sich also nur, wie Marx feststellt, „indem sie zugleich die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter“.21 Das Ergebnis sind die verschiedenen sozialökologischen Krisen – von der Klimakrise bis zur Krise im Mensch-Tier-Verhältnis –, die aktuell zu einer Krise des gesellschaftlichen Naturverhältnisses im Kapitalismus konvergieren.

     


    Für eine ökosozialistische Strategie zur Lösung der sozialökologischen Krise

    Will man nun diese Krise lösen und einen nachhaltigen, also auch klimagerechten Metabolismus mit der Natur implementieren, muss der Widerspruch zwischen der Natur und der bürgerlichen Gesellschaft gelöst werden. Dies bedeutete vor allem, aber nicht nur, die Klasse zu enteignen und zu entmachten, welche derzeit die Relation zur Natur bestimmt, und die dem Widerspruch zugrundeliegenden sozioökonomischen Eigentums- und Produktionsverhältnisse zu revolutionieren, die ausschlaggebend für die Form der Naturaneignung und die Naturzerstörungen in der heutigen Gesellschaft sind.

    Gemessen an diesen Voraussetzungen ist ersichtlich, warum die beiden eingangs geschilderten Strategien zur Bekämpfung des Klimawandels das Wesentliche nicht berühren. Sie reichen weder an die kapitalistische Produktion heran, wo der Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur stattfindet, noch zielen sie auf die Veränderung der Eigentums- und Produktionsverhältnisse. Freilich sind die Limitationen der Regierungen und der sozialökologischen Bewegungen beim Kampf unterschiedlich gelagert. Insofern ist die konstatierte Gemeinsamkeit zwischen den Strategien auch zu relativieren.

    Die Regierungen könnten tendenziell in die kapitalistischen Produktionsverhältnisse intervenieren. Und sei es vorerst nur, um im Stile des frühsowjetischen Kriegskommunismus die schlimmsten Auswüchse der sozialökologischen Katastrophe zu begrenzen. Gleichwohl sind dem bürgerlichen Staat und dem Handeln seiner Apparate – so viel kann man der historisch materialistischen Staatstheorie gleich welcher Provenienz entnehmen – objektive, formspezifische Grenzen gesetzt. Er gründet unter anderem auf der Anerkennung des Privateigentums an Produktionsmitteln und – im hiesigen Kontext besonders bedeutsam – der Natur sowie auf der Trennung von der Ökonomie, derzufolge die grundsätzliche Entscheidungsgewalt über wirtschaftliche Belange außerhalb der bürgerlich-demokratischen Institutionen angesiedelt ist. Außerdem ist er finanziell abhängig von den akkumulierten Profiten des Kapitals und ihrem Wachstum, das durch tiefe Interventionen in die Ökonomie abgeschnitten würde. Zudem wollen die sozialen Kräfte, welche die Regierungen derzeit stellen und stützen, solche Eingriffe in die ökonomischen Produktionsverhältnisse, die sich von der politischen Regulierung ihrer Rahmenbedingungen grundsätzlich unterscheiden, gar nicht. Sie setzen bestenfalls auf unterschiedlich stark ausgeprägte Formen der ökologischen Modernisierung der kapitalistischen Produktionsweise.

    Das Verhältnis von politischem Willen, Eingriffe in die Produktionsweise und -verhältnisse vorzunehmen, und den Machtmitteln, diese durchzusetzen, ist zumindest bei den radikaleren Strömungen der sozialökologischen Bewegungen im Vergleich zu den Regierungen tendenziell umgekehrt. Ein zentrales Problem besteht für sie allerdings weiterhin darin, dass ihre eigene politische Strategie, wenn nicht intentional, so doch faktisch der Naturaneignung durch das Kapital in der ökonomischen Produktion äußerlich bleibt und damit die bürgerliche Besonderung des (erweiterten) Staats sowie seine formale Trennung von der Ökonomie reproduziert. Zweifellos kann man über die vergangenen Jahre eine verstärkte Orientierung von Teilen der Klimagerechtigkeitsbewegung auf die direkte Auseinandersetzung mit dem fossilen Kapital beobachten. Es hat also eine Annäherung an die sozioökonomischen Beziehungen, die Träger und den Ort kapitalistischer Naturzerstörung stattgefunden.

    Gleichwohl bleiben sie meist zeitlich und auf einzelne Unternehmen begrenzt. Vor allem aber haben die sozialökologischen Bewegungen bis heute keine ausreichende Basis unter den Lohnarbeiter:innen, also jener sozialen Klasse, die unter der Kontrolle und im Auftrag der Privatunternehmer:innen im Produktionsprozess den Austausch mit der Natur bewerkstelligt. Dies gilt nicht nur, aber auch für die Industriebetriebe, welche durch die Emission von klimarelevanten Treibhausgasen besonders zur Klimakrise beitragen. Dazu kommt, dass auch die Programmatik für eine sozial gerechte, ökologisch nachhaltige und demokratische Konversion der Produktion bestenfalls in den Kinderschuhen steckt. Mit anderen Worten, die sozialökologischen Bewegungen verfügen über keine ökonomisch-organisatorische Klassenmacht, mittels derer Eingriffe in die Produktionsweise und Eigentumsverhältnisse durchsetzbar wären und das gesellschaftliche Naturverhältnis real umgestaltet werden könnte.

