Forschungsprojekt

Schweizer Philosophie im Fokus

Vom Zweiten Weltkrieg bis zur Gegenwart: Entwicklungen im philosophischen Feld zwischen politischen, sozialen und institutionellen Kontexten.

Ziel des Forschungsprojektes, welches durch die Unterstützung der Forschungskommision der Universität Luzern (FoKo) durchgeführt werden konnte, war es, eine Sozial- und Kulturgeschichte der schweizerischen Philosophie zu schreiben. Grober historischer Anfangspunkt bildete das Ende des Zweiten Weltkrieges. Von da aus sollte der weitere Verlauf der Etablierung der Philosophie als Feld in der universitären Landschaft der Schweiz nachverfolgt werden. Dabei fokussierte sich das Projekt sowohl auf zentrale Institutionen wie Universitäten und Publikationsorgane, als auch auf Personen und Ereignisse – wie beispielsweise Tagungen. Dadurch wurde erreicht, dass das philosophische Schaffen in der Schweiz im historischen Kontext in neuen Facetten analysiert wurde.

Die Aufarbeitung der Geschichte der schweizerischen Philosophie – im Speziellen der neueren und neuesten Geschichte – war und ist noch immer wenig fortgeschritten. Das Feld wird oftmals aus der Perspektive einer Ideengeschichte betrachtet: Einige wenige Personen und Werke werden in einen grossen, viele Epochen umspannenden Zusammenhang gestellt, ohne dass die jeweiligen sozialen und kulturellen Gegebenheiten vertiefte Beachtung finden. Zu einzelnen Personen und Institutionen – wie beispielsweise Jean Jacques Rousseau oder der Universität Basel in der frühen Neuzeit – finden sich durchaus detaillierte biographische und historische Arbeiten. Jedoch fehlt die Verknüpfung solcher Arbeiten. Diese Lücke möchte das vorliegende Projekt schliessen und für den umschriebenen Zeitrahmen – mit einem speziellen Fokus auf die Nachkriegszeit – eine kontextsensitive Sozial- und Kulturgeschichte in Angriff nehmen.

Dieses Ziel kann in einem Projekt alleine allerdings kaum realisiert werden. Die Quellenlage ist schlicht zu unübersichtlich. Das Herzstück des Projektes bildeten deshalb vier Artikel und Interviews, die auf verschiedene Themenfelder aufmerksam machen sollten. Dabei erhielten die Artikel die Funktion, einen kurzen Überblick über die verschiedenen Themenfelder zu liefern. Die Interviews hingegen sind als eine Einführung in das Leben und Wirken wichtiger Personen in der schweizerischen Philosophie und deren institutionelles Umfeld gedacht.

 

Artikel 1 Schweizer Philosophie und Migration. Die Geschichte der Schweizer Philosophie ist untrennbar von einer Auseinandersetzung mit akademischer Immigration. Prägende Figuren der Schweizer Philosophie – von Anna Tumarkin in Bern über Józef M. Bocheński in Fribourg zu Karl Jaspers in Basel – waren Immigranten. Für eine Auseinandersetzung mit diesem Themenkreis ist eine detaillierte Erfassung der in die Schweiz immigrierten Philosoph:innen erforderlich. Eine solcheliegt nicht vor und wird durch dieses Forschungsprojekt in Artikelform realisiert. Auf Grundlage dieser Daten wird der Artikel folgenden Fragen nachgehen: (1.) lassen sich akademische Migrationstrends feststellen? (2.) wie korreliert die Immigration in der philosophischen Akademie mit der nicht-akademischen Migration? (3.), welche Auswirkungen hatte die akademische Immigration auf die Entwicklung der Schweizer philosophischen Institute? Hier geht es zum Artikel.

Artikel 2 Diversitätshistorie der Schweizer Philosophie – wie divers war und ist die Schweizer Philosophie? Die zeitgenössische Forschung in den Sozialwissenschaften, Geschichtswissenschaften, Anthropologie und anderen Disziplinen der Human- und Geisteswissenschaften legen vermehrt ein Augenmerk auf soziale Strukturen in den Wissenschaften, so auch in der akademischen Philosophie. Obschon statistische Erhebungen zu Geschlechtervielfalt an den Hochschulen durchgeführt und vom Bundesamt für Statistik erhoben werden, fehlen beispielsweise Langzeitstudien, die den Werdegang von einzelnen Kohorten verfolgt und somit aufzeigen könnte, wie hoch die „drop-out“-Rate beispielsweise von Frauen im Vergleich zu Männern in der akademischen Laufbahn ist. Nichtsdestotrotz kann eine starke Unterrepräsentation von Frauen und anderen marginalisierten gesellschaftlichen Gruppen in den höheren Stellen der akademischen Philosophie festgestellt werden. In diesem Artikel soll nun der Frage nachgegangen werden, welche institutionellen Faktoren zu dieser Unterrepräsentation verschiedener marginalisierter Gruppen führen und welche Policies zur Eindämmung und Behebung dieses Umstands implementiert wurden.

Artikel 3 Bieler Kolloquien. An den Internationalen Kolloquien in Biel, die von von den früher 70er Jahren bis anfangs der 90er Jahre regelmässig von Prof. Henri Lauener organisiert wurden, haben zahlreiche, international anerkannte und geschätzte Professor:innen teilgenommen. Dadurch wurde die Schweiz zu einem international anerkannten Schauplatz für zeitgenössische Philosophie. In diesem Artikel sollen insbesondere die Auswirkungen dieser Tagungen auf die Schweizer Philosophiegeschichte behandelt werden. Hier geht es zum Artikel.

Artikel 4 Hochschulfinanzierung. In diesem Artikel soll untersucht werden, wie die verschiedenen (vornehmlich staatlichen oder halbstaatlichen) Förderinstitutionen die akademische Philosophie in der Schweiz unterstützt haben. Im Zentrum der Betrachtungen stehen dabei Akteure, Gremien und Reglemente, welche über Geldflüsse entschieden und dadurch die Entwicklung in der philosophischen Forschung beinflusst haben. Dadurch soll nachvollzogen werden, wie diese Entwicklungen die akademische philosophische Landschaft in der Schweiz geprägt haben. Hier geht es zum Artikel.

Interview 1 Daniel Schulthess lehrte als Professor für Geschichte der Philosophie während vieler Jahre an der Universität Neuenburg. Seine langjährige Erfahrung in der akademischen Philosophie und insbesondere die Vernetzung innerhalb der französischsprachigen Schweizer Philosophie machen ihn zu einem interessanten Gesprächspartner für die Aufarbeitung der neueren Geschichte der Philosophie in der Schweiz. Hier geht es zum Interview. (Das Interview ist auf Französisch)

Interview 2 Jean-Claude Wolf war von 1993 bis 2018 Professor für Ethik und politische Philosophie an der Universität Fribourg. Im Interview spricht er über die Veränderung der Universitäten, die Herausforderung der Zweisprachigkeit und das zwiespältige Verhältnis der Philosophie zur Öffentlichkeit. Hier geht es zum Interview.

Interview 3 Als eine der ersten Schweizer Professorinnen in der Nachkriegszeit, Gründungsprofessorin der Luzerner Universität und weitherum beachtete und bekannte Interpretin der klassischen deutschen Philosophie, die sie auch zu feinsinnigen Betrachtungen der Relevanz naturwissenschaftlicher Weltbilder für das menschliche Selbstverständnis geführt haben. Prof. Gloy ist sowohl für die Institutionsgeschichte, Migrationsgeschichte als auch Diversitätshistorie der Schweizer Philosophie eine besonders relevante Exponentin. Hier geht es zum Interview.

Interview 4 Rafael Ferber ist ein zweiter wichtiger Vertreter der Luzerner Philosophie, der besonders für seine Studien zu Platon und dessen „ungeschriebener Lehre“ Bekanntheit erlangt hat. Im Kontext des vorliegenden Projekts ist er aus zwei Gründen ein besonders wertvoller Gesprächspartner: einerseits vermag er aufgrund seiner Zusammenarbeit mit der Theologie über das Verhältnis und die Stellung der Philosophie zu anderen Fachrichtungen Auskunft zu geben. Andererseits sind seine Erfahrungen aufgrund seiner akademischen Vita (ausserordentlicher Professor in Köln) für die Migrationsgeschichte der Schweizer Philosophie relevant. Hier geht es zum Interview.