Der Diskurs der Psychosomatik, der deutlich älter ist als die Etablierung als medizinische Fachdisziplin im 20. Jahrhundert und auch außerhalb medizinischer Debatten stattfindet, rührt an einem der zentralen philosophischen Probleme, dem Leib-Seele-Dualismus. Das SNF-PRIMA-Projekt zu «Theatralität und Psychosomatik» untersucht die Diskussion um Leib-Seele-Relationen als (noch) nicht vollzogene bzw. beständig zur Debatte stehende Trennung/Korrelierung von Körper und Geist, Natur und Kultur, Affekt und Sprache sowie Natur- und Geisteswissenschaften. Mit der Faszination für den «ganzen Menschen», so soll gezeigt werden, tritt dabei ein prekäres Verhältnis von Soma und Psyche, Natur und Kultur auf den Plan, das Fragen der Darstellung, der Lektüre, der Erkenntnis – sowie von deren Kritik – nach sich zieht. Mit dem spezifischen Zuschnitt auf den Zusammenhang von Psychosomatik und Theatralität rücken dabei der Vorgang der jeweiligen Somatisierung bzw. Psychologisierung in den Fokus sowie die performativen und materiellen Praktiken und Eigenlogiken, die damit im Zusammenhang stehen. Wenn etwa nach «Körperrepräsentanzen» oder «Szenischem Verstehen» gefragt wird, um nur zwei der vielen Theatermetaphoriken in den Selbstbeschreibungen von Psychosomatik zu nennen, rückt das Projekt, wenn auch transdisziplinär in seinem Zuschnitt, in das Umfeld der philosophischen Debatten um Verkörperung/Embodiment. Unter dem Titel «Verkörpertes Wissen – revisited» fand am 20./21. September 2018 als Kick-Off und Vernetzungsveranstaltung des SNF-PRIMA-Projekts eine transdisziplinäre Tagung am Ludwik Fleck Zentrum am Collegium Helveticum in Kooperation mit dem Zentrum «Geschichte des Wissens» in Zürich statt.(i) Was bedeutet – im Sinne möglicher Semantiken und im Sinne der Bedeutsamkeit – Verkörperung (heute)? Unter dieser Themenstellung ging es darum, eine kritische Sondierung grundlegender philosophischer Positionen und aktueller Debatten um Embodied Cognition vorzunehmen und die Frage nach Verkörperung an gegenwärtige Forschungsfelder der Geistes- und Sozialwissenschaften sowie deren Wechselspiel mit den Lebenswissenschaften anzubinden.
Als durchaus provokativ gemeinter Teaser der Tagung diente Andy Clarks dazumal tatsächlich bedeutsamer Titel, Putting Brain, Body, and World together again.(ii) (1997 bei MIT Press erschienen). Im Vorwort des Buches erzählt Clark die Vorgeschichte seines programmatischen Einsatzes einer Reintegration («together again») von Körper, Geist (bzw. eigentlich: Gehirn) und Welt: Am Anfang stand Descartes’ Phantasma eines «Pure intellect»/Pure thought», d.h. der Geist konzipiert als etwas radikal unterschiedenes, aber auch radikal unabhängiges von Körper und (Um-)Welt. An diesem cartesianischen Dualismus von res cogitans und res extensa hakt seit der sogenannten kognitiven Wende ab den 1940er Jahren die Cognitive Science ein, eine disziplinen-übergreifende Koalition verschiedener Wissenschaften wie Kybernetik, Neurowissenschaft, Biologie, Psychologie, Linguistik und Informatik/KI, aber auch Anthropologie und Philosophie – mit dem Projekt, zu untersuchen und zu verstehen, wie sich Kognition (die eher grundlegenden psychischen Fähigkeiten), aber auch Denken (d.h. die im engeren Sinne geistigen Vorgänge) materiell realisieren. In Abgrenzung von den frühen ‚kognitivistischen‘ Modellen wird ab den 1980ern der Begriff ‚Embodiment‘ eingeführt: Kognition realisiert sich in einem Körper und vermittels eines physischen Substrats. Dass die Notwendigkeit, Kognition verkörpert zu diskutieren, bis ins späte 20. Jahrhundert virulent bleibt, hat damit zu tun, dass noch in den Cognitive Science der cartesianische matter-mind-Dualismus im Kern fortbestand: zuerst in den Ideologemen der künstlichen Intelligenz-Forschung in der Figur einer neuen Computer-Riesenmaschine; dann in den kognitiven Neurowissenschaften in der Maschinen-Figur des Gehirns.