    Dieser Macht bedarf es aber ebenso wie der Staatsmacht, um den Stoffwechsel mit der Natur“ unter „gemeinschaftliche Kontrolle“ zu bringen, ihn „rationell regeln“22 zu können und auf diese Weise Natur und Gesellschaft miteinander zu versöhnen. Dementsprechend müsste eine Strategie zur Lösung des Widerspruchs zwischen Kapital und Natur, der Krise des gesellschaftlichen Naturverhältnisses eine ökosozialistische sein.

     



     

     


    1Majakowski, Wladimir 1980[1922]: Ich liebe. In: Leonhard Kossuth (Hg.): Wladimir Majakowski. Werke Poeme. Band II.1. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 177–8.
    2Marx, Karl 1964 [1867]: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Erster Band. Buch I: Der Produktionsprozeß des Kapitals. In: Marx-Engels-Werke. Band 23. Berlin: Dietz, 57.
    3Vgl. dazu einführend Tjaden-Steinhauer, Margarete und Tjaden, Karl Hermann 2004[2002]: An Ape’s View of Human History – revisited. In: Sperling Ute und Tjaden-Steinhauer, Margarete (Hg.): Gesellschaft von Tikal bis irgendwo. Europäische Gewaltherrschaft, gesellschaftliche Umbrüche, Ungleichheitsgesellschaften neben der Spur. Kassel: Verlag Winfried Jenior, 43–63.
    4Marx, Karl und Friedrich Engels 1978[1845–6]: Die deutsche Ideologie. Kritik der neuesten deutschen Philosophie in ihren Repräsentanten Feuerbach, B. Bauer und Stirner, und des deutschen Sozialismus in seinen verschiedenen Propheten. In: Marx-Engels-Werke. Band 3. 5. Auflage. Berlin: Dietz, 20–1.
    5Vgl. Altvater, Elmar 2018: Kapitalozän. Der Kapitalismus schreibt Erdgeschichte. In: Zeitschrift Luxemburg. URL: https://www.zeitschrift-luxemburg.de/kapitalozaen/ (zuletzt geprüft am 11.11.2021) und Angus, Ian 2016: Facing the Anthropocene. Fossil Capitalism and the Crisis of the Earth System, 48–58, 152–74.
    6Marx/Engels, Deutsche Ideologie, 44.
    7Vgl. Haraway, Donna 1995: Die Neuerfindung der Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen. Frankfurt a.M./New York: Campus.
    8Vgl. Latour, Bruno: Das Parlament der Dinge. Für eine politische Ökologie. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 41–7.
    9Marx/Engels, Deutsche Ideologie, 44.
    10Malm, Andreas 2017: The Progress of This Storm. Nature and Society in a Warming World. London: Verso, 15.
    11Marx, Karl 1968[1844]: Ökonomisch-philosophische Manuskripte aus dem Jahre 1844. In: Marx-Engels-Werke. Band 40. Berlin: Dietz, 516.
    12Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte, 578.
    13Marx, Karl 1983[1857–8]: Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie. In: Marx-Engels-Werke. Band 42. Berlin: Dietz, 397.
    14Vgl. Marx/Engels, Deutsche Ideologie, 38; Marx, Karl 1961[1849]: Lohnarbeit und Kapital. In: Marx-Engels-Werke. Band 6. Berlin: Dietz, 407; Marx, Karl 1964[1894]: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Dritter Band. Buch III: Der Gesamtprozeß der kapitalistischen Produktion. In: Marx-Engels-Werke. Band 25. Berlin:Dietz, 826–7.
    15Marx, Kapital Band 1, 793.
    16Wolf, Dieter 2015[2013]: Zur Architektonik der drei Bände des Marxschen Kapitals. In: Rolf Hecker et al. (Hg.): Marx’ Sechs-Bücher-Plan: eine Debatte. Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge 2013. Hamburg: Argument, 95.
    17Marx, Kapital Band 1, 351.
    18Marx, Kapital Band 3, 208.
    19Vgl. dazu detailliert Karathanassis, Athanasios 2003: Naturzerstörung und kapitalistisches Wachstum. Ökosysteme im Kontext ökonomischer Entwicklungen. Hamburg: VSA, 1–137; Stache, Christian 2017: Kapitalismus und Naturzerstörung. Zur kritischen Theorie des gesellschaftlichen Naturverhältnisses. Opladen: Budrich UniPress, 431–534.
    20Foster, John und Brett Clark: The Robbery of Nature. Capitalism and the Ecological Rift. New York: Monthly Review Press, 23.
    21Marx, Kapital Band 1, 529–30.
    22Marx, Kapital Band 3, 828.