Nachdenken über Naturwissenschaften

Die Denk-Event-Reihe „Nachdenken über die Naturwissenschaft“ beinhaltete drei Veranstaltungen die thematisch im philosophischen Teilgebiet der Wissenschaftsphilosophie einzuordnen sind. Hören Sie die Podcasts und erfahren Sie mehr!

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    Philosophie der Biologie

    Über Biologie philosophieren?


    Grundlegende Fragen nach der menschlichen Natur, oder der Definition von Leben beschäftigen uns Menschen. Finden wir die Antworten darauf in der Biologie? Philosophinnen und Philosophen der Biologie klären die Bedeutung von Konzepten wie „Leben“, „Sinn“ und „Komplexität“, damit wir Antworten auf diese grundlegenden Fragen finden können.

    In der Philosophie der Biologie werden die Theorien der Biologie betrachtet und kritisch beleuchtet, wie zum Beispiel die Evolutionstheorie. Laut Alex Rosenberg und Daniel W. McShea beantwortet die Philosophie der Biologie mitunter Fragen, welche ihr von den Biologinnen und Biologen „überlassen“ wurden, da sie jene nicht selbst beantworten konnten.(1) Das sind vor allem konzeptuelle Fragen, welche die Begrifflichkeiten im Diskurs betreffen, und auch methodologische Fragen, bei denen die Methode des Erkenntnisgewinns in der Biologie ins Zentrum der Untersuchung gerückt wird. Solche Fragen können nicht durch Experimente oder Beobachtungen beantwortet werden.(2)

    Eine explizite Fragestellung aus der Evolutionsbiologie wäre beispielsweise, was der Status von Darwins bekanntem Prinzip des „Survival of the Fittest“ ist. Wird nämlich die „Fitness“ durch das „Überleben“ definiert, so erscheint eine Zirkularität vorzuliegen. Die Aussage wäre dann lediglich „Die Lebewesen welche überleben werden (=Fitness), werden überleben (=Survival).“ Es ist eine typisch philosophische Fertigkeit, solche sprachlich-konzeptuellen Probleme zu lösen, und somit das Verständnis zu fördern.(3)


    Philosophie.ch veranstaltete am Dienstag dem 25. Juni 2015 um 18:30 Uhr im Raum 115 im Hauptgebäude der Universität Bern (Hochschulstrasse 4) eine Podiumsdiskussion zum Thema Philosophie der Biologie. Knapp 35 Besucherinnen und Besucher interessierten sich für diesen Bereich der Wissenschaftsphilosophie.

     

    Zu Beginn der Veranstaltung hielt Christoph Rehmann-Sutter, Professor für Theorie und Ethik der Biowissenschaften am Institut für Medizingeschichte und Wissenschaftsforschung an der Universität zu Lübeck, einen halbstündigen Einführungsvortrag in die Philosophie der Biologie. Darin erläuterte er in einem ersten Teil das Verhältnis von Philosophie und Biologie und nannte im zweiten Teil einige Beispiele für aktuelle Fragestellungen, insbesondere aus seinen eigenen Forschungsinteressen.

    Das Verhältnis der Philosophie zur Biologie ist durch ein „philosophisches Staunen“ gekennzeichnet: Phänomene wie Evolution, Schwarmintelligenz oder das Verhalten von „sozialen Amöben“ werfen fundamentale, philosophische Fragen auf, die in der Biologie selbst nicht behandelt werden. Es braucht deshalb, so Rehmann-Sutter, eine Philosophie, die solche Phänome reflektiert und Antworten auf die aufgeworfenen Fragen sucht. Ein weiterer Berührungspunkt von Biologie und Philosophie stellen vortheoretische Überlegungen dar, welche Eingang in wissenschaftliche Theoriebildung finden. Die Philosophie reflektiert diese Vorannahmen und beschäftigt sich mit deren Validität. Schliesslich ist auch die Klärung von Begrifflichkeiten eine wichtige philosophische Tätigkeit. Biolog:innen arbeiten mit Begriffen wie „Funktion“, „Organismus“ oder „System“, aber, so Rehmann-Sutter „im Labor müssen diese Begriffe nicht unbedingt so klar sein.“ Es ist jedoch ein Interesse der Philosophie, solche Begriffe zu analysieren und deren Bedeutung zu klären.

