Auf das 1. Cartooment in der vorigen Bulletin-Ausgabe (Greiner 2020) folgt nun in diesem Heft eine weitere kompakte Begründung eines Arguments unter vermittlungstechnischer Zuhilfenahme von Cartoons (Cartoon + Argument = Cartooment). Das Postulat, das mittels Cartooment Nr. 2 begründet werden soll, lautet: Psycho ist nicht Neuro!
Seit dem "Jahrzehnt des Gehirns“ durchforsten Naturwissenschaftler*innen die Nervengewebsstrukturen des Gehims emsig nach dem Psychischen, weil sie davon überzeugt sind, dass der Geist, die Seele und das Unbewusste in der neuro- biologisch erklärbaren Prozessdynamik des Cerebrums verortet sein müssen (vgl. dazu u.a. Kandel 2006, Kaplan-Solms & Solms 2005, Roth 2006). Seltsam, dass sich niemand von den Neuro-Psycho-Detektiven die grundsatzliche Frage zu stellen scheint, ob diese Suche überhaupt sinnvoll ist; zeigt ein Phänomenvergleichender Blick doch, dass „Neuro“ und „Psycho“ auf zwei grundverschiedene Gegenstandsbereiche gerichtet sind, deren Erforschung die Anwendung grundverschiedener Untersuchungsmethoden verlangt (vgl. dazu u.a. Greiner 2007, Greiner 2010, Werbik & Benetka 2016).
„Psycho“, für das sich die Psychotherapie interessiert, bezieht sich als Begriffskürzel für psychisches Geschehen auf das Phänomen des menschliche Seelenlebens bzw. des subjektiven Erlebens. Subjektives Erleben, das stets an die je konkrete Perspektive menschlicher Individuen gebunden ist, lasst sich über die Anwendung idiographischer Methoden (Hermeneutik) zwar sinnverstehend-qualitativ erkunden, jedoch nicht kausalanalytisch-quantitativ erfassen.
„Neuro“, für das sich die Neurowissenschaft interessiert, bezieht sich als Begriffskürzel für neuronales Geschehen auf biochemophysikalische Prozesse im körperlichen Organ des Nervensystems. Biochemophysikalische Prozesse im Nervensystem lassen sich über die Anwendung nomothetischer Methoden (Empirie) zwar kausalanalytisch-quantitativ erfassen, jedoch nicht sinnverstehend-qualitativ erkunden.
Da die phänomenale Betrachtung lehrt, dass Psycho nicht Neuro ist, kann folglich auch die Suche nach dem Geistig-Seelischen im Gehirn nur unsinnig sein, weil psychisches Geschehen im neuronalen Wirkungszusammenhang weder mit hermeneutischen Techniken aufgestöbert noch mit empirischen Verfahren nachgewiesen werden kann. Mithin entpuppt sich das ambitionierte Projekt der Neuro-Psycho-Fahndung als purer Psycho-Neuro-Nonsens.
Literaturverzeichnis
Greiner K (2020) Wissenschaftliches Wissen inn akademischen Sinne. In SFU Forschungsbulletin 8/1. SFU Wien
Greiner K (2007) Ist die psychoanalytische Neurophorie begründet? In Psychotherapie Forum 15/3 2007. Springer, Wien New York
Greiner K (2010) Das Selbstmissverständnis der Neuro-Psychoanalyse. In Greiner, Jandl, Wallner: Aus dem Umfeld des Konstruktiven Realismus. Peter Lang, Frankfurt/M
Kandel ER (2006) Psychiatrie, Psychoanalyse und die neue Biologie des Geistes. Suhrkamp, Frankfurt/M
Kaplan-Solms K, Solms M(2005) Neuro-Psychoanalyse. Klett-Cotta, Stuttgart Roth G (2006) Geist, Seele, Gehim. In Kandel: Psychiatrie, Psychoanalyse und die neue Biologie des Geistes. Suhrkamp, Frankfurt/M
Werbik H, Benetka G (2016) Kritik der Neuropsychologie. Psychosozial, Giessen