Was ist Liebe? Diese aussergewöhnlich verzwickte Frage kann – erfreulicherweise? – nicht allgemein und endgültig beantwortet werden. Obwohl einige Konstanten zu erkennen sind, verändert sich die Natur der Liebe je nach Epoche und gesellschaftlichem Kontext. Filme, Romane und Lieder sind unverzichtbare Wegweiser für die Neugierigen, die verstehen wollen, an welchen Erwartungen, Vorstellungen und Mustern sich Liebende orientieren, und auf welche Probleme sie gestossen sind.
Der neulich erschienene Film La La Land (Damien Chazelle, 2016) hat unerwartet rege intellektuelle Debatten über die (soziale) Natur von Intimbeziehungen ausgelöst: (1) Dies lässt sich durch die nur teilweise gerechtfertigte Empörung, die die offensichtliche Zurschaustellung des hegemonialen Paarbeziehungsmodells in dem Film entflammt hat, nicht vollkommen erklären. Die Protagonisten Mia (Emma Stone) und Sebastian (Ryan Gosling) bilden zwar ein weisses, heterosexuelles Paar, das den Schönheitsidealen der westlichen Kulturindustrie makellos entspricht, ihre love story gleicht sich jedoch wohl nicht an das klassische Bild der romantischen Liebe an, das Hollywood seit den 30er Jahren stets reproduziert hat. Was am Film reizt, verdankt hauptsächlich dem Unbehagen, das seiner provozierenden Darstellung der Romantik geschuldet ist. (2)
Die Erzählstruktur von La La Land dreht sich um die dynamische Gegenüberstellung von Vergangenheit und Zukunft. Die verlorene Zeit und ihre Kulturprodukte – alte Kinos, Filme wie Rebel without a Cause (1955), der „klassische“ Jazz – werden nostalgisch betrachtet; gleichzeitig ist jedoch das Neue unaufhaltsam und reif mit aufregenden Möglichkeiten (3) – insbesondere für Frauen wie Mia, die sich nicht scheuen, ihre Geschichten aus ihren eigenen Perspektiven zu erzählen. Überdies wird auf dem Musical-Genre aufgebaut, um das goldene Zeitalter Hollywoods und die dazugehörenden Darstellungen der Liebe zu verehren und gleichzeitig etwas zu veralbern: Stone und Gosling geben sich zwar Mühe, aber als Tänzer kommen sie eher als eine Parodie von Fred Astaire und Ginger Roger vor.
Betrachten wir einige der Musicals, auf die sich der Regisseur Chazelle bezieht, so wird klar, dass gemäss dem romantischen plot von Klassikern (wie etwa Swing Time (1936) oder An American in Paris (1951)) die Schlusskrönung der „wahren“ Liebe die Überwindung von Hindernissen verlangt, die auf „externe“, nämlich nicht auf Liebe stützende Gründe zurückzuführen sind. Unabhängig von moralischen Verpflichtungen, mangelnden Tugenden, ökonomischer Vernunft usw. können sich die Liebenden am Ende fröhlich zusammenschliessen. Authentische leidenschaftliche, intime Beziehungen, so die Botschaft der klassischen Musicals, sind schliesslich von äusserlichen Faktoren frei. Sie sind z.B. gegenüber dem Markt, den moralischen Normen oder gemeinschaftlichen Erwartungen abgekoppelt. Eine solche Freiheitserfahrung ist der Romantischen Liebe innewohnend.
