Dass unser Leben in physischer Daseinsform irgendwann mit dem Vergehen des Körpers und dem Tod endet, ist eine unumstössliche Tatsache. Das war bereits vor Corona so. Ich habe mich nicht dazu entschlossen, dieses Buch mit dem vorliegenden Epilog zu beenden, weil als Folge der Coronakrise weltweit Menschen gestorben sind, sondern weil es im Leben eines jeden Menschen Phasen gibt, in denen man mit dieser Tatsache hadert. Zwei meiner Freunde haben sich in unserer Schulzeit Mitte der Neunzigerjahre das Leben genommen, was dazu führte, dass ich mich intensiv mit dem Tod auseinanderzusetzen begann. Im Februar 2021 verstarb mein Vater nach einem reich erfüllten Leben. So gesehen könnte argumentiert werden, dass mich der Tod meines Vaters dazu inspiriert hat, die vorliegenden Zeilen zu verfassen. Möglicherweise hätte ich einem Buch über das Glücklichsein einen Abschluss der vorliegenden Art jedoch auch dann angefügt, wenn Corona nicht ausgebrochen und mein Vater nicht kürzlich verstorben wäre. Der Verlust eines nahestehenden Menschen sowie der eigene Umgang mit der Endlichkeit des Lebens wirken sich nämlich entscheidend auf das eigene Glücksempfinden aus – auf welche Art und Weise auch immer.
Natürlich ist da meine Trauer über den Verlust des geliebten Menschen, doch ich beobachte bei mir auch innerpsychische Vorgänge, die nach einem Todesfall von Hinterbliebenen oft zu Protokoll gegeben werden: Verstorbene leben in unseren Herzen weiter und können unser Fühlen, Denken und Verhalten in beträchtlichem Mass beeinflussen. Das kann sich zum Beispiel darin äussern, dass sich Trauernde beim Treffen von Entscheidungen fragen, was im Sinne des Verstorbenen wäre, und dementsprechend handeln. Von Kindern wird ebenfalls berichtet, dass sie häufig zu ihren geliebten Verstorbenen sprechen.1 Hier könnten Beispiele aus vielen anderen Lebensbereichen angefügt werden – als Komponist Kommen mir in dem Zusammenhang einige wundervolle Musikstücke in den Sinn, die Hinterbliebene nach dem Tod von geliebten Menschen geschrieben haben.
Mir war es vergönnt, einige Wochen nach dem Hinschied meines Vaters die Inspiration zu erhalten, ein Musikstück zu seinem Gedenken zu komponieren. Was ich im Verlauf dieses Prozesses in vielen Momenten erlebte, könnte als das “Glück der Fülle” des deutschen Philosophen Wilhelm Schmid bezeichnet werden: tiefe Trauer, aber auf einer Metaebene zudem ein sehr stimmiges Gefühl in dem Sinn, dass es richtig und angebracht und Ausdruck der Würdigung meines Vaters ist, zu leiden und Schmerz zu empfinden – auch wenn er die Hinterbliebenen üblicherweise in Trauer zurücklässt, ist der Tod unausweichlich und gehört zum Leben dazu.
Darüber hinaus, dass Verstorbene, wie vorgängig beschrieben, Einfluss auf unser Leben nehmen können, kommt es bemerkenswert oft vor, dass Hinterbliebene berichten, sie spüren deren Präsenz. Das ergab eine Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2015, in der bisherige Studienergebnisse aus dem westlichen Kulturkreis analysiert wurden. Es zeigte sich, dass je nach Studie 30 bis 60 Prozent der befragten verwitweten Personen zu Protokoll gaben, seit dem Versterben ihres Ehepartners schon einmal den Eindruck gehabt zu haben, ihn zu spüren oder ihn zu hören oder zu riechen. Zur Frage, ob sie glauben, die Präsenz irgendeines anderen verstorbenen Menschen zu spüren, berichten die Studienteilnehmer etwas seltener, aber dennoch von solchen Erfahrungen. Diese Befunde mögen den einen oder anderen Leser sonderbar anmuten. In Japan zum Beispiel gelten solche Erfahrungen jedoch als völlig normal, was auf den Einfluss von kulturellen Gegebenheiten auf Denkhaltungen verweist – auch im Zusammenhang mit dem Tod.2
Gut möglich, dass Menschen, die berichten, Verstorbene zu spüren, gerade aus diesem Grund an ein Leben nach dem Tod glauben, oder daran zu glauben beginnen. Unabhängig davon, ob es ein Leben nach dem Tod gibt, könnte man sich fragen, ob der Glaube daran uns unser Leben sinnerfüllter und glücklicher leben lässt. Erachten Sie auch diese Frage als etwas sonderbar? In der Schweiz ist der Glaube an ein Leben nach dem Tod recht weit verbreitet. Im Rahmen einer 2019 durchgeführten Umfrage des schweizerischen Bundesamtes für Statistik berichtete knapp die Hälfte der mehr als 13.000 befragten Personen (45,1%), dass sie sicher oder eher an ein Leben nach dem Tod glauben. Mehr als jede fünfte befragte Person (21,7%) gab zu Protokoll, sich diesbezüglich sicher zu sein.3 Im Widerspruch dazu steht in unserem westlichen Kulturkreis die Überzeugung, dass unsere Fähigkeit, das Leben zu erleben – sprich Dinge wahrzunehmen und Empfindungen zu haben – physiologischen Aktivitäten unseres Gehirns und Körpers entspringt. Ohne Gehirn und Körper wäre demzufolge das Erleben einer wie auch immer gearteten Form eines Lebens nach dem Tod gar nicht möglich.
