Das Interview führte Sahra Styger.
Philosophie.ch: Was gehört zu Ihren jetzigen Hauptaufgaben im Berufsalltag und begegnen Ihnen dabei auch philosophische Fragen?
Eve Hug: Die Frage ist ja, wie kommt man von der Philosophie zur Armee. Ich werde oft gefragt, ob das zarte Gemüt des Philosophen kein Widerspruch sei gegenüber demjenigen des robusten Soldaten. Dabei ist jeder Soldat in erster Linie ein Mensch, so wie Du und ich, mit eigenen Wertvorstellungen. Es handelt sich also eher um eine gegenseitige Ergänzung, wie dies beispielsweise auch in der Militärethik geschieht. In jeder militärischen Entscheidung werden auch moralische Aspekte berücksichtigt wie Persönlichkeitsrechte, Menschenrechte oder Pietät und Interessensschutz aus menschlichen Gründen.
Da ich im Bereich Kommunikation tätig bin, spielt mein sprachliches Flair und meine Ausbildung in Rhetorik, Sophistik und Sprachphilosophie eine gewichtige Rolle. Durch das Philosophiestudium habe ich gelernt, wie man ein Argumentarium schreibt und etwas so formuliert, dass es verstanden wird. Mein Berufsalltag ist aber auch geprägt durch das Finden von Kompromissen: Wie es Heraklit ausgedrückt hat, gibt es stets unterschiedliche Betrachtungsweisen derselben Sache. Auch wenn zwei Personen unterschiedliche Standpunkte vertreten, können aus ihrer Perspektive trotzdem beide recht haben. Der Prozess der lösungsorientierten Konsensfindung ist ebenso an der Tagesordnung, wie das Kommunizieren von Fakten. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass die Philosophie die Zusammenarbeit erleichtert, weil sie es ermöglicht dem Gegenüber Raum zu lassen für seinen Standpunkt und man diesen respektiert und ernst nimmt, auch wenn es nicht der eigene ist.
Philosophie.ch: Welche Rolle hat die Philosophie in der Gesellschaft und welche sollte sie haben?
Eve Hug: Die meisten Leute wissen nicht, was Philosophie ist, und empfinden sie deshalb als unnötig. Da es auch den Beruf PhilosophIn nicht gibt, sind die PhilosophInnen im alltäglichen Leben kaum sichtbar. Dabei wäre eine philosophische Grundbildung wichtig, weil man lernt einen Dialog zu führen und Kompromisse zu finden, aber auch sich selbst mit Alltags- und Lebensfragen auseinandersetzt. Ethik und Moral werden durch die Gesellschaft geformt und genormt, deshalb betreffen diese Fragen alle Menschen. Durch Reflexion kann verhindert werden, dass man blind hinter irgendwelchen schillernden Führungsfiguren hinterherrennt oder sich selbst verliert, indem man anderen nacheifert, anstatt sich selbst treu zu sein. Ich beobachte viele, die im Alltag unzufrieden sind und das Gefühl haben, irgendetwas fehle ihnen. Aber sie nicht wissen, was es ist. Durch die Auseinandersetzung mit sich selbst und mit Anderen versteht man besser, wo man selbst steht, wer man ist und was man will – und kann entspannter durchs Leben gehen.
Philosophie.ch: Was halten Sie von den Aussagen, dass das Philosophiestudium in die Brotlosigkeit führen wird oder, dass PhilosophieabsolventInnen «nichts Richtiges» können?
Eve Hug: Die Philosophie führt keineswegs in die Brotlosigkeit, aber es kommt darauf an, was man daraus macht. Man erlangt im Studium die nötigen Fertigkeiten, um im Vorstellungsgespräch zu überzeugen und erklären zu können, was Philosophie ist und welche Kompetenzen man dank ihr mitbringt. Mein persönlicher Weg stellte mich, vor die Entscheidung, ob ich Jus oder Philosophie studieren soll. Ich wusste, dass meine Eltern – die bis heute eine wichtige Rolle in meinem Leben spielen – sich für mich ein Leben mit angemessenem Einkommen und beruflicher Sicherheit wünschten. Zu sich selbst zu stehen, kann extrem schwierig sein, vor Allem wenn der eigene Standpunkt von den gesellschaftlichen Erwartungen abweicht. Es war daher ein grosser Entscheid, das Jusstudium zu Gunsten des Philosophiestudiums abzubrechen. Ich lernte zu differenzieren: Nur, weil etwas besonders oder anders ist, wird damit noch nichts über die Qualität ausgesagt.
Philosophie.ch: Was würden Sie den PhilosophInnen für den Berufseinstieg raten?
Eve Hug: Es nützt niemandem etwas, wenn man in der Abschlussphase des Studiums überlastet und unzufrieden ist. Deshalb sollte man auf sein Bauchgefühl hören, die eigenen körperlichen und geistigen Grenzen respektieren und darauf vertrauen, dass sich eine Möglichkeit auftun wird. Man muss aber auch die Augen offenhalten und zugreifen, wenn sich eine Chance anbietet. Der Druck von aussen, man solle wissen, was man später einmal machen wird, hat mich in der Masterphase schwer belastet. Dabei trifft man nie eine Entscheidung für den ganzen Rest des Lebens. Unsere Angewohnheit in Szenarien zu denken, lenkt zuweilen davon ab, sich auf das zu konzentrieren, woran man gerade ist. Bei Bewerbungen würde ich deshalb raten: keine Standard Floskeln. Lieber ein ganz persönliches Motivationsschreiben aufsetzen und die eigenen Stärken betonen. In meinem Fall sind das neben dem sprachlichen Flair, auch der Durchhaltewille und ein starkes Nervenkostüm. So bin ich nun in der Armeekommunikation, wo ich im Alltag französisch, italienisch, englisch und deutsch benötige, in einem äusserst abwechslungsreichen Umfeld gelandet.
Philosophie.ch: Was hat Ihnen die vertiefte Auseinandersetzung mit der Philosophie gebracht? Inwiefern war diese Auseinandersetzung nützlich?
Eve Hug: Das Philosophiestudium hat mein Leben verändert. Die vertiefte Auseinandersetzung mit Tod, Krankheiten, Tierrechten und Menschenwürde ging mir anfänglich an die Substanz. So habe ich mich im Studium mit Themen befasst, mit denen ich mich sonst wohl nicht freiwillig befasst hätte und habe dadurch Orientierung und Sicherheit gewonnen; ja auch die Angst und die Beunruhigung vor diesen Themen verloren. Durch das Studium lernt man die schwierigen Fragen zu stellen, sich eine eigene Meinung zu bilden und vor Allem auch zu hinterfragen, statt die Dinge einfach anzunehmen. In der heutigen Informationsflut schärft die Philosophie ebenfalls das Auge dafür, woher die Information kommt, in welchem Kontext sie steht, und aus welcher Quelle sie stammt. All dies ist essentiell um die Informationen richtig einordnen zu können. Für mich ist Philosophie daher viel mehr als nur ein Studium: es ist eine Lebenseinstellung.