Trans- und Posthumanismus sind zwei heterogene Bewegungen des ausgehenden 20. Jahrhunderts, die Diskurse aus Philosophie, Sozial- und Kulturwissenschaften, Informatik und KI-Forschung vereinen und sich an der Grenze von philosophischer Anthropologie und Technikphilosophie verorten lassen [1]. Ihre Vertreter*innen begreifen sich in Auseinandersetzung mit dem bzw. in kritischer Distanz zum Humanismus (HU) sowie in der Tradition und Weiterführung des Programms der Postmoderne. Der Transhumanismus (TH) – um den es im Folgenden geht – will den Menschen weiterentwickeln und optimieren [2]. Seine Methode ist die Transformation (des Menschen) [3]. Der Posthumanismus (PH) hingegen zielt auf eine Überwindung des Menschen und prognostiziert sein herannahendes Ende. Seine Methode ist die Kreation (einer artifiziellen Alterität). TH und PH überschneiden sich insofern, als auch der TH radikale Wesensänderungen des Menschen billigend in Kauf nimmt, sich diese aber nicht direkt zum Ziel setzt. Die Zielvorstellung des TH ist ein „neuer Mensch“, die des PH beruht vor dem Hintergrund einer kritischen Überschreitung humanistischer Ideale und tradierter Dualismen sowie Spezies-Kategorien für gewöhnlich auf artifiziellen Systemen.
Der Begriff „transhuman“ gelangt durch die englische Dante-Übersetzung und -Rezeption zu Beginn des 19. Jahrhunderts in die englische Sprache und wird 1970 von dem kalifornischen Futuristen Fereidoun M. Esfandiary und seinem Zeitgenossen Robert C. W. Ettinger aufgegriffen [4]. Die utopischen Ideen des TH lassen sich indes an den HU zurückbinden [5]. Nick Bostrom – einer der berühmtesten Transhumanist*innen der Gegenwart – verfolgt seine Wurzeln sogar bis in die mesopotamische Vorzeit des Gilgamesch-Epos (ca. 2.400-1.800 v. Chr.) zurück [6].
Im Folgenden werden drei Kerngedanken des TH in der durch das Format dieses Blogs gebotenen Knappheit vorgestellt. Daran soll aufgezeigt werden, inwiefern die Vision eines „neuen Menschen“ fundamental eine Utopie der Kontrolle einschließt. Es geht um das transhumanistische Bestreben einer vollständigen Verfügungsgewalt über die menschliche Person, über ihre Entwicklung sowie über den Endzustand ihrer Entwicklung. Dafür nehme ich zunächst die transhumanistische Vorstellung eines posthumanen Wesens als Zielvorstellung des TH in den Blick. Hernach geht es um die wohl wichtigste Methode zur Verwirklichung des Posthumanen – Human Enhancement; die genetische, biologische, medizinische und insbesondere technische Optimierung des Menschen. Abschließend betrachte ich mit dem Mind Uploading ein Verfahren, das zwar v.a. im PH, allerdings auch im radikalen TH einen möglichen Schritt in der Entwicklung des Posthumanen darstellt.
Das Posthumane: Gerne verweisen Transhumanist*innen auf Giovanni Pico della Mirandola als – mit seiner berühmten Rede über die Würde des Menschen – Vorläufer des TH. Insofern Pico in der Tat eine stufenhafte Entwicklung des Menschen von einem per definitionem ort- und charakterlosen „Chamäleon“ [7], hin zu einem dank Ethik, Dialektik und Naturphilosophie bzw. Metaphysik zunächst himmlischen Wesen beschreibt, das mit Hilfe der Theologie schließlich zu einem „göttlichen Wesen“ [8] wird, ist dieser Einschätzung durchaus zuzustimmen. Pico della Mirandola stellt in seinem – man kann zu Recht sagen – Manifest des HU eine rein formale Definition des Menschen vor: Der Mensch weist gerade keine spezifische Essenz auf. Indem er sich qua Selbstbestimmung eine Form gibt, verwandelt er sich durch diesen Akt in ein anderes Wesen, das entweder schlechter oder besser ist als der Mensch in seiner Unbestimmtheit zuvor war: „Wenn du nämlich einen Menschen siehst, der seinem Bauch ergeben auf dem Boden kriecht, dann ist das ein Strauch, den du siehst, kein Mensch“ [9]. Pico benennt zahlreiche Wesenheiten, zu denen sich der Mensch selbst macht – nur zuletzt über das Göttliche schweigt er ehrfürchtig in dem Wissen, dass das menschliche Wort an einer Schilderung desselben notwendig scheitern muss. Ja, es wäre in der Tat nicht nur Hybris sondern ein Kategorienfehler [10], dem, was einerseits zwar als Ziel- und Endpunkt der menschlichen Selbsttransformation gedacht wird, andererseits allerdings außerhalb des menschlichen Erfahrungshorizonts im Bereich des Transzendentalen zu verorten ist, mit der menschlichen Sprache beikommen zu wollen. Letztlich bleibt es eine bloße Vermutung, eine wackere Hoffnung, dass wir dann nicht zu einem bösen Dämon, sondern tatschlich „der Gottheit voll, nicht mehr wir selbst, sondern der sein [werden], der uns geschaffen hat.“ [11]