    Als aktuelle Herausforderungen in der Philosophie der Biologie nennt Professor Rehmann-Sutter beispielsweise die (philosophische) Deutung der Molekularbiologie: Soll die DNS z.B. als „Liste von Instruktionen“ verstanden werden? Auch die Subjektivierung der Genetik sieht Professor Rehmann-Sutter als Herausforderung: Wie können die komplexen genetischen Zusammenhänge interpretiert, und in eine alltägliche Sprach, oder gar ein alltägliches Weltbild, übersetzt werden?

    Als ein weiteres Themen hob Herr Rehmann-Sutter die „Phänomenologie der Lebendigkeit“ hervor. Darunter kann die Erfahrung des Menschen, oder anderer Lebewesen, von ihrer eigen Lebendigkeit verstanden werden. Hierbei spielt gerade die Zukunft der „Mensch-Natur-Beziehung“, welche aufgrund des Klimawandels eine besondere Relevanz aufweist, eine zentrale Rolle. Dabei kommen ethische Fragen der Verantwortung ins Spiel, Was Rehmann-Sutter mit dem Satz „Meine Damen und Herren, wir haben noch keine Klimapolitik“ betonte.

    Hören Sie das Inputreferat von Christoph Rehmann-Sutter

     

    Anschliessend an den Einführungsvortrag fand eine Podiumsdiskussion mit Herrn Rehmann-Sutter, Frau Andrea Loettgers und Herrn Raphael Scholl statt. Zum Einstieg fragte Moderatorin Lena Tichy, ob es zutrifft, dass Philosophinnen und Philosophen der Philosophie jene Fragen beantworten, welche von der Biologie nicht beantwortet werden können. Frau Loettgers meinte dazu, dass Biologinnen und Biologen in der Tat andere Fragestellungen untersuchen würden als Philosoph:innen.

    Daran anschliessend wurde die Frage diskutiert, ob sich die Disziplinen denn lediglich in der Fragestellung unterschieden, die Wissensbasis aber die gleiche sei. Herr Scholl bejahte dies. Die Grundlagen seien in der Tat dieselbe. Wobei man dies, und auch die vorhergegangene Frage, nicht so verstehen soll, dass die Philosophin oder der Philosoph im Lehnsessel Dinge herausfindet, welche der Wissenschaft bisher noch nicht gelungen sind. Professor Rehmann-Sutter wandte zusätzlich ein, dass sich nicht alle Fragestellungen, die in der Philosophie der Biologie behandelt werden, auf biologisches Wissen beziehen. Als Beispiel nannte er die Frage „Was ist eine Erklärung?“.

    Ebenfalls wurde während der Diskussion die Frage thematisiert, ob Philosophinnen und Philosophen der Biologie so viel Wissen über biologische Phänomene bräuchten, wie Biolog:innen. Die Podiumsteilnehmenden waren sich darüber einig, dass man ohne biologisches Wissen unmöglich Philosophie der Biologie betreiben könne, dies aber nicht die gleiche Detailliertheit wie in der Biologie aufweisen müsse.

    Weitere Fragen welche im Verlauf der Diskussion aufgegriffen wurden, betrafen den interdisziplinären Austausch, Herrn Rehmann-Sutters Buchprojekt zur phänomenologischen Herangehensweise zur Frage nach dem Leben, und schliesslich die Frage nach einer Definition von Leben selbst – auch im Hinblick auf mögliches extraterrestrisches Leben.

    Bei der Publikumsdiskussion wurden frühere Punkte nochmals aufgegriffen und spezifiziert. Eine Zuhörerin fragte beispielsweise nach dem Verhältnis von Biologie und Philosophie in einem wissenschaftshistorischen Kontext. Herr Scholl meinte hieru, dass es sich – grob gesagt – um einen gutartigen Zirkel, also um eine Art gegenseitigen Austausch handeln würde.

    Hören Sie die Podiumsdiskussion mit der Moderation von Lena Tichy


    (1) Alex Rosenberg und Daniel W. McShea. Philosophy of Biology: A Contemporary Introduction. New York: Routledge (2008), S. 1-2.

