Das Schweizer Bildungssystem im Überblick

Das Schweizer Bildungssystem ist komplex, was einerseits jeder Person ermöglicht, den passenden Weg einzuschlagen, ohne dass dabei zukünftige Wege verschlossen werden. Andererseits führt dies aber auch dazu, dass man den Überblick über das System und seine Begriffe schnell verlieren kann. Was unterscheidet beispielsweise eine EBA von einer EFZ-Lehre? Kann man an Gymnasien und an Fachmittelschulen zum Maturitätszeugnis gelangen? Warum benötigt man für die Fachhochschule einen Mittelschulabschluss, nicht aber für die Höhere Fachschule? Darüber hinaus lässt sich fragen, in welchem Rahmen Philosophie auf den verschiedenen Stufen unterrichtet wird und wo Philosophie studiert werden kann.

Dieser Artikel gibt einen Überblick über das Schweizer Schulsystem und seine Begriffe. Soviel vorweg: Der Bildungsbereich ist in drei grosse Teile gegliedert: Die Primarstufe, die Sekundarstufe und die Tertiärstufe. Die Sekundarstufe wird zudem in die Bereiche Sekundarschule 1 (Sek I) und Sekundarschule 2 (Sek II)  aufgeteilt. Die Einschulung in die Primarstufe stellt dabei den Eintritt in das Bildungssystem dar.


Primarstufe / 1. und 2. Zyklus

Die Primarstufe umfasst 1-2 Jahre Kindergarten und die 1.- 6. Primarklasse. Im Zusammenhang mit dem Lehrplan 21, der 2014 in der Primar- und Sekundarschule I eingeführt wurde, wird von Zyklen gesprochen. Der erste Zyklus umfasst Kindergarten, 1. und 2. Klasse. Der zweite Zyklus die Klassen 3 - 6. Der dritte Zyklus beschreibt die Sekundarstufe 1.

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Ausschnitt aus dem Lehrplan 21, hier die Bereiche Sprachen, Mathematik und Natur, Mensch, Gesellschaft

Im Lehrplan 21 gibt es für jedes Schulfach  Kompetenzbereiche. Sie enthalten einzelne Kompetenzen, die die Schüler und Schülerinnen am Ende jedes Zyklus beherrschen sollten. In diesem Fall, philosophische Fragen zu stellen und über sie nachzudenken; diese sind im Kompetenzbereich “Grunderfahrungen, Werte und Normen erkunden und reflektieren" zu finden.

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Ausschnitt aus dem Lehrplan 21. Kompetenz mit zwei Lernzielen für den 1. Zyklus und einem für den 2. Zyklus

Philosophieren lernen wird in der Primarschule also bereits angedeutet, jedoch nicht im Rahmen eines historisch-systematischen Philosophieunterrichts. Diese Art des Philosophierens an der Schule, respektive des “Reflektierens menschlicher Grunderfahrungen, Werte und Normen”, wie es heisst, wird im 3. Zyklus etwas vertieft. (Siehe dazu unseren Artikel zum Fach ERG). 

Auf die 6. Primarklasse folgt der Übertritt in die “Oberstufe”/Sekundarstufe. Hier können je nach Kanton ein oder zwei Wege eingeschlagen werden. Der erste Weg führt in die “Sek”, die Sekundarschule 1, der zweite Weg ins Langzeitgymnasium. Sekundarschule 2. Verfügt der Wohnkanton über ein Langzeitgymnasium, so können leistungsstarke Schülerinnen und Schüler nach der Primarschule direkt für 6 (bis 7) Jahre ans Gymnasium gehen, während in anderen Kantonen nach der dritten Sek an ein Kurzzeitgymnasium von 4 oder 5 Jahren gewechselt werden kann. 



Sekundarstufe 1 /  3. Zyklus


Beim Übertritt von der Primarschule in die Sekundarschule 1, wird sogleich entschieden, ob eine Schülerin oder ein Schüler in die Sek A, B oder C eingeteilt wird. Die Klassen der Sek A werden dabei mit dem anspruchsvollsten Schulstoff konfrontiert, die Klassen der Sek C mit dem am wenigsten anspruchsvollen. Je nach Kanton können auch lediglich einzelne Fächer im A, B, oder C Profil besucht werden. Philosophie wird auf der Sekundarstufe 1, wie bereits gesagt, im Rahmen des Fachs Ethik, Religion und Gemeinschaft (ERG) unterrichtet. Auch hier findet kein historisch-systematischer Unterricht statt. Stattdessen werden Alltagserfahrungen aus der Lebenswelt der Jugendlichen sowie moralische Dilemmata diskutiert.