Zahlreiche Transhumanist*innen können ihrem Streben nach einer durchweg kontrollierten Optimierung des Menschen hingegen nicht widerstehen und suchen – in dem Bewusstsein darum, dass sie an dieser Stelle eigentlich keine konkreten Aussagen treffen können – dem posthumanen Wesen mit einigermaßen spezifischen Attributen und Charaktereigenschaften habhaft zu werden [12]. Transhumanistische Denker*innen stellen sich die Entwicklung des Menschen für gewöhnlich kontinuierlich in der graduellen Steigerung konstitutiver Fähigkeiten und Kompetenzen vor, die irgendwann einen kategorialen Abgrund hin zum Posthumanen überspringt (bei Pico della Mirandola zwischen dem himmlischen und dem göttlichen Wesen gelegen), auf dessen anderer Seite die Transformation des Menschen – ab hier eigentlich Posthumanisierung zu nennen – allerdings wieder kontinuierlich weiterzugehen scheint [13]. Transhumanist*innen haben Picos (und das christliche) Vertrauen in das nicht nur Unfassbare sondern v.a. Wunderbare des Göttlichen verloren und begehen aus dem Drang größtmöglicher Kontrolle heraus, einen Kategorienfehler [14].
Human Enhancement: Die Selbstrückbindung an den HU geht im TH in der Tat sehr weit. „Scratch a transhumanist and you will find a humanist underneath“ [15], kann man ein wenig provokativ überspitzt mit Hauskeller sagen. So wird auch bezüglich der wohl bedeutendsten Methode transhumanistischer Optimierungsprozesse – das Human Enhancement, was die v.a. technologische Verbesserung des Menschen meint – in transhumanistischen Texten immer wieder daran erinnert, dass dies letztlich nur eine Weiterentwicklung des humanistischen Ideals einer Erziehung zur Selbstbildung darstelle [16]. Beschränkt sich der HU letztlich auf pädagogische und kulturelle Methoden, setzt der TH das humanistische Programm einer Selbstkultivierung und Selbstschaffung mit technischen Mitteln fort [17].
So ist es bereits „das tragende Ziel humanistischer Aufklärung, dass der Mensch Wurzel seiner selbst werde“ und insofern korrekt, Formen des Human Enhancements als weitere „Ausdehnung menschlicher Verfügungsmacht“ zu interpretieren [18]. Jedoch ist der Mensch in der humanistischen Bildung und – meiner Ansicht nach auch – Erziehung immer noch aktives Handlungssubjekt, wohingegen das transhumanistische Enhancement ihn zum passiven Material der (Um-)Gestaltung durch seine Kreateur*innen degradiert. Menschen können zu jedem Zeitpunkt ihres Bildungsprozesses „Nein“ sagen, auch Kinder – das wissen Eltern aus leidvoller Erfahrung nur zu gut – können sich (zumindest ab einem bestimmten Alter, graduell gesehen) ihrer Erziehung verweigern, können sich sträuben und rebellieren. Im Human Enhancement ist das nicht möglich, denn es setzt erklärungslogisch an einer anderen Stelle der Bezugnahme auf den Menschen an.
Mind Uploading: Hannah Arendt unterscheidet in der Vita Activa zwischen dem Was und dem Wer einer Person. Wir können immer nur das Was eines Menschen zum Ausdruck bringen, indem wir physische oder charakterliche Merkmale nennen, Vorlieben, Abneigungen und Idiosynkrasien aufzählen – letztlich doch unfähig, die oder den Anderen angemessen beschreiben zu können. Dem Wer einer Person ist mit Worten nicht habhaft zu werden. Es ist einfach da. Es überfällt und erschüttert uns geradezu, weil es sich unserer „Kontrolle“ gänzlich entzieht [19]. Das Projekt des radikalen TH (und populärer Posthumanist*innen), den menschlichen Geist auf ein Computer Interface hochzuladen und auf diese Weise die Person vollständig virtuell einzuspeisen (bzw. eine detailgetreue Kopie von ihr zu erstellen), zielt tatsächlich auf eine Eroberung auch dieses Unverfügbaren, was sehr schön an transhumanistischen Visionen wie der von Martine Rothblatt deutlich wird: Bewusstsein könne im Mind Cloning artifiziell erzeugt, indem subjektive Attribute wie Manierismen, persönliche Charakterzüge, Gefühle und Werte [20] in sogenannte „bemes“ [21] übersetzt werden.
