Der Weg zum rationalen Entscheiden, abgekürzt

Von morgens bis abends müssen wir Entscheidungen treffen. Oft betreffen diese Entscheidungen mundane Angelegenheiten, oft aber stehen wir vor großen Herausforderungen. Es kümmert uns zwar wenig, ob wir die richtige Sockenfarbe wählen, es kümmert uns aber umso mehr, ob beispielsweise unsere medizinische Entscheidungen rational sind:  Versuche ich es mit einer bestimmten Behandlung, oder warte ich einfach eine Weile?

    Das Problem

     

    Von morgens bis abends müssen wir Entscheidungen treffen. Oft betreffen diese Entscheidungen mundane Angelegenheiten, oft aber stehen wir vor großen Herausforderungen. Es kümmert uns zwar wenig, ob wir die richtige Sockenfarbe wählen, es kümmert uns aber umso mehr, ob beispielsweise unsere medizinische Entscheidungen rational sind: Bei welcher Krankenversicherung melde ich mich an? Sollte ich meine Ärztin aufsuchen? Sollte ich mich auf eine mögliche Erkrankung hin untersuchen lassen? Versuche ich es mit einer bestimmten Behandlung, oder warte ich einfach eine Weile? Wir würden gerne richtig entscheiden, das heißt: rational entscheiden. Oft ist dafür aber keine Zeit–das Wartezimmer ist voll, die Mittagspause beginnt gleich, und die Ärztin fragt sofort nach einer Entscheidung. Aber selbst Experten in der Entscheidungsforschung können rationale Entscheidungen nur mit Papier, Stift, und Radiergummi identifizieren. Wie soll ich denn entscheiden? Ist Rationalität alltagstauglich?

     

    Die traditionale Antwort

     

    Die gute Nachricht ist, dass laut traditionalen Theorien von Rationalität du vielleicht schon richtig entscheidest, wenn auch unbewusst. Rationales Entscheiden bedeutet grundsätzlich, dass deine Entscheidungen kohärent sind, das heißt, sie können sinnvoll interpretiert werden. Zum Beispiel, deine medizinischen Entscheidungen könnten genau zueinander passen, wenn du die Wahrscheinlichkeit, dass du eine bestimmte Krankheit hast, genau auf 23% schätzt. (Diese „Kohärenz“ wird in der Entscheidungstheorie mit mathematischen Axiomen ausbuchstabiert, die hier aber unwichtig sind.)

     

    Die schlechte Nachricht ist, dass diese Theorien dir nur wenig helfen, wenn du nicht schon rational Entscheidungen triffst. Schließlich sind die meisten keine Experten für Entscheidungstheorie. Aber wir möchten Theorien von Rationalität, die auch für Laien hilfreich sind. Eine Theorie sollte nicht nur sagen, wie man sich entscheiden soll. Es sollte auch nicht zu schwierig sein, sich an die Theorie halten zu können. Und wenn wir es schaffen dann uns daran zu halten, so sollten wir mit unseren Entscheidungen in der Regel zufrieden sein.

     

    Abkürzungen: zu schön um wahr zu sein?

     

    Es gibt eine ganz andere Perspektive auf die Rationalität, die hilfreicher sein könnte. Sie heißt „Ökologische Rationalität“ und behauptet, dass Faustregeln rational sein können. Menschen nutzen häufig solche Abkürzungen. Zum Beispiel: du bist bei der Ärztin, und du lässt dich impfen. Du hast eine Faustregel benutzt: du machst einfach, was deine Ärztin dir empfiehlt. Die Entscheidung ist gut: die Impfung sichert die Gemeinschaft und schadet dir nicht. Deine Faustregel kann auch rational sein: deine Ärtzin weiß normalerweise welche Impfungen wichtig sind, wenn du also nach ihren Vorschlägen handelst, handelst du normalerweise richtig. Weil unsere Umwelt in vielen Arten und Weisen regulär ist, treffen wir auf Basis von Faustregeln täglich viele richtige Entscheidungen, schnell, einfach, und ohne großes Nachdenken.