    (2) Ibid.

    (3) Weitere Quelle: Griffiths, Paul. "Philosophy of Biology". The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Winter 2014 Edition), Edward N. Zalta (ed.), URL = <http://plato.stanford.edu/archives/win2014/entries/biology-philosophy/>.

     

    Philosophie der Physik


    Philosophie der Physik? Was ist das überhaupt?


    Viele Theorien der Physik waren ausserordentlich erfolgreich darin, unsere Beobachtungen über die Welt vorauszusagen und uns eine Erklärung der Welt zu liefern. Hier setzt die Philosophie der Physik an: Sie versucht zu verstehen was Theorien der Physik sind und sie versucht diese zu interpretieren. Beispielsweise werden in der Physik mitunter Begriffen wie „Wahrheit“, „Wirklichkeit“, „Natur“, „Phänomen“ usw. gebraucht. Wie genau diese Konzepte zu verstehen sind, ist jedoch eine Frage die von der Philosophie der Physik geklärt wird. Dies geschieht unter anderem mit der Absicht, herauszufinden, was diese Theorien über uns über die Wirklichkeit aussagen können.

    Betrachten wir dieses Ziel der Philosophie der Physik am Beispiel einer Aussage, welche die Intensität eines Kraftfeldes beschreibt: „Das Kraftfeld hat hier die Intensität von 100 Dyn pro Franklin“

    Hier stellen sich die Fragen: Wie ist diese Aussage zu verstehen? Soll man sie wörtlich nehmen und somit annehmen, dass Kraftfelder Dinge sind, die wie Computer und Kaffeetassen existieren? Oder ist sie im übertragenden Sinn zu verstehen? für die Wahrheit der Aussage ist es demnach nicht nötig, dass ein Kraftfeld real in der Welt existiert (es kann auch eine reine Modellannahme darstellen)?

    Stephen Hawking, welcher der Philosophie kritisch gegenüber steht, schrieb in „The Nature of Space and Time“, dass eine physikalische Theorie nur ein mathematisches Modell darstell. Es sei somit sinnlos, zu fragen, ob es der Realität entspricht. Diese Aussage ist selbst jedoch philosophisch, da sie sich mit der Bedeutung und Leistung physikalischer Theorien auseinandersetzt. Fraglich ist ebenfalls, ob sie die korrekte Interpretation der Physik darstellt. Bei solchen Fragestellungen liegt die Schnittstelle zwischen Physik und Philosophie. Und es ist interessant, zu bemerken, dass viele Philosophen der Physik selbst auch Physiker sind. (1)


    Philosophie.ch veranstaltete am Dienstag dem 14. April 2015 um 18:30 Uhr im Raum 115 im Hauptgebäude der Universität Bern (Hochschulstrasse 4) eine Podiumsdiskussion zum Thema Philosophie der Physik. Der Anlass stiess mit einer erfreuliche Besucherzahl von knapp 50 Personen auf reges Interesse.

     

    Claus Beisbart, ausserordentlicher Professor mit Schwerpunkt Wissenschaftsphilosophie an der Universität Bern, gab den Zuhörerinnen und Zuhörer einen Einblick in die Entwicklung und Thematik der Teildisziplin Philosophie der Physik. Er wies zu Beginn auf die historische Verflochtenheit von Physik und Philosophie hin. Zur Zeit der alten Griechen, wie beispielweise Aristoteles, bestand eine „dürftige Datenlage“ und der Erkenntnisgewinn über Natur und Ursprung der Welt primär erfolgte durch denken.

    Anschliessend thematisierte Professor Beisbart neuere Entwicklungen in der Physik und die damit verbundene Ausdifferenzierung der Philosophie und Physik. Die Philosophie der Physik übernahm dabei grundlegende Fragen wie beispielsweise, worum es eigentlich in der Physik geht (vor allem in Anbetracht schwer zugänglicher Ideen wie die Effekte der Relativitätstheorien, oder die Quantenmechanik), aber auch Fragen wie „was ist ein Experiment; was eine physikalische Theorie?“

    Im Anschluss an Herrn Beisbarts einführenden Worte erläuterte der Einsteinforscher Tilman Sauer Einsteins Einfluss auf die Vorstellung von Raum und Zeit. Er habe diese grundlegend umgekrempelt, da Raum und Zeit nicht mehr als etwas Absolutes betrachtet werden. In diesem Zusammenhang wies Herr Sauer darauf hin, dass die Philosophie durchaus einen Einfluss auf das Denken Einsteins hatte.

