Das Nachdenken über Kultur ist so alt wie die Menschheit selbst. Dies lässt sich nur deshalb behaupten, weil das Konzept der Menschheit als eine besondere Art von Lebewesen auf Selbsterkenntnis beruht und damit die notwendige Bedingung für Kultur ist, wenn darunter Verhaltensweisen zu verstehen sind, die im Wissen um die eigene Besonderheit zu tage treten. Die Kulturtheorie nahm ihren Anfang bei der Feststellung, dass die Menschen sich durch das Bewusstsein ihrer selbst vom Rest der Welt absondern, die natürliche Umwelt und die soziale Mitwelt aus einer reflexiven Distanz erfahren und ihren Sonderstatus in der Welt als Kultur erleben. Aus dieser Selbsterkenntnis erwächst der über lange Zeit geltende und weitgehend akzeptierte Gegensatz von Kultur und Natur. Die Natur gebiert und gedeiht von selbst und scheinbar ziellos, die Kultur erschafft und gestaltet nach einer bestimmten Vorstellung. Da die Wortherkunft der Kultur im Ackerbau liegt, liess sich das Verhältnis von Kultur und Natur von jeher mit diesem Gleichnis erklären: Der Bauer trotzt der wuchernden Natur ein Feld ab, ermächtigt sich ihrer Wuchskräfte und lenkt diese in die von ihm gewünschten Bahnen des Fruchtertrags, er kultiviert einen Teil der Natur, entfremdet absichtlich und sondert ihn, wie sich selbst, von der wilden, rohen und unkultivierten Natur ab. Eine derart getrennte Betrachtungsweise der Lebenswelt ist dazu prädestiniert, zahlreiche Vorurteile und Rollenbilder zu erzeugen und zu erhärten, wenn sie auf menschliche Gemeinschaften übertragen wird, z.B. wenn bestimmte Menschen der Natur zugeordnet werden, mit dem Anliegen, sie in ihrer Ursprünglichkeit zu verehren, sie aufgrund ihrer Wildheit zu kultivieren oder sie als minderwertig zu beurteilen und in der Folge zu unterwerfen.
Im Grunde untersucht die Kulturtheorie, inwiefern sich die Menschheit von ihrer Umwelt unterscheidet und mit welchen Mitteln sie dies zustande bringt. Implizit verspricht die Untersuchung der Kultur demnach aufschlussreiche Erkenntnisse über die Menschheit selbst und lässt die Hoffnung aufkeimen, eine Antwort auf die grosse philosophische Frage zu erhalten, was denn der Mensch und damit der Sinn seines Daseins überhaupt sei. Das Problem dieser Fragestellung ist, dass sie aufgrund individueller und kultureller Unterschiede der Menschen nicht zufriedenstellend und allgemeingültig beantwortet werden kann. Gibt es unterschiedliche Auffassungen von Kultur, so kann doch unmöglich die Kultur in abstraktem Sinne untersucht, sondern vorzüglich studiert werden anhand ihrer konkreten Ausgestaltungen in oftmals ritualisierten Sprech- und Handlungsweisen durch bestimmte Gruppen von Menschen. Aufgrund dieser Sichtweise grenzen sich einzelne Kulturwissenschaften wie die Ethnologie bewusst ab von der philosophisch orientierten Kulturtheorie, die weiterhin versucht, den universellen Elementen der Kultur auf die Schliche zu kommen. Und sie steht damit nicht auf verlorenem Posten, denn die Diversifizierung der Wissenschaften erlaubt es, dass transdisziplinäre Adaptionen zu weitreichenden Umwälzungen der Wissenschaftskultur führen.
Die linguistische Wende in den Geistes- und Sozialwissenschaften hat zu Beginn des 20. Jahrhunderts dazu geführt, dass die Sprachtheorie zum Leitbild vieler wissenschaftlicher Untersuchungen wurde. Und dies nicht zu unrecht, da sich alle Menschen irgendeines Zeichensystems bedienen, um sich mitzuteilen oder um ihr Denken zu strukturieren.
Neben den linguistischen Erkenntnissen über Zeichenbeziehungen, syntaktische Muster und semantische Felder, dienten auch die Reflexionen über die Sprache wie etwa Wittgensteins Modell des Sprachspiels als praktikable theoretische Vorlagen für ein neues Verständnis der wissenschaftlichen Gegenstände und der Wissenschaften selbst. Die Kultur wurde nun als eine besondere Art von Sprache betrachtet, der eine eigene Logik zugrunde liegen musste und derer man sich, zumindest im ersten Schritt, analytisch annähern konnte. Es galt, das strukturelle Gerüst der Kultur herauszuarbeiten, mit anderen Worten die Grammatik der Kultursprache zu verstehen. Die neue Betrachtungsweise bot zudem eine Grundlage, um kulturübergreifende Theorien zu entwickeln und ermöglichte es den Forschenden, frühere Probleme der kulturellen Prägung zu umgehen und mit dem Fokus auf die sprachähnlichen und damit universellen Merkmale einer Kultur zweifellos objektiver zu arbeiten. Bis zum heutigen Tag ist eine der grössten Herausforderungen der Kulturwissenschaften, ethnozentristische Tendenzen zu erkennen und zu dekonstruieren. Das selbstkritische Forschen ist gerade im kulturellen Bereich wichtig, da die Sprachen, die Methoden und die Schemata der Wissenschaften nicht selten auf eurozentristischen Vorgaben beruhen.
Die Sprache erfüllt zwar weitestgehend die Ansprüche an ein objektives Grundmodell für beinahe alle menschlichen Belange, so können auch die Mathematik, die Musik, die Informatik als Sprachen interpretiert werden, ja aus philosophischer Sicht kann eigentlich jede menschliche Aktivität als Sprachspiel beschrieben und durchdacht werden. Jedoch beruht die Sprache selbst auf gesellschaftlichen und damit auf kulturellen Konventionen, die historisch betrachtet recht zufällig und kulturspezifisch entstanden sind. Die allmähliche Hinwendung zu neuen Untersuchungsweisen in der Soziologie ab den 1960er-Jahren inspirierte in zahlreichen anderen Fächern zur kulturellen Wende (engl. cultural turn) und dem Vorsatz, sich vermehrt der kulturinhärenten Bedeutung von Kultur zuzuwenden, also nachzufragen, wie die Menschen in ihrer eigenen Sprache die Besonderheiten ihrer eigenen Kultur beschreiben.
Wenn heute theoretisch über Kultur nachgedacht wird, dann einerseits unter Berücksichtigung der Ansätze und Resultate der Sozialwissenschaften, andererseits aber auch im Selbstverständnis als Kulturphilosophie, die weiterhin der Frage nachgeht, wie die Menschen als der Natur und sich in gewisserweise selbst entfremdete Wesen sich kulturell, also planvoll kreativ und transformativ verhalten. Um dies besser tun zu können, orientieren sich in jüngerer Zeit viele an der Literatur und anderen narrativen Kunstformen wie etwa Filme, da womöglich gerade die Erzählweise der Kulturschaffenden aufzeigt, wie Kultur und damit auch der Mensch gegenwärtig funktioniert.