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Wie kann eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Philosophie und Psychologie aussehen?

Eine Einsendung im Rahmen des Essaywettbewerbs zum Thema "Philosophische Fragen der Psychologie und des Psychologiestudiums"

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    1.  Einleitung

    Im Essay argumentiere ich dafür, dass eine Zusammenarbeit zwischen Philosophie und Psycho- logie zur Auflösung der gesellschaftlichen Probleme führen kann, die den Untersuchungsgegenstand beider Disziplinen bilden. In beiden Disziplinen werden in erster Linie Methoden angewandt, um das Leben des Einzelnen in der Gesellschaft zu verbessern. Im ersten Teil meiner Arbeit zeige ich die Gemeinsamkeiten zwischen den Forschungszielen der Philosophie und der Psychologie auf. Der zweite Teil des Essays zeigt, weshalb das Philosophiestudium und das Psychologiestudium als Voraussetzung für eine fruchtbare Zusammenarbeit der beiden Disziplinen zu verstehen ist.

    2.  Gemeinsame Forschungsziele der Philosophie und der Psychologie

    Martin, Sugarman, und Slaney stellen in The Wiley Handbook of Theoretical and Philosophical Psychology die theoretische Psychologie als einen wesentlichen Teil der Psychologie als Wissenschaft dar (Martin et al. 2015, 1). Ihrer Ansicht nach befasst sich die theoretische Psychologie damit, wie psychologische Phänomene und Praktiken konzeptualisiert werden, wie Personen (als Trägerinnen psychologischer Fähigkeiten) verstanden werden, und wie das Verständnis von psychologischen Phänomenen gebildet wird (ebd.). Theoretische Psychologen, argumentieren sie, setzen historische, philosophische, sozialpsychologische und narrative Methoden ein, um das Wesen psychologischer Entitäten, Prozesse und Praktiken aufzudecken und sie der kritischen Prüfung zu unterziehen (ebd.). Das bedeutet, dass die Probleme der Psychologie im Wesentlichen philosophischer Natur sind.

    Psychologische Theoriebildung und Forschung bleibt ohne philosophische Analysen und Interpretationen orientierungslos (ebd., 4). James und Dewey sind lediglich die bekanntesten unter den zahlreichen amerikanischen Forscherinnen und Forschern, die ihre Arbeit als Philosophen auf ihre psychologische Forschung angewendet haben (ebd.). Eine neue Generation von kritischen, feministischen, narrativen, soziokulturellen und postkolonialen Psychologen arbeitet an den Forschungsinstituten seit den 1970er Jahren, argumentieren die Herausgeber des Sammelbandes (ebd., 5). Ihrer Argumentation nach förderte und forderte die kritische theoretische Psychologie eine historische, soziokulturelle und ethische Untersuchung der Psychologie, als einer zunehmend einflussreichen sozialen und institutionellen Praxis, mit komplexen Beziehungen zur sozialen Organisation und politischen Kontrolle (ebd., 6). Die etablierten philosophischen und historischen Arbeitsprogramme des Existenzialismus, der Phänomenologie, der Hermeneutik, das Pragmatismus, der Kritischen Theorie, des Poststrukturalismus und des Postkolonialismus wurden an der Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert wiederentdeckt und neu interpretiert (ebd.).

    Das Wiley Handbook macht deutlich, dass die Psychologie ein Teil unserer kollektiven und individuellen Evolution und Entwicklung als selbstinterpretierende Wesen ist, die daran interessiert sind, uns selbst und unsere menschliche Existenz zu verstehen (ebd., 7). Ich stimme dem zu, und gehe einen Schritt weiter. Wenn uns die Psychologie helfen kann, uns selbst besser zu verstehen, wird sie uns dadurch ebenfalls helfen, eine bessere Gesellschaft zu gestalten. Dieses Ziel teilt die Philosophie. Beide Disziplinen versuchen, das gesellschaftliche Leben zu verbessern. Eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen der Philosophie und der Psychologie kann zur Auflösung gesellschaftlicher Probleme führen, indem sie uns hilft, uns selbst besser zu verstehen. Ein besseres Verständnis von der eigenen Persönlichkeit führt zu einem besseren Verständnis der Leben unserer Mitmenschen, wodurch auch die Gesellschaft, als eine organisierte größere Gruppe dieser Menschen, besser verstanden und somit auch verändert werden kann. Für die Herausgeber des Handbuchs ist die Psychologie eine “institutionalisierte Reihe wissenschaftlicher und beruflicher Praktiken’’, die versuchen den Menschen und dessen Existenz zu verstehen (ebd., 12). Infolgedessen ist die zeitgenössische theoretische Psychologie ebenso ein soziokulturelles und historisches wie ein philosophisch-theoretisches Unterfangen (ebd.). Diese Charakterisierung der theoretischen Psychologie, so argumentiere ich, muss auch der Psychologie und der Philosophie im Allgemeinen zugeschrieben werden.