    Abschliessend sprach Michael Esfeld, ordentlicher Professor für Philosophie an der Universität Lausanne, über Materie: von ihren Ursprüngen im Denken der alten Griechen bis zur gegenwärtigen Quantenphysik. Er gab zu bedenken, dass die Natur der Realität weder aus einer Theorie folgt, noch gänzlich a priori durch Denken erschlossen werden kann.

    Hören Sie die Inputreferate von Claus Beisbart, Tilman Sauer und Michael Esfeld

     

    Nach den Inputreferaten wurde während der Podiumsdiskussion noch einmal präziser debatiert, was die Philosophie der Physik überhaupt macht, wie sie es macht und ob sie denn überhaupt betrieben werden soll. Zum Einstieg wurden die Podiumsteilnehmer mit der provokanten Frage konfrontiert, ob die Philosophie nicht – wie Stephen Hawking sagt – mittlerweile tot sei. Die Podiumsteilnehmer stimmten darin über ein, dass dies nicht der Fall ist. Diese Ansicht wurde bei der darauffolgenden Frage, ob die Ergebnisse der Philosophie der Physik in den Diskurs der Physik aufgenommen werden, bekräftigt: Ja, ein Gedankenaustausch besteht.

    Weitere Fragen setzten sich sich etwa mit der Methodik in der Philosophie der Physik, ihre Geschichte und ihre Relevanz im komplizierten Feld der Quantenphysik auseinander.

    Anschliessend wurden Fragen aus dem Publikum beantwortet. Unter anderem wurde nochmals die Frage gestellt, ob die Physik uns denn die Realität erklären könne. Eine Frage, an der sich schön zeigt, dass eine kritisch-philosophische Beschäftigung mit der Thematik Physik wichtig ist. Herr Sauer wies darauf hin, dass der Glaube an eine Realitätsbeschreibung durch die Physik abnimmt, je mehr man in einen spekulativen Bereich kommt. Auch Herr Beisbart wies auf die Problematik der Theoriebestandteile hin, welche nicht mehr direkt durch die alltägliche Erfahrung zugänglich sind. Innerhalb der Philosophie der Physik wird in beide Richtungen argumentiert. Einerseits haben wir Grund zu glauben, dass die Physik uns die Realität erklärt, da die physikalischen Theorien grossen Erfolg (z.B. bei Voraussagen) aufweisen. Und dieser kann mit einer Korrespondenz zur Realität erklärt werden (wissenschaftlicher Realismus). Andererseits erkennt man auch, dass sich in der Geschichte der Physik immer wieder Ablösungen von Theorien durch andere Theorien ereigneten und es darum Grund gibt zu glauben, dass auch die momentane Theorie durch eine andere abgelöst werden könnte (pessimistische Metainduktion). Professor Esfeld meinte schliesslich, dass es jedoch gewisse grundlegende Gedanken gibt, die bleiben, wie beispielweise, dass die Welt aus Teilchen besteht, bei denen sich nur die Parameter ändern. Ob die Physik die Realität nun beschreibe, sei, so Esfeld, aber auch eine Frage die man beantworten muss, indem man sich mit den Theorien als solche befasst.

    Hören Sie die Podiumsdiskussion mit den Referenten


    (1) Quellen:
    Marc Lange, "An Introduction to the Philosophy of Physics" (Oxford: Blackwell Publishing, 2006), ix – xvii.
    Jeremy Butterfield and John Earman. “Introduction.” In Philosophy of Physics: Part A, edited by Jeremy Butterfield and John Earman, xiii-xxii. Amsterdam: Elsevier B. V., 2007.
    Stephen Hawking and Roger Penrose. The Nature of Space and Time. Princeton: Princeton University Press, 1996.
    Carl Friedrich von Weizsäcker. Zum Weltbild der Physik. Stuttgart: S. Hirzel Verlag, 1963.