Allein, in der Aufzählung der unterschiedlichsten menschlichen Qualitäten kann auch Rothblatt doch nur das menschliche Was kontrollieren: Die transhumanistische Zergliederung des Menschen in ein Sammelsurium aus Eigenschaften, die mit der richtigen Methode, vergleichbar einem Puzzle, auf ein Computer Interface hochgeladen und zusammengefügt wieder dieselbe Person ergeben, reduziert den Menschen letztlich auf das von Arendt vorgestellte Was. Auch diese artifizielle Kopie – oder was immer es ist, was dort in unserem neuen virtuellen Daseinsraum entstehen mag – wird ein Wer haben. Doch dieses Wer lässt sich, auch durch den größten transhumanistischem Eifer und technikgläubige Euphorie befeuert, nicht kontrollieren.
Der TH schafft eine Utopie der wohl umfassendsten Kontrolle, die man sich vorstellen kann: Es geht ihm um die vollständige Verfügungsmacht über die menschliche Person, über ihre Entwicklung und darüber, wozu sie sich entwickelt. Dabei nimmt er Kategorienfehler, Passivisierungen im Sinne einer Degradierung zum Material der (Um-)Gestaltung und Reduktionen der menschlichen Komplexität in Kauf.
[1] Dr. Janina Sombetzki arbeitet gerade an einer Einführung in den Trans- und Posthumanismus, die im Frühjahr 2018 bei Junius erscheinen wird. [2] Kettner 2005, S. 89. [3] Niemeyer 2015. [4] FM-2030 1973, 1989; Ettinger 1972 – aber auch bereits früher Huxley 1957. [5] Engel 2015; Hughes 2010. [6] Bostrom 2005. [7] Pico della Mirandola 1990, S. 5. [8] Ebd., S. 9 und 25 und zu den vier Erkenntnisstufen bzw. Läuterungen von Körper und Geist S. 15. [9] Ebd., S. 9. [10] Ein Vorwurf, der Immanuel Kant in seinen Überlegungen das Ding an sich betreffend gemacht wurde. Auch in der christlichen Tradition wird das Göttliche zumeist nur äußerst abstrakt skizziert. [11] Pico della Mirandola 1990, S. 25. [12] Stellvertretend für viele sei hier auf More 2013, S. 4 verwiesen: „Posthuman beings would no longer suffer from disease, aging, and inevitable death […]. They would have vastly greater physical capability and freedom of form […]. Posthumans would also have much greater cognitive capabilities, and more refined emotions (more joy, less anger, or whatever changes each individual prefers).” [13] Exemplarisch nachzulesen bei Bostrom 2013, S. 28 f. sowie Bostrom 2011, S. 56, aber auch bei Walker 2011, S. 94, Philbeck 2014, S. 175 und Hauskeller 2014, S. 107. [14] Spätestens jetzt wird auch die Schwierigkeit deutlich (die in diesem Blogbeitrag leider nicht weiter diskutiert werden kann), festzustellen, inwiefern das Posthumane ein „neuer Mensch“ oder schon nicht mehr wirklich Mensch ist; vgl. dazu Sorgner 2015, S. 6. [15] Hauskeller 2014, S. 104. [16] Thomas Damberger hat in dem Text „Erziehung, Bildung und pharmakologisches Enhancement“ einen hilfreichen Vergleich zwischen Erziehung, Bildung und Enhancement angestellt. [17] More 2013, S. 4. [18] Beide Zitate aus Damberger, S. 182. [19] Arendt 2010, S. 219: „Im Unterschied zu dem, was einer ist, im Unterschied zu den Eigenschaften, Gaben, Talenten, Defekten, die wir besitzen und daher so weit zum mindesten in der Hand und unter Kontrolle haben, daß es uns freisteht, sie zu zeigen oder zu verbergen, ist das eigentlich personale Wer-jemand-jeweilig-ist unserer Kontrolle darum entzogen, weil es sich unwillkürlich in allem mitoffenbart, was wir sagen oder tun.“ [20] Rothblatt 2011, S. 115. [21] Ebd., S. 117: „The word beme is an adaptation of the linguist’s word morpheme, which means the smallest unit of meaning. A beme is the smallest unit of being, or existence. Being is usually defined as a state of existing, or as somebody’s essential nature or character. Bemes are similar to memes, units of cultural transmission that behave like genes and were first explicated in 1976 by Richard Dawkins.”
Literatur /strong>Arendt, Hannah (2010 [1967]): Vita activa oder Vom tätigen Leben. 8. Auflage. München, Zürich: Piper.