Mit dem Abschluss der Sekundarstufe 1 endet auch die obligatorische Schulzeit. Je nach persönlicher Lage und Interesse kann an die Sekundarstufe 1 eine Berufslehre oder eine weiterführende Schule angeschlossen werden. Da die obligatorische Schulzeit zu diesem Zeitpunkt beendet ist, kann auch von einer weiteren Ausbildung abgesehen werden. Als sogenanntes Brückenangebot gilt die 10. Klasse. Wer mit der obligatorischen Schulzeit fertig ist, aber noch keine Anschlusslösung gefunden hat oder nicht bereit ist, kann ein solches Brückenangebot besuchen. (Bsp. Brückenangebot Basel)


Wer sich gegen eine Berufslehre entscheidet, kann nach der Sek I eine Fachmittelschule oder ein Kurzzeitgymnasium besuchen (je nach Kanton kann dieser Wechsel bereits nach der 2. Sekundarschule erfolgen). Wer sich für eine berufliche Weiterbildung entscheidet, schlägt den Weg der sogenannten “beruflichen Grundbildung” ein; wer eine weiterführende Schule besucht, den der “allgemeinbildenden Schulen”. Beide werden unter die Sekundarstufe 2 gefasst. 


Sekundarstufe 2 / Mittelschule


Die berufliche Grundbildung sowie die allgemeinbildenden Schulen gehören zum Bereich Sekundarstufe 2. Konkret umfasst diese Stufe Berufsschulen, Fachmittelschulen (FMS, oder Wirtschaftsfachmittelschule WMS), Lang- und Kurzzeitgymnasien. Sie alle gelten als Mittelschulen. Die Begriffe "Kantonsschule", "Lyceum" "Kollegium" und weitere sind historisch gewachsen und bezeichnen keine eigene Mittelschul-Kategorie.

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Die einzige Ungereimtheit in dieser Einteilung bildet das Untergymnasium. Die ersten zwei bis drei Jahre des Langszeitgymnasiums, das Untergymnasium, befindet sich theoretisch auf der Stufe Sek I, zählen jedoch zur Sek II Stufe. Lehrpersonen, die eine 7., 8. oder 9. Klasse am Gymnasium unterrichten, benötigen also ein Sek II Lehrdiplom, während ihre BerufskollegInnen die 7., 8. oder 9. Klasse an der “Sek” mit einem Sek I Lehrdiplom unterrichten.  Auch wenn die 7. bis 9. Klasse an einem Langzeitgymnasium absolviert werden, wird damit die obligatorische Schulzeit abgeschlossen. Wer also nach der 3. Klasse des Langzeitgymnasiums aussteigt, verfügt über einen offiziellen Schulabschluss, weil die obligatorische Schulzeit vollendet wurde.

Eine Berufsschule (oder Berufsfachschule) besucht, wer eine EBA oder EFZ Lehre absolviert. Das Eidgenössische Berufsattest (EBA) befähigt nach 2-3 Jahren zur Ausübung des Berufes und ist stark praxisorientiert. Das eidgenössische Fähigkeitszeugnis (EFZ) befähigt nach 3-4 Jahren zur Ausübung des erlernten Berufes. Durch eine Weiterführung der EBA-Ausbildung und bei entsprechenden Noten kann ein EFZ Abschluss erreicht werden. Dies ist mit einem EBA-Abschluss nicht möglich.

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An einen EFZ Abschluss kann die Berufsmatura angeschlossen werden. Diese befähigt zum Studieren an einer Fachhochschule, mit der Einschränkung, dass eine Studienrichtung gewählt werden muss, die mit dem erlernten Beruf verwandt ist.

Im Bereich der allgemeinbildenden Schulen kann entweder eine Fachmittelschule besucht werden oder ein Gymnasium. An die drei Jahre dauernde Fachmittelschule kann eine Fachmaturität angeschlossen werden. Diese ermöglicht den direkten Zugang zu einer Ausbildung an einer Höheren Fachschule (HF), einer Fachhochschule oder einer Pädagogischen Hochschule in einem gewählten Schwerpunktbereich. 

Werden die Berufs- oder Fachmaturität mit der Passerellen-Ergänzungsprüfung kombiniert, ermöglicht dies den Zugang zu allen Studiengängen einer Schweizer Universität oder Pädagogischen Hochschule.

 

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Die Maturitätsausbildung kann grundsätzlich auch an einer Privatschule gemacht werden, wobei die eigentlichen Maturaprüfungen dann im Rahmen der Eidgenössischen Maturitätsprüfungen des BFI abgelegt werden. 

Während bis zum Ende der Sekundarschule 1 die Lerninhalte vom Lehrplan 21 geregelt werden, sind die Lehrpläne der Mittelschulen nur durch einen allgemein gehaltenen Rahmenlehrplan geregelt. Die konkreten Lehrpläne pro Fach können somit von Schule zu Schule unterschiedlich gestaltet sein. (Siehe unseren Artikel zu Lehrplänen im Fach Philosophie).