    Psychologische Fragen werden nicht nur in der Psychologie, sondern auch in der Anthropologie, der Soziologie, der Pädagogik, der Politikwissenschaft und der Wirtschaft behandelt, so Teo (Teo 2018, 27). Was Psychologen erforschen und definieren, trägt zur Mitgestaltung der Identität der Subjekte selbst bei, argumentiert er (ebd., 29). Die Entwicklung der eigenen Identität ist ein wesentlicher Bestandteil der Persönlichkeit eines jeden Menschen. Philosophie und Psychologie tragen zu dieser Entwicklung bei, indem sie dem Menschen helfen, sich selbst besser zu verstehen. Während sich die Psychologie auch mit den irrationalen Anteilen der menschlichen Identität befasst, fokussiert sich die Philosophie auf ihre vernunftgeleiteten Aspekte. Eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Philosophie und Psychologie kann uns somit ein genaueres Bild der menschlichen Identität vermitteln.

    Das Gedächtnis eines jeden Menschen ist nicht nur ein Gedächtnis mit bestimmten funktionalen, formalen oder performativen Eigenschaften, schreibt Teo (ebd., 34). Es ist ein Gedächtnis, das die Subjektivität des Menschen widerspiegelt und konstituiert (ebd.). Um die Subjektivität einer Person untersuchen zu können, argumentiere ich, muss die Psychologie mit der Philosophie zusammenarbeiten. Was genau die Subjektivität eines Menschen aus- macht, muss zunächst theoretisch untersucht und definiert werden, bevor es zum Gegenstand empirischer Studien wird. Infolgedessen muss die Psychologie mit “verschiedenen Ebenen der Realität“ arbeiten, die jeweils unterschiedliche Methoden erfordern, wie Teo schreibt (ebd., 35). Geistiges Leben kann nur dann konzeptualisiert werden, wenn Gesellschaft, Person und Natur bei der Theoriekonstruktion berücksichtigt worden sind (ebd., 38). Indem sich die Psychologie mit den Dingen und Begriffen beschäftigt, durch die wir die Wirklichkeit wahrnehmen, bringt sie damit auch eine bestimmte philosophische Weltsicht zum Ausdruck (ebd., 39). Die Anerkennung der Pluralität kultureller und subkultureller Subjektivitätskonzepte beginnt mit der Anerkennung der kulturhistorischen Vielfalt psychologischer Weltbilder (ebd.). Infolgedessen kann das Problem der Subjektivität naturwissenschaftlich nicht vollständig erfasst werden (ebd., 41). Ontologische, erkenntnistheoretische und ethische Aspekte des psychologischen Subjektivitätsbegriffs bedürfen der Philosophie.

    Teilbereiche der Psychologie müssen, wie Freeman feststellt, auch als “post-wissenschaftlich’’ bezeichnet werden, denn sie versuchen die Erfahrungsbereiche zu erforschen, die übrig bleiben, nachdem die Wissenschaft ihre Arbeit geleistet hat (Freeman 2019, 2). Das bedeutet, dass die Philosophie einen Platz in der psychologischen Forschung haben muss. Subjektive Erfahrungen können nicht auf Gehirnprozesse reduziert werden. Wie es ist, eine bestimmte Person zu sein, kann nicht ausschließlich wissenschaftlich erforscht werden. Auch die Philosophie kann die Frage nach der Subjektivität nicht endgültig beantworten, aber sie kann der psychologischen Forschung helfen, die richtigen Fragen zu der Subjektivität zu stellen. In- folgedessen kann die Philosophie nur eine Bereicherung für die Psychologie sein, indem sie der psychologischen Forschung neue Perspektiven eröffnet. Psychologen, so Freeman, dürfen die Welt nicht als ein lebloses Objekt betrachten, ihre Aufgabe besteht darin, die Welt sichtbar, erfahrbar und vertraut zu machen (ebd., 12). Ich argumentiere, dass die Psychologie dieser Aufgabe nur in Zusammenarbeit mit der Philosophie gerecht werden kann. Die Wis- senschaft ist nicht darauf vorbereitet, sich mit der lebendigen Gegenwart der menschlichen Realität auseinanderzusetzen, schreibt Freeman (ebd., 14). Infolgedessen kann nur eine Zusammenarbeit zwischen Philosophie und Psychologie zu einer besseren Gesellschaft führen, die es dem Individuum ermöglicht, sein Leben so gut wie möglich zu gestalten.

    3.    Philosophiestudium und Psychologiestudium als Voraussetzung für eine erfolgreiche Zusammenarbeit

    Im Philosophiestudium gibt es kein Nichtschwimmerbecken. Kein Lehrbuch sagt den Studierenden, wie sie Philosophie studieren sollen. Was Philosophie ist, erfährt jeder Studierende für sich selbst. Auch die Lehrenden an den verschiedenen Universitäten vertreten nicht dieselben Ansichten. Sogar innerhalb eines philosophischen Instituts gibt es keinen Konsens darüber, was Philosophie macht. Infolgedessen muss sich jede Studentin ihre eigene Meinung über den Zweck ihrer Ausbildung zur Philosophin bilden. Theoretische und praktische Philosophie werden voneinander getrennt, und Forschungsinstitute und wissenschaftliche Fachzeitschriften konzentrieren sich auf bestimmte Teilbereiche der Philosophie. Einige Philosophen schreiben dicke Bücher, während andere kurze Artikel veröffentlichen. Manche Philosophinnen sehen sich in der Tradition von Platons Akademie, andere würden die Geschichte der Philosophie lieber vergessen.

    Das Psychologiestudium bietet seinen Studierenden diese Freiheit nicht an. Es ermöglicht eine strukturierte Ausbildung, die bestimmten Richtlinien folgen muss. Während das Philosophiestudium die Durchführung des Studiums weitgehend der Selbstorganisation der Studierenden überlässt, zwingt das Psychologiestudium striktere Ordnungen und Fristen auf. Eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Philosophie und Psychologie wird jedoch erst durch die verschiedenen Studienordnungen möglich gemacht. Psychologie kann der Philosophie eine Orientierung verschaffen, während die Originalität philosophischer Arbeit der psychologischen Forschung eine neue Richtung geben kann. Methoden und Denkweisen beider Disziplinen können gemeinsam zu wertvollen Lösungen für aktuelle Probleme führen. Infolgedessen sind das Philosophiestudium und das Psychologiestudium bereits eine Voraussetzung für die fruchtbare Zusammenarbeit beider Disziplinen.

    Eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Philosophie und Psychologie kann bereits an den Universitäten stattfinden, indem die Untersuchungsmethoden beider Disziplinen dasselbe Ziel verfolgen. Wenn das Ziel philosophischer und psychologischer Arbeit eine bessere Gesellschaft ist, können die Ressourcen beider Disziplinen auch gemeinsam genutzt werden. Das bedeutet, dass eine interdisziplinäre Zusammenarbeit in den Forschungseinrichtungen das Ergebnis einer gemeinsamen Zielsetzung an den Universitäten sein muss. Eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Philosophie und Psychologie findet dann statt, wenn das Ziel dieser Arbeit ein besseres individuelles Leben und damit auch eine bessere Gesellschaft ist.

    4.  Schluss

    Eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Philosophie und Psychologie ist notwendig, um die Forschungsziele beider Disziplinen realisieren zu können. Eine wahrhaftig bessere Gesellschaft, in der die Individualität jedes Bürgers und jeder Bürgerin anerkannt wird, kann ausschließlich das Ergebnis der Zusammenarbeit zwischen Philosophie und Psychologie sein. Die Voraussetzung für eine erfolgreiche Zusammenarbeit an den Forschungseinrichtungen, ist die Organisation der beiden Studiengänge an den Universitäten. Um das Leben in der Gesellschaft besser zu gestalten, muss bereits die Ausbildung zur Psychologin eine Zusammenarbeit mit der Philosophin erfordern.


    Literaturverzeichnis

    Freeman, Mark. 2019. “Toward a Poetics of the Other: New Directions in Post-scientific Psychology.“ In Re-envisioning Theoretical Psychology. Critical Investigations. Palgrave Studies in the Theory and History of Psychology, edited by Thomas Teo, 1–24. Cham: Palgrave Macmillan.

    Martin, Jack., Jeff Sugarman, and Kathleen L. Slaney. 2015. “Editors’ Introduction.“ In The Wiley Handbook of Theoretical and Philosophical Psychology. Methods, Approaches, and New Directions for Social Sciences, edited by Jack Martin, Jeff Sugarman, and Kathleen L. Slaney, 1–20. Chichester: John Wiley & Sons, Ltd.

    Teo, Thomas. 2018. “What Is Psychology?.“ In Outline of Theoretical Psychology. Diverging Ideas and Practices. Palgrave Studies in the Theory and History of Psychology, edited by Thomas Teo, 27–47. London: Palgrave Macmillan.