     

    Philosophie und Bewusstsein


    Bewusstsein, ein Thema der Philosophie?

     

    Nichts scheint uns bekannter als unser eigenes Bewusstsein. Wir erleben die meisten Momente unseres Lebens bewusst. Es ist eine essenzielle Eigenschaft unseres Menschseins – unsere Menschlichkeit.

    Dennoch ist die Natur des Bewusstseins nicht ganz so klar. Sind geistige Zustände (z.B. Wahrnehmungen, Gedanken oder Gefühle) lediglich Zustände unseres physischen Gehirns? Oder sind es Zustände einer nichtphysischen „Seele“?

    In der naturwissenschaftlichen Forschung gibt es einige Methoden, Gehirnzustände zu Messen und darzustellen (fMRI, PET usw.). Solche Forschung nimmt jedoch eine Drittperspektive auf das Bewusstsein ein. Kann eine Forschung die Gehirnzustände und Verhalten untersucht, aber nicht darauf eingeht, wie Menschen die Welt bewusst empfinden, überhaupt komplett sein?

    Unter dem Begriff „phänomenales Bewusstsein“ werden solche qualitativen Bewusstseinszustände, die nicht direkt von der Wissenschaft erfasst werden (können), subsumiert. Mit einem qualitativen Bewusstseinszustand ist ein Zustand gemeint, der einem bewusst macht, wie etwas ist. Wie ist es, beispielsweise, Schmerzen zu empfinden, oder ein Kunstwerk von Rothko zu betrachten?

    1982 schlug der Philosoph Frank Jackson ein Gedankenexperiment vor, welches die Beziehung zwischen physikalischen Zuständen und qualitativen Bewusstseinszuständen in Frage stellen sollte. Darin wächst eine Wissenschaftlerin unter Bedingungen heran, die ihr nur schwarz-weiss Eindrücke liefern. Die Wissenschaftlerin lernt in diesem fiktiven Gedankenexperiment alle wissenschaftlichen Fakten über Farbwahrnehmung. Eines Tages sieht sie dann eine rote Tomate – lernt Sie dabei etwas Neues? Und wenn ja, was sagt uns das über das Bewusstsein? (1)

     


    Philosophie.ch veranstaltete am Mittwoch dem 20. Mai 2015 um 18:30 Uhr im Raum HG E 33.3 im Hauptgebäude der ETH Zürich (Rämistrasse 101) eine Podiumsdiskussion zum Thema Bewusstsein und Philosophie. Knapp 35 Besucherinnen und Besucher nutzen diese Gelegenheit ihren philosophischen Horizont zu erweitern.


    Zu Beginn hielt Norman Sieroka, Privatdozent an der Professur für Philosophie der ETH Zürich ein Inputreferat mit dem Titel „Neurophänomenologie – Ansätze & Methoden zur konstruktiven Verbindung von Philosophie und Neurowissenschaft“. Dabei stand die Frage im Zentrum, ob und wo eine fruchtbare Verbindung von Neurowissenschaft und Philosophie möglich ist.

    Dazu ging er zuerst auf den philosophischen Hintergrund ein und hielt ausgehend vom deutschen Philosophen Edmund Husserl eine kurze Einführung in die Phänomenologie. Bei der Phänomenologie geht es „…um die Beschreibung und Kategorisierung invarianter Elemente und Strukturen der (bewussten) Wahrnehmung.“, so Herr Sieroka. Er illustrierte dies anhand der Wahrnehmung eines Tons. Die invarianten, d.h. unveränderlichen Elemente dabei wären beispielsweise Klagfarbe, Tonhöhe und Lautstärke. Diese gehören unweigerlich zur Wahrnehmung eines Tones. „Ein Ton ohne Lautstärke ist kein Ton.“

    Solche Merkmale, die notwendig zur Wahrnehmung gehören, werden auf einer allgemeinen Ebene gesucht. Das Ziel wäre herauszufinden, was allgemeine Merkmale aller bewussten Wahrnehmung darstellen (analog zur Innenwinkelsumme eines Dreiecks, die für alle Arten von zweidimensionalen Dreiecken 180 Grad ist).