Grundsätzlich wird an Berufs- und Fachmittelschulen keine Philosophie unterrichtet. Wenn Philosophie vorkommt, dann im Rahmen von Fächern wie  “Sozialwissenschaften” oder “Religion und Ethik”. Der Fokus liegt dabei meist auf moralischen Dilemmata und Fragen des Zusammenlebens. So beispielsweise an der GIB, der Gewerblich-Industriellen Berufsfachschule des Kanton Glarus. dort heisst es im Lehrplan des Fachs "Sozialwissenschaften" unter Punkt 7 "Grundlagen und Verfahren der praktischen Philosophie":

Die Lernenden können: 

  • den Menschen als moralisches Wesen beschreiben
  • erkennen, an welchen Normen und Werten sich das eigene Verhalten und das Verhalten anderer orientiert
  • in der Diskussion über moralische Aspekte des Zusammenlebens und des Umgangs mit der Natur sinnvolle Argumente und Begründungen verwenden und von anderen vernünftigen Argumenten und Begründungen verlangen 
  • moralische Fragen zur eigenen Lebensführung vernünftig beantworten

 

An Gymnasien wird Philosophie je nach Kanton in verschiedenen Gefässen angeboten (Siehe Artikel zum Lehrplan). Der Unterricht besteht hier einerseits aus dem "Philosophieren", andererseits aus der Kenntnis von Inhalten und Methoden der Philosophie. Einzig an Gymnasien steht also die Kenntnis von Primärtexten und der Geschichte der Philosophie auf dem Lehrplan. Da das Ziel aller Maturitätsschulen in der sogenannten “Studierfähigkeit” besteht, sollten Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums (und der Passerelle-Schulen) Grundlagen der Philosophie vermittelt bekommen, wenn sie anschliessend Philosophie studieren wollen. Philosophie studieren kann man grundsätzlich nur an Universitären Hochschulen und der ETH Zürich; beide zählen zur tertiären Stufe des Schweizer Bildungssystems.


Tertiäre Stufe: Höhere Berufsbildung und Hochschulen

Die Tertiärstufe (blau) umfasst im Bereich der Berufsbildung die Höhere Berufsbildung, also unter anderem die Höheren Fachschulen; im Bereich der allgemeinbildenden Schulen die Fachhochschulen, pädagogischen Hochschulen und Universitären Hochschulen (inkl. ETH).

Eine höhere Berufsbildung kann an eine abgeschlossene Berufslehre angeschlossen werden, und zwar in dem Bereich, in dem die Lehre abgeschlossen wurde. Dazu zählen die Berufs- und Höheren Fachprüfungen, die zu einem eidgenössischen Diplom oder Fachausweis führen. Wer die höhere Fachschule besucht, kann ein Diplom HF erlangen.

An eine abgeschlossene Matura kann eine Hochschule angeschlossen werden. Zu den Hochschulen zählen die Universitäten, die pädagogischen Hochschulen und die Fachhochschulen.

De bildungssystem

Die Eidgenössische Technische Hochschule ETH ist eine vom Bund finanzierte universitäre Hochschule. Die anderen Universitäten resp. universitären Hochschulen wie die Universitäten in Genf, Fribourg, Bern, Basel, Zürich, Luzern, Lugano, Neuenburg, Lausanne und St. Galle sind von den Kantonen getragen. 

Die Pädagogischen Hochschulen bilden eine eigene Kategorie. An ihnen können hauptsächlich Lehrdiplome und Zusatzausbildungen im Bereich Bildung und Erziehung erworben werden. Zu den Fachhochschulen zählen die Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW), die Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW), sowie sechs weitere öffentlich-rechtliche und eine privat getragene Institution (Eine Auflistung aller Fachchochschulen finden Sie hier). Ebenfalls zu den Fachhochschulen werden die Musik- und Kunsthochschulen gezählt.

An allen Hochschulen kann nach rund 3 Jahren ein Bachelor- und nach weiteren 1.5-2 Jahren ein Masterabschluss erreicht werden. Je nach Hochschultyp und Studiengang gelten Bachelorabschlüsse bereits als “berufsbefähigend”. Ein Umweltwissenschaften-Studium an der ZHAW beispielsweise gilt ab dem Bachelor als berufsbefähigend, während bei den Umweltwissenschaften an der ETH erst der Mastertitel als Abschluss des Studiums gilt. Philosophie kann an universitären Hochschulen im Bachelor und Master studiert werden. Einzelne Programme wie die Masterstudiengänge “Geschichte und Philosophie des Wissens” an der ETH Zürich, "Umweltethik" an der Universität Fribourg und "Political, Legal and Economic Philosophy" an der Universität Bern können ohne Bachelor in Philosophie besucht werden.

An einen Masterabschluss einer universitären Hochschule oder einer Fachhochschule kann ein rund 3-5 jähriges Doktorat angeschlossen werden. Wer doktoriert, ist zugleich in Ausbildung und in der Forschung tätig. Wer Professor oder Professorin werden will, schliesst an das Doktoratsstudium eine Habilitation an, was aber noch keine Garantie für eine Professur ist.  


Links und weiterführende Informationen