Die mit diesen Überlegungen zusammenhängende spannende, aber auch ausgesprochen komplexe Frage, was menschliches Bewusstsein ist und wie es entsteht (oder ob es allenfalls einfach ist, ohne einen Anfang oder ein Ende zu haben), wird im Zusammenhang mit dem Phänomen der Nahtoderfahrungen nicht nur in sogenannten parapsychologischen Kreisen, sondern durchaus auch in der Mainstream-Psychologie diskutiert.
Von Nahtoderfahrungen berichten typischerweise Menschen, die in einer bestimmten Situation medizinisch, oder teilweise auch vom blossen subjektiven Empfinden her, dem Tod nahe waren, zum Beispiel während eines Herzstillstands.4 Solche Berichte beinhalten die oft zitierten Wahrnehmungsphänomene des Erscheinens von verstorbenen Verwandten, eine Lebensrückschau oder ausserhalb des eigenen Körpers gewesen zu sein. Des Weiteren werden dabei auch äusserst bemerkenswerte Wahrnehmungen geschildert. Zum Beispiel, dass während dieser Erfahrung Zeit nicht mehr zu existieren und alles gleichzeitig zu sein schien, aber dennoch in bestimmten Abfolgen stattfand. Oder dass der eigene Körper oder Objekte wie zum Beispiel ein Sofa im dreidimensionalen Raum gleichzeitig aus allen Perspektiven betrachtet werden konnten.5 Ich weiss nicht, wie es Ihnen geht, aber ich kann die Augen schliessen und versuchen, mir diese zeit- und raumbezogenen Phänomene vorzustellen, solange ich will, ich kriege das nicht hin. Aber immerhin ist es uns möglich, rein gedanklich nachzuvollziehen, was von Betroffenen zu Protokoll gegeben wird.
Vorstellen kann man sich hingegen wohl recht gut, dass solche ausserordentlichen Wahrnehmungsphänomene oder das Erscheinen von geliebten Verstorbenen oder religiösen Figuren häufig tief einschneidende Erfahrungen für die Betroffenen sind. Nahtoderfahrungen können so zu einer radikalen und zumeist positiv gearteten Veränderung von Werten und der Perspektive auf das Leben führen. Sie resultieren nebst beispielsweise der erlangten Überzeugung, den Sinn des Lebens besser zu verstehen, oft in einer geringeren Angst vor dem Tod und in einem verstärkten Glauben an ein Leben danach.6 Ob man nun eine Nahtoderfahrung erlebt hat oder nicht, Studien zeigen, dass der Glaube an eine positiv geartete Form an ein Leben nach dem Tod mit höherer psychischer Gesundheit im Zusammenhang steht. So weisen Menschen, die an die Einheit mit dem Göttlichen oder an die Wiedervereinigung mit geliebten Verstorbenen nach dem Tod glauben, weniger Symptome von psychischen Störungen auf wie Depression, soziale Phobie oder Angststörungen. Im Sinne einer der in diesem Buch dargelegten zentralen Botschaften der Glücksforschung spielt also bezüglich der Frage, ob und wie es nach dem Tod weitergehen könnte, die objektive Realität (zumindest zu Lebzeiten) wiederum weniger eine Rolle als unsere persönlichen Einstellungen und Werte. Es ist der blosse Glaube an ein Leben nach dem Tod, der unsere psychische Gesundheit positiv beeinflussen kann.