    Zum Status der Phänomenologie im Bezug auf die Psychologie soll Husserl einst gesagt haben, dass sie sich dazu so verhält wie die Mathematik zur Physik – also als eine Art Werkzeug.

    Nachdem Herr Sieroka dem Publikum damit den philosophischen Hintergrund näher gebracht hatte, ging er auf die zeitgenössische Strömung der Neurophänomenologie ein. Dabei wird keine Reduktion des Bewusstseins (z.B. auf neuronale Zustände) angestrebt, sondern eine Auflösung der Trennung zwischen Wissenschaft und Philosophie, um durch die Erkenntnisse beider Disziplinen zu einer Art „Tiefenschärfe“ zu gelangen.

    Hören Sie das Inputreferat von Norman Sieroka


    Nach dem Inputreferat wurden bei der Podiumsdiskussion mit Herrn Sieroka, Frau Christiane Schildknecht – Professorin für theoretische Philosophie an der Universität Luzern, und Herr Hendrik Adorf – Wissenschaftshistoriker an der Professur für Wissenschaftsforschung der ETH Zürich – konkrete Fragen zum Platz der Philosophie in der Thematik des Bewusstseins gestellt.

    Zu Beginn fragte Moderatorin Anja Leser – Präsidentin von Philosophie.ch – provokativ, ob wir unser Bewusstsein jemals verstehen werden. Frau Schildknecht und Herr Sieroka äusserten sich dazu optimistisch, wobei, so Frau Schildknecht, geklärt werden müsse, was wir in diesem Zusammenhang mit „verstehen“ meinen, respektive was für Ansprüche wir an eine Erklärung im Bezug auf das Bewusstsein haben. Herr Sieroka merkt an, dass es gewisse Fragen zum Thema Bewusstsein gibt, deren Beantwortung Probleme bereitet, beispielweise wieso er die Ich-Perspektive von sich selbst und nicht die von Frau Schildknecht besitzt.

    Andere Fragen welche die Podiumsteilnehmenden beantworteten waren beispielsweise, welche Fragen zum Thema Bewusstsein speziell für die Philosophie geeignet sind, wie Philosophie und Naturwissenschaft einander in der Frage nach dem Bewusstsein helfen können, wie die Zukunft der Philosophie im Bezug auf die Bewusstseinsthematik aussieht (etc.).

    Im Verlauf der Diskussion, gab Herr Adorf einen wissenschaftshistorischen Überblick über die Bewusstseinsforschung von Descartes, über die Anfänge der Psychologie, ihre Ausdifferenzierung im zwanzigsten Jahrhundert bis zur zeitgenössischen Philosophie des Geistes.

    Im Anschluss an die Diskussion wurden rege Fragen aus dem Publikum gestellt. Beispielsweise wurde gefragt, ob das Bewusstsein eher wie ein Ein-/Aus-, oder wie ein Dimm-Schalter zu verstehen sei.

    In eine ganz andere Richtung wurde das Gespräch bei der Frage nach der Rolle der Meditation für das Bewusstsein geleitet, in welchem Zusammenhang Herr Adorf von der Mind-Life-Initiative berichtete, bei der buddhistische Mönche und Neurowissenschaftler im Kontext der Bewusstseinsfrage zusammentreffen.

    Zuletzt wurde aus dem Publikum noch gefragt, wofür Frau Schildknecht, Herr Sieroka und Herr Adorf eine beliebige Menge an Geld innerhalb der Bewusstseinsforschung investieren würden. Sowohl Herr Sieroka, als auch Frau Schildknecht betonten stark, dass sie eine Interdisziplinarität anstreben würden.

    Hören Sie die Podiumsdiskussion mit Norman Sieroka, Christiane Schildknecht, Hendrik Adorf und Moderatorin Anja Leser

    Teil 1:

    Teil 2:


    (1) Quellen:
    Jaegwon Kim. Philosophy of Mind. Cambridge: Westerview Press, 2006.
    Ian Ravenscroft. Philosophie des Geisters. Übersetzt von Joachim Schulte, Stuttgart: Reclam, 2005.
    Max Velmans (Ed.). Investigating Phenomenal Consciousness. Amsterdam: John Benjamins Publishing Company, 2000.