Dagegen wurde aus philosophischer Perspektive eingewendet, dass es nicht ausreiche, sich auf die eine Maschine zu fokussieren und „dass Kognition […] nicht nur im Kopf, sondern auch im Körper und in der Welt verortet werden“ müsse.(iii) Embodied Cognition bzw. Embodiment arbeitet sich also an einer Revision des sogenannten Cartesianismus ab und diese Debatte hat sich nicht zuletzt auch in der Schweiz angesiedelt und weiterentwickelt, als sogenannte «Philosophie der Verkörperung».(iv) Clarks zusammen mit David Chalmers 1998 publizierter Aufsatz, "The Extended Mind“, ist einer der in dem Band versammelten Grundlagentexte, und stand dazumal für eine der Richtungen («Externalismus»), die in der Embodied Cognition – leicht sibyllinisch – als «4Es» bezeichnet werden: d.h. der Geist wird als ausgedehnt (extended), eingebettet (embedded), verkörpert (embodied), hervorbringend (enactive) verstanden und untersucht. Für die Herausgeber*innen ist dabei «Verkörperung» der Oberbegriff aller dieser «E’s»: «Es ist die Beschaffenheit unseres Körpers, die uns intelligent macht» (9).
Zu Recht und der Anerkennung der Tatsache zum Trotz, dass eine Philosophie der Verkörperung sich philosophiegeschichtlich zu nicht geringen Teilen der Phänomenologie verdankt, könnte man in Bezug auf jenes Clark’sche together again von einer „phänomenologischen Nostalgie des Körpers oder des Leibes»(v) sprechen, bzw. sollte mindestens darüber diskutieren, inwiefern man es mit einer Rückprojektion von nie Dagewesenem zu tun hat. In der bisherigen philosophischen bzw. kognitionswissenschaftlichen Debatte wird tendenziell ein Körper voraussetzt, der den Geist und sein Treiben beeinflusst. Im Unterschied dazu rücken sozial- oder kulturwissenschaftliche Ansätze stärker den Vorgang der Verkörperung in den Fokus, d.h. sie fragen, wie «Körper» allererst generiert werden – etwa unter dem Schlagwort der «Somatisierung».(vi) In diesem Sinn kann eine transdisziplinäre Vernetzung des alten philosophischen Problems des Leib-Seele-Dualismus und seiner Antworten jüngeren Datums unter dem Stichwort der Verkörperung gewinnbringend sein. Der Workshop sowie insgesamt das PRIMA-Projekt verschrieben und verschreiben sich dieser, so dass «Körper» im Fadenkreuz von Macht und Wissen, aber auch hinsichtlich der konkreten Techniken und Medien der Hervorbringung gedacht werden können. Die philosophische Verkörperungsdebatte wurde und wird dergestalt mit einer theaterwissenschaftlichen Perspektive auf Verkörperung sowie einer Sozial- oder Kulturwissenschaft des Körpers kurzgeschlossen. Bereichernd ist auch die Einnahme einer wissensgeschichtlichen Perspektive, handelt es sich doch mit «Körperlichkeit» um eine «sich historisch wandelnde anthropologische Konstante.»(vii) Hochzuhalten ist nicht zuletzt, dass wir «mit Körper» nicht unbedingt besser wissen. Vielmehr gilt es an dem kritischen Fragehorizont möglicher Verhältnisse und Selbstverhältnisse von Lebens-, Sozial- und Geisteswissenschaften festzuhalten, no putting together!
i Teilnehmer*innen: Gerko Egert, Joerg Fingerhut, Céline Kaiser, Michael Penkler, Hartmut v. Sass, Mai Wegener, Markus Wild, Sophie Witt, Bettina Bock von Wülfingen, Bettina Wuttig.
ii Andy Clark: Being There. Putting Brain, Body, and World Together Again. Cambridge/London: MIT Press 1996.
iii Joerg Fingerhut/Rebekka Hufendiek: Philosophie der Verkörperung – Ein Forschungsbericht zur Embodied Cognition-Debatte. Information Philosophie 2017 (3): 16-32.
iv Joerg Fingerhut/Rebekka Hufendiek/ Markus Wild: Philosophie der Verkörperung. Grundlagentexte zu einer aktuellen Debatte. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2013.
v Friedrich Balke: „Ob man ohne Körper denken kann“. Zum Verhältnis von Maschine und Organismus in der Medienphilosophie. In: Lorenz Engell/Frank Hartmann/Christiane Voss (Hg.): Körper des Denkens. Neue Positionen der Medienphilosophie. München: Fink 2013, 135-155, hier 147.
vi Stefan Hirschauer: Diskurse, Kompetenzen, Darstellungen. Für eine Somatisierung des Wissensbegriffs. Paragrana 25.1 (2016): 23-32.
vii Yvonne Hardt: Lemma Körperlichkeit. In: Erika Fischer-Lichte/Doris Kolesch/Matthias Warstat: Metzler Lexikon Theatertheorie. Stuttgart/Weimar: Metzler 2005, 178-186, hier 179.