Nun zeigt La La Land, dass Romantik heutzutage anders funktioniert. Niemand würde bestreiten, dass Mia und Sebastian sich in einander tatsächlich verliebt haben; ihre Liebe verwandelt sich aber am Ende in eine Hemmung gegen ihre persönlichen Projekte und muss deswegen aufgegeben werden. Statt Freiheit zusammen zu erleben, kommen die Liebenden zum Schluss, dass der Trennung zu findende Freiheit das höhere Gut ist. Der Bedarf an einer solchen individuellen Selbstverwirklichung ist insbesondere Mia wichtig, die sich erst bei Sebastian beschwert, er verzichte auf seine Träume zugunsten ihrer etwas bürgerlich werdenden Liebesbeziehung, und später selbst die Entscheidung trifft, einen Traumjob in Paris anzunehmen und ihre Schauspielkarriere weit entfernt von Sebastian zu verwirklichen. Sie scheint ein implizites Bewusstsein davon entwickelt zu haben, wie traditionelle Romantik insbesondere für Frauen erstickend und unterdrückend mit der Zeit werden kann.
Dennoch bilden Liebe und Selbstverwirklichung im Film keinen einfachen Gegensatz. Die anbrechende Liebe zwischen Mia und Sebastian bringt die beiden zum Blühen. Sie bringen sich gegenseitig neue Kenntnisse, Ansichten und Kräfte bei. Im Taumel ihrer Passion wird das Unmögliche für beide möglich. Ein solcher sogenannter „transformativer“ Prozess kennzeichnet genau den Kern dieser Art von Liebe. Nicht die Befreiung von äusserlichen Beschränkungen (sozialen Normen, Konventionen, ökonomischen Imperativen), die zur Schaffung einer selbstbestimmten (und idealerweise dauerhaften) Liebeswelt führt, sondern die tiefe und bereichernde Transformationserfahrung der Liebenden , die etwas Neues (hier neue Filme, neue Musik) bedeutet, ist als zentrales Merkmal der gegenwärtigen Romantik zu betonen, will man die von Mia und Sebastian verkörperte Intimbeziehung begreifen. Die Beziehung selbst läuft aber Gefahr, solchen internen und externen Transformationen preisgegeben zu werden. Selbstermächtigung in der Liebe kann paradoxerweise zur Schwächung der Liebesbeziehung führen. (4)
Wie sollen wir einen solchen Wandel schätzen? Stellt Liebe als Transformation eine Art Korrumpierung dar, die die Möglichkeit einer intimen Form geteilter Freiheit ausser Kraft setzt, und den Vorrang des Individuums der Gemeinschaft gegenüber behauptet? Oder lehrt uns La La Land eher, Poesie, Schönheit und Kraft auch in fliehenden, zeitweiligen, fragilen Formen der liebenden Begegnung zu schätzen? Bietet die Darstellung einer solchen prekären Liebe einen Spiegel unserer neoliberalen Gesellschaft an, die unbefristete, flexible und höchst individualisierte Lebensprojekte preist, oder feiert der Film vielmehr eine neue, entfesselte, riskantere aber gleichzeitig spannendere Idee der Intimität? Alle diese Fragen können wahrscheinlich bejaht werden: in der Sache Liebe ist Ambivalenz immer zu Hause.
Fussnoten
- Vgl. z.B. Slavoj Žižek, “La La Land: A Leninist Reading”, The Philosophical Salon, 19.02.2017 http://thephilosophicalsalon.com/la-la-land-a-leninist-reading/
- Ich bin der Meinung, dass La La Land nicht einfach eine realistischere Version der Hollywoods-Liebegeschichte inszenieren will, wie der Regisseur selbst (siehe https://www.pri.org/stories/2017-02-27/director-damien-chazelle-old-hollywood-musicals-inspired-la-la-land) und andere angedeutet haben. La La Land bietet vielmehr eine alternative Idee der leidenschaftlichen Intimbeziehung
- Viele Kommentator_innen haben zurecht angegeben, die Entscheidung, einen weissen Mann als den einzigen Verteidiger des Jazz darzustellen, sei unglücklich und implausibel. Insgesamt lässt aber der Film Zweifel erheben, dass eine solche Verteidigung völlig positiv zu schätzen ist.
- Interessenterweise stellt eine andere Inspirationsquelle von La La Land, Singing in the Rain (1952), eine transformative Liebesbeziehung dar, die sich gleichzeitig als klassische romantische Befreiung versteht.