Bostrom, Nick (2013): „Why I Want to be a Posthuman When I Grow up”. In: More, Max; Vita-More, Natasha (Hrsg.): The Transhumanist Reader. Classical and Contemporary Essays on the Science, Technology, and Philosophy of the Human Future. Wiley-Blackwell, S. 28-53.
Bostrom, Nick (2011): „In Defense of Posthuman Dignity”. In: Hansell, Gregory R.; Grassie, William (Hrsg.): H +/-. Transhumanism and its Critics. Metanexus, S. 55-66. Bostrom, Nick (2005): „A History of Transhumanist Thought“. In: Journal of Evolution & Technology. 1.14, S. 1-25.
Damberger, Thomas (2015): „Erziehung, Bildung und pharmakologisches Enhancement“. In: Sorgner, Stefan Lorenz (Hrsg.) (2015): Aufklärung und Kritik. Zeitschrift für freies Denken und humanistische Philosophie. Schwerpunkt Transhumanismus, 22. Jahrgang, 3/2015, S. 174-184.
Engel, Gerhard (2015): „Transhumanismus als Humanismus. Versuch einer Ortsbestimmung“. In: Sorgner, Stefan Lorenz (Hrsg.) (2015): Aufklärung und Kritik. Zeitschrift für freies Denken und humanistische Philosophie. Schwerpunkt Transhumanismus, 22. Jahrgang, 3/2015, S. 28-48.
Ettinger, Robert Chester Wilson (1972): Man Into Superhuman. Online verfügbar unter URL: http://www.cryonics.org/images/uploads/misc/ManIntoSuperman.pdf [Stand: 25.7.16].
FM-2030 (1989): Are You a Transhuman? Monitoring and Stimulating Your Personal Rate of Growth in a Rapidly Changing World. Warner Books.
FM-2030 (1973): UpWingers: A Futurist Manifesto. John Day Co.
Hauskeller, Michael (2014): „Utopia“. In: Ranisch, Robert; Sorgner, Stefan Lorenz (Hrsg.): Post- and Transhumanism. An Introduction. Frankfurt am Main, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien: Peter Lang, S. 101-108.
Hughes, James (2010): „Contradictions from the Enlightenment Roots of Transhumanism“. In: Journal of Medicine and Philosophy. 35.6, S. 622-640.
Huxley, Julian Sorell (1957): New Bottles for New Wine. Essays. London: Chatto & Windus.
Kettner, Matthias (2005): „Humanismus, Transhumanismus und die Wertschätzung der Gattungsnatur“. In: Bayertz, Kurt (Hrsg.): Die menschliche Natur. Welchen und wieviel Wert hat sie? Paderborn: Mentis, S. 73-96.
More, Max (2013): „The Philosophy of Transhumanism”. In: More, Max; Vita-More, Natasha (Hrsg.): The Transhumanist Reader. Classical and Contemporary Essays on the Science, Technology, and Philosophy of the Human Future. Wiley-Blackwell, S. 3-17.
Niemeyer, Christian (2015): „Vom Transhumanismus zurück zur Transformation, altdeutsch: ‚Verwandlung‘“. In: Sorgner, Stefan Lorenz (Hrsg.) (2015): Aufklärung und Kritik. Zeitschrift für freies Denken und humanistische Philosophie. Schwerpunkt Transhumanismus, 22. Jahrgang, 3/2015, S. 130-144.
Philbeck, Thomas D. (2014): „Ontology“. In: Ranisch, Robert; Sorgner, Stefan Lorenz (Hrsg.): Post- and Transhumanism. An Introduction. Frankfurt am Main, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien: Peter Lang, S. 173-183.
Pico della Mirandola, Giovanni (1990): De hominis dignitate/Über die Würde des Menschen. Übersetzt von Norbert Baumgarten. Herausgegeben und eingeleitet von August Buck. Lateinisch-deutsch. Hamburg: Felix Meiner, S. 1-25.
Rothblatt, Martine (2011): „From Mind Loading to Mind Cloning: Gene to Meme to Beme. A Perspective on the Nature of Humanity”. In: Hansell, Gregory R.; Grassie, William (Hrsg.): H +/-. Transhumanism and its Critics. Metanexus, S. 112-119.
Sorgner, Stefan Lorenz (2015): „Stammbäume des Meta-, Post- und Transhumanismus“. In: Sorgner, Stefan Lorenz (Hrsg.): Aufklärung und Kritik. Zeitschrift für freies Denken und humanistische Philosophie. Schwerpunkt Transhumanismus, 22. Jahrgang, 3/2015, S. 4-27.
Walker, Mark (2011): „Ship of Fools: Why Transhumanism is the Best Bet to Prevent the Extinction of Civilization”. In: Hansell, Gregory R.; Grassie, William (Hrsg.): H +/-. Transhumanism and its Critics. Metanexus, S. 94-111.