     

    Nicht alle Faustregeln sind rational. Die Theorie der ökologischen Rationalität besagt, dass sie nur rational sind, insofern sie schnell, sparsam, und akkurat sind. Die letzte Bedingung ist vielleicht die wichtigste, und hängt direkt ab von der konkreten Beschaffenheit unserer Umwelt. Wenn deine Ärztin eine Quacksalberin ist, ist es nicht rational, ihr zu folgen.

     

    Die Ökologische Theorie scheint also hilfreich zu sein. Faustregeln sind einfach zu verstehen, einfach anzuwenden (meistens unbewusst), und glücklicherweise liefern sie oft gute Ergebnisse. Aber noch ist nicht alles perfekt. Ob eine Faustregel wirklich rational ist, scheint eigentlich daran zu hängen, ob ihre Folgen objektiv gut sind. Leider gibt es aber oft keine solche Objektivität, keine diesbezüglich allgemeingültige Fakten. Für manche ist es wichtig ein langes Leben zu haben, für manche zählt nur die Lebensqualität. Für manche macht es Sinn, eine chirurgischen Eingriff zu haben, für manche ist es besser zu warten. Und so weiter. Unsere genauen Risikopräferenzen sind sehr kompliziert und individuell, einfache Antworten gibt es keine. Wie können wir jedoch in solchen Fällen wissen, ob eine Faustregel rational ist, und für wen?

     

    Die Rettung der Faustregel

     

    Eine Lösung ist immer noch möglich, und tatsächlich kommt die Antwort von den traditionellen Theorien der Rationalität. Sie sind insbesondere für solche Probleme entworfen. Genauer: traditionelle Theorien nutzen Axiome um subjektive Präferenzzufriedenheit durch konkrete, observierbare Kriterien zu erfassen. 

     

    Ein Beispiel: man muss entscheiden, ob auf eine genetische Anomalie getestet werden soll. Nehmen wir an, dass es zwei Arten von Menschen gibt. Eine Art würde lieber herauszufinden, dass sie die Anomalie haben, wenn dies der Fall wäre, und würden es ebenso herausfinden wollen, wenn dies nicht der Fall wäre. Die zweite Art würde lieber nicht wissen wollen, dass sie die Anomalie hätten, und sie würden auch vorziehen es nicht zu wissen, wenn sie die Anomalie nicht hätten. Für beide Arten hängt die richtige Entscheidung nicht davon ab, ob sie die Anomalie haben. Für beide ist die damit verbundene Ungewissheit also gar nicht entscheidungsrelevant. In einem solchen Fall kennen  wir zwar die Präferenzen der einzelnen Personen nicht, aber wir wissen, dass niemand Präferenzen haben kann, nach denen es rational wäre, von der Ungewissheit über das Vorhandensein der genetischen Anomalie in seiner Entscheidung beinflusst zu sein.

     

    Wie identifizieren wir dann rationale Faustregeln? Wir können sofort jene ausschließen, die (relativ oft) zu Verletzungen der Entscheidungsaxiome führen. Darüber hinaus kann (und muss) jeder nach Wahl oder Gefühl Faustregeln benutzen. Experten müssen einfach erklären, welche Faustregeln in welchem Kontext definitiv irrational sind, und dann müssen wir diese einfach nur noch im Alltag vermeiden. Auf diese Weise kann der Weg zum rationalen Entscheiden abgekürzt werden.  

     


    Literatur:

    Gerd Gigerenzer, Ralph Hertwig & Thorsten Pachur (Hrsg.): Heuristics: The Foundations of Adaptive Behavior. Oxford University Press, Oxford, 2011.

    Ralph Hertwig, Ulrich Hoffrage & die ABC Forschungsgruppe: Simple Heuristics in a Social World. Oxford University Press, Oxford, 2013.

     

    Frage an die Leserschaft

    Die Theorie der ökologischen Rationalität besagt, dass Faustregeln nur dann rational sind, wenn sie schnell, sparsam, und akkurat sind.

    Könnte man ein Gegenargument formulieren, in dem Entscheidungen langsam und gut überlegt gefällt werden?

    Welche Rolle spielt dabei die Präferenz des Subjekts?