"Du kommst jetzt ins Gymnasium? Ach ja, das waren noch schöne Zeiten. Geniess es!"
Welcher Gymnasiast kennt diese leicht befremdliche Altersnostalgie nicht? Und welche Gymnasiastin kann tatsächlich mehr damit anfangen, als leicht müde zu erwidern:
"Naja, ich weiss nicht, Onkel Markus."
So lief es jedenfalls für mich. Im ersten Jahr, welches ich am Gymnasium Muristalden verbrachte, war ich mehr damit beschäftigt, den Fussball ins Netz zu bugsieren, als die Französischvokabeln in meinen Kopf. Statt Fotosynthese interessierte mich angewandte Biologie und das Einzige, was ich an dem berühmten Satz – "das wird dir dann später im Leben einmal sehr nützlich sein " – verstanden habe, war, dass es mir jetzt, im Moment, nichts nützt.
So hat es niemand verwundert, wenn ich nach dem ersten Jahr freiwillig aus dem Gymnasium ausgetreten bin, und versucht habe, mir einen eigenen Weg zu bahnen; weg vom unsinnigen Büffeln, hin zum tatsächlichen Leben. Ich habe mich für eine Schreinerlehre beworben und siehe da – bei der ersten Bewerbung gleich eine Zusage. "Ich hab’s euch ja gesagt, so schwer ist das nicht! Und sieh mal Papa, ich weiss auch schon, für was ich meinen ersten Lohn ausgeben werde."
Voller Begeisterung habe ich meinen ersten Arbeitstag angetreten – im Hinterkopf das schöne Mofa, welches ich mir mit meinem ersten, selbstverdienten Geld kaufen werde. Die Begeisterung hat jedoch nur bis zum Zeitpunkt angedauert, als ich begriffen habe, was es bedeutet, sein eigenes Geld durch eine Schreinerlehre zu verdienen, – also circa bis nach der Mittagspause vom ersten Arbeitstag. ‘Ach es ist erst drei Uhr? Wie lange dauert dieser Tag den eigentlich noch?’ Ich konnte beinahe nicht mehr stehen, so müde war ich. Und als ich dann endlich zuhause ankam, bin ich vor Erschöpfung gleich eingeschlafen, – nur um am nächsten Tag wieder mitten in der Nacht – d.h. um sechs Uhr früh – aufzustehen und das gleiche Spiel nochmals von vorne zu beginnen.
So ging das Leben für mich ein Jahr lang weiter und selbst als ich dann tatsächlich auf dem hart erarbeiteten Mofa sass, konnte ich immer nur an eine Sache denken: ‘Wie recht du doch hattest, Onkel Markus!’ Das Leben war tatsächlich schön am Gymnasium. Damals konnte ich noch ausschlafen, hatte lange Sommerferien, war den ganzen Tag mit meinen Freunden und ‘so what’, wenn ich mir dafür "je vais, tu vas, il va" merken muss?!
Schliesslich fand ich also wieder zurück zum guten alten Campus Muristalden und der gute alte Muristalden empfing mich – wie es seiner Art entspricht – mit offenen Armen und einem leichten Schmunzeln; "na schau mal Einer an, wer da wieder zurück ist! Na, bist du jetzt bereit, mehr auf die Prüfung zu schreiben als deinen Namen?" Und ich konnte ihm zuversichtlich versichern; "oh ja, das bin ich! " Noch nie in meinem Leben war ich stärker zu etwas bereit als zu genau dem. Meine längerfristigen Ziele im Leben hatten sich geordnet, und ich wusste, was ich wollte, – oder besser – was ich nicht wollte.
So habe ich meinen Schreibtisch abgestaubt, das grüne "Bonne Chance" unter dem Tischbein durch ein Holzstück ersetzt und angefangen den ganzen Stoff nachzuholen, den ich während meiner Abwesenheit verpasst hatte. Es dauerte dann nicht lange, bis der neugewonnene Fleiss und Ehrgeiz in eine genuine Neugierde mündete und ich anfing, mich tatsächlich auch für das zu interessieren, was ich zu lernen hatte. Ich lernte die Schönheit kennen, welche sich hinter der mathematischen Komplexität versteckt, die Vielfalt, welche sich durch die deutsche, französische oder englische Sprache eröffnet und den Erklärungswert, der mit den naturwissenschaftlichen Fakten ausgedrückt wird. All das eröffnete sich plötzlich vor meinen Augen, – aber etwas fehlte immer noch.
So schön und gut die verschiedenen Disziplinen auch waren, ich konnte mir nicht vorstellen, mein Leben – oder jedenfalls die kommenden Jahre an der Uni, was zu dieser Zeit einem ganzen Leben gleich erschien – in nur einer davon zu verbringen. Physik, Biologie, Wirtschaft, Musik, Sprachen usw. haben alle einen ganz spezifischen Blick auf die Welt – was darin wichtig sei und wie dies zu betrachten und erforschen ist –, ich suchte aber nach etwas anderem. So habe ich mich dann schlussendlich entschieden, mich an der Uni für Philosophie einzuschreiben – und ‘here we are’.