Gemäss der Forschergruppe um den amerikanischen Psychologen Dr. Kevin Flannelly könnte das daran liegen, dass wir durch einen solchen Glauben unsere Erfahrungen in einen grösseren Kontext einordnen. Das könnte wiederum dazu führen, dass es uns gelingt, herausfordernde Situationen und gar traumatische Ereignisse als in letzter Konsequenz bloss vorübergehend zu betrachten. Darüber hinaus vermag uns der Glaube an ein Leben nach dem Tod gemäss Flannelly und seinen Mitarbeitern dabei zu unterstützen, unser Leben bewusster zu leben und ihm mehr Tiefe zu verleihen.7,8 Unterstützen könnte uns hier besonders die Tatsache, dass Menschen, die an ein Leben nach dem Tod glauben, ebenso wie Menschen mit Nahtoderfahrungen weniger Angst vor dem Tod haben und ihn eher als natürliches Ende unseres irdischen Daseins akzeptieren.9 Man beachte in dem Zusammenhang, dass im Buddhismus und im Hinduismus – immerhin zwei Weltreligionen mit 450 beziehungsweise 850 Millionen Anhängern – der Glaube an ein Leben nach dem Tod (sowie an Wiedergeburt) tief verankert ist. Vor dem Hintergrund einiger intensiver Gespräche über den Tod und die Angst vor ihm, die ich über die letzten mehr als 25 Jahre mit Freunden und Bekannten geführt habe, und im Zusammenhang mit unserem Glücksempfinden scheint mir all das erwähnenswert. In der jetzigen Zeit umso mehr, da sich wegen Corona viele Menschen ihrer Sterblichkeit bewusst(er) geworden sind.10
So wie die Überlegungen nach einem allfälligen Leben nach dem Tod entspricht auch diejenige Frage schliesslich einer Glaubenssache, weshalb und wozu wir Menschen überhaupt hier auf dieser Welt sind. Das wird von Philosophen und Theologen bis zum heutigen Tag angeregt diskutiert.Wer weiss, vielleicht erhalten wir die Antwort auf diese Fragen, wenn unser irdisches Dasein beendet ist. Bis dieser Tag kommt, hoffe ich, mit diesem Buch dazu beigetragen zu haben, dass Sie Ihr Leben hier auf Erden während dieser sehr fordernden Zeiten möglichst glücklich und sinnerfüllt leben können. Referenzen
1 Stroebe, M., Gergen, M. M., Gergen, K. J. & Stroebe, W. (1992). Broken hearts or broken bonds. Love and death in historical perspective. American Psychologist, 47 (10), 1205–1212.
2 Castelnovo, A., Cavallotti, S., Gambini, O. & D’Agostino, A. (2015). Post-bereavement hallucinatory experiences: A critical overview of population and clinical studies. Journal of Affective Disorders, 186 (1), 266–274.
3 Roth, M. & Müller, F. (2020). Religiöse und spirituelle Praktiken und Glaubensformen in der Schweiz. Erste Ergebnisse der Erhebung zur Sprache, Religion und Kultur 2019. ForschungsberichtNr. 1368–1900 des Bundesamtes für Statistik, Neuchâtel.
4 Agrillo, C. (2011). Near-death experience: Out-of-body and outof-brain? Review of General Psychology, 15 (1), 1–10.
5 Jourdan, J.-P. (2011). Near death experiences and the 5th dimensional spatio-temporal perspective. Journal of Cosmology, 14.
6 Van Lommel, P., van Wees, R., Meyers, V. & Elfferich, I. (2001). Near-death experience in survivors of cardiac arrest: A prospective study in the Netherlands. The Lancet, 358 (9298), 2039–2045.
7 Flannelly, K. J., Koenig, H., Ellison, C.G., Galek, K. & Krause, N. (2006). Belief in life after death and mental health. Journal of Nervous & Mental Disease, 194 (7), 524–529.
8 Flannelly, K. J., Ellison, C.G., Galek, K. & Koenig, H. (2008). Beliefs about life-after-death, psychiatric symptomology and cognitive theories of psychopathology. Journal of Psychology and Theology, 36 (2), 94–103.
9 Harding, S. R., Flannelly, K. J., Weaver, A. J. & Costa, K. G. (2005). The influence of religion on death anxiety and death acceptance. Mental Health, Religion & Culture, 8 (4), 253–261.
10 Pradhan, M., Chettri, A. & Maheshwari, S. (2020). Fear of death in the shadow of COVID-19: The mediating role of perceived stress in the relationship between neuroticism and death anxiety